Werte Brandenburg-Kunst-und-Kultur-Blog-Leser,
es sind Osterferien und ich nehme mir aus aktuellem Anlass die künstlerische Freiheit, eine Arbeit vorzustellen, die zwar 2023 in Brandenburg am Computer entstanden ist, aber eigentlich in „Deutschlands schlimmster Stadt“ spielt: Gelsenkirchen.
Aber erst einmal Informationen zum Konzept der Gruppenausstellung „Gelsenkirchen – Fotoarbeiten zur Entwicklung einer Stadt“, die noch bis zum 21.06.2024 werktags im Wissenschaftspark Gelsenkirchen zu sehen ist:
Die Stadt Gelsenkirchen – einst Stadt der Tausend Feuer – unterliegt einem ständigen Wandel. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war Gelsenkirchen noch dünn besiedelt, wuchs dann nach der Entdeckung der Steinkohle stark an und erhielt schließlich 1875 die Stadtrechte. Im Jahr 1959 hatte die Stadt mit nahezu 400.000 Einwohnern ihren Höchststand. Es waren die Zeiten des Wirtschaftswunders. 1959 schlossen dann die ersten Zechen und in Folge viele Bergbauzulieferer aber auch Eisen- und Stahlbetriebe und andere. Viele Menschen verloren ihre Arbeit. Seitdem versucht man den sogenannten Strukturwandel zu bewältigen.
Viel Neues ist entstanden und Altes hat neue Nutzungen erfahren. Die Gesellschaft ist bunter geworden, Freizeitaktivitäten haben sich genauso wie die Arbeit und der gesellschaftliche Zusammenhalt geändert und verändern sich auch fortlaufend weiter.
Viele Fotograf*innen sind einem Aufruf, sich mit Fotoarbeiten zu Gelsenkirchen für eine „ehrliche“ Ausstellung im Wissenschaftspark Gelsenkirchen zu beteiligen, gefolgt. 18 Positionen von nachfolgenden 18 Fotograf*innen wurden für die Ausstellung ausgewählt:
Hendrik Lietmann / Tania Reinecke / Peter Buchwald / Ekkehart Bussenius / Pedro Malinowski / Erika Lieber / Markus Milde / Steffen Hampe / Hans Jürgen Landes / Michael Kerstgens /Gerhard Zelle / Joachim Schumacher / Fred Hüning /Rene Sikkes / Wolfgang Fröhling / Dieter Grundmann / Guntram Walter / Christian Westphalen
Richtig gelesen: der berühmt-berüchtigte VdZ (Verfasser dieser Zeilen) ist auch dabei! Eine gute Gelegenheit meine in Gelsenkirchen gezeigte Arbeit DIE HUKKINGER hier vorzustellen in Wort und Bild:
Bei einer vor Jahren vom ZDF in Auftrag gegebenen Studie zur Lebensqualität in Deutschland landete Gelsenkirchen unter insgesamt 401 Kreisen und Städten der Bundesrepublik auf Platz 401 und verdiente sich somit den Titel Deutschlands schlimmste Stadt redlich. Befragt man das Internet, ist Ückendorf ein Problem-Stadtteil von Gelsenkirchen, also theoretisch kann es nicht schlimmer sein in Deutschland als in Ückendorf.
Aber: Durch den Zuzug einer quirligen Kunstszene soll sich Ückendorf gewandelt haben und auf dem besten Weg sein, ein zweites Berlin-Kreuzberg oder Hamburger Schanzenviertel zu werden. Gründe genug, mir Ückendorf und seine Bewohner aus 35 Nationen mal ganz genau anzuschauen – noch einmal mit dem bewährten fotografischen Tool „Google Street View“ (GSW). Mit GSW habe ich bereits die Ruhrpott-Trilogie WOVON MASCHINEN TRÄUMEN (Duisburg / Leute / Landschaften) realisiert – ohne jemals vor Ort fotografiert zu haben. Die neunäugigen Kamera-Fahrzeuge von GSW haben im Herbst 2022 alle 101 Straßen des Stadtteils erfasst, was ein Fotograf niemals so komplett hätte leisten könnte. Da die Maschine nicht denkt, alles sieht und doch nichts erkennt, und alles – Menschen, Plätze, selbst den Himmel – gleichmäßig und neutral erfasst, ergeben sich aus dem Datenwust stets ungeahnte künstlerische Bildfindungen. Im Dezember 2023 habe ich am Rechner alle 101 Straßen mit GSW „abgefahren“ und bildwürdige Szenen ausschnittsweise vom Bildschirm abfotografiert.
Die Bilder sollten dabei nicht so aussehen wie am Bildschirm, sondern farbentsättigt, zeitlos und das malerische Element der „blurry“ Pixel-Ästhetik noch unterstreichend. Dafür habe ich ein mehrstufiges Verfahren entwickelt; u.a. wird ein Farbnegativ jeweils mit einem SW-Positiv desselben Motivs überlagert.
Abschließend noch Allgemeines zur Arbeit mit Google Street View:
Seit 2007 fährt eine neunäugige Kamera-Maschine des Weltkonzerns Google durch mittlerweile 87 Länder der Erde mit dem Ziel, ganze Städte, ihre Straßen, Plätze, Häuser, Menschen, Tiere, Pflanzen und sogar den Himmel zu erfassen.
Die Maschine sieht alles und erkennt doch nichts. Die Maschine erkennt keine Schönheit, keine Hässlichkeit, keine Freude, kein Leid. Die Maschine schafft eine mittlere Großstadt in wenigen Tagen. Die Maschine lässt sich nicht anhalten, nicht aufhalten, nicht ausschalten. Die Maschine verpasst am Ende Jedem und Allem, sogar dem Himmel, sein Markenzeichen.
Die Maschine fragt Niemanden um Erlaubnis.
Und jetzt endlich die Bilder der Serie, von denen in Gelsenkirchen acht gezeigt werden …