Hier also meine drei persönlichen Lieblingspositionen der von dem ungemein freundlichen und unheimlich kompetenten und umtriebigen Christof Zwiener („Erfinder“ der BRITZENALE und von BETON Berlin) kuratierten Kunstsparte beim UM-Festival 2025:
PLATZ 3 (eigentlich bin ich ja der Überzeugung, dass in der Kunst – im Gegensatz zum Sport beispielsweise – Bestenlisten total unsinnig sind, aber ausnahmsweise …):
Gute Kunst ist manchmal ganz einfach, braucht keine seitenlangen theoretischen Abhandlungen und berührt etwas in uns, das wir nicht erklären können. Meine Beinahe-Namensvetterin Stephanie Lüning hat (Beuysianer aller Länder, aufgemerkt!) flüssiges Bienenwachs direkt in den Wrietzensee gegossen, wobei der See selbst sowie Wind und Wetter am Ergebnis kräftig mitgestaltet haben. Die so entstandene abstrakte Form hat sie später in Bronze gegossen, vergoldet und während der Ausstellung exakt an ihrem Entstehungsort im See präsentiert. Wer genau hingeschaut hat, konnte erstaunt feststellen, dass das GOLDSTÜCK mit einem Draht verbunden und auf dem Seegrund gesichert war (wahrscheinlich hat man seitens der Veranstalter Besuch aus Neukölln befürchtet à la Bodemuseum oder Grünes Gewölbe … sorry Neuköllner, nur ein kleiner Scherz).
PLATZ 2:
Auf der anderen Seite des Sees hat Stephanie Lüning dann ein ausrangiertes Ruderboot mit speziellem, sehr festem Schaum gefüllt und damit ein sehr sehr starkes Bild in der Landschaft geschaffen. Ich musste unwillkürlich an Flüchtlingsboote im Mittelmeer, das Floss der Medusa und an Caspar David Friedrichs Eismeer denken – einfach so, ohne vorher etwas zu dem Werk gelesen zu haben und das spricht doch sehr für das Werk.
PLATZ 1:
Auch ganz einfach, keine Kosten (es sei denn für Reinigung der Kleidung) und Umweltbelastungen verursachend, klar und berührend, war die gleich dreimal aufgeführte Performance „effluent“ von Paulette Penje. Paulette Penje steht konzentriert am Rand eines Entwässerungskanal. Dann lässt sie sich – voll bekleidet – von der Böschung aus ganz langsam in das tiefschwarze Wasser gleiten. Im Wasser macht sie konzentrierte Gesten und Bewegungen in alle Himmelsrichtungen, schließlich taucht sie unter, bis nur noch ihr Turnschuh zu sehen ist und bald gar nichts mehr.
Dann taucht sie aus dem Wasser auf ***, schwarz eingefärbt, triefend nass, voller kleiner Pflanzen und Schmutz. Dann verlässt sie den Graben, ganz langsam, ganz elegant und schreitet mit ruhigen, langen Schritten auf das Dorf Fergitz zu. Dabei hinterlässt sie auf ihrem Weg eine Spur aus Wasser, Pflanzenteilen und Schmutz. Ein moderner Kreuzweg. Leider kommen dann auf dem Weg die ersten Autofahrer und Passanten entgegen, die von nichts wissen, von denen sich die Künstlerin aber überhaupt nicht aus ihrer Konzentration bringen lässt, bis sie dann – unter meinem Applaus – im Gutshaus Fergitz verschwindet.
*** und mir fällt dazu spontan das wunderbare Lied „Ich tauche auf“ ein, gesungen von Dirk von Lowtzow & Anja Plaschg, in dem es so poetisch, wie berührend heißt:
Ich habe dich noch nie gesehen
Oben bei den Lebewesen
Hier bist du nie gewesen
Nur gelesen habe ich von dir
Auch manches Lied ist dir gewidmet
Entschuldigung, du weißt, ich muss jetzt gehen
Ich kann nur eine Viertelstunde
Im Schlund überstehen
Ich tauche aus dem Wasser auf
Wie aus einem tiefen Schlund
Du hast deinen Mund
Fest an mich gepresst
Und zu guter Letzt soll hier noch der Cliffhänger (ein Hauch Berlin der 90er) aus der Nachlese, Teil 1 aufgelöst werden: Am Samstagabend nach dem offiziellen Ende des ersten Festivaltages begab sich eine Prozession Eingeweihter zu Fuß einen dunklen, nur vom Mondlicht beschienen Feldweg hinauf, um nach etwa einem Kilometer auf ein riesiges Haus mitten auf einem Feld zu stoßen. Das Haus gehört einem bekannten Kulturmanager. Vor dem Haus ein Lagerfeuer, in der großen Scheune daneben eine Techno-Party. Auf dem Feld riesige Buchstaben wie das Hollywood Sign oder das WACKEN-Zeichen mit einer einfachen Botschaft: WEITER.
Und das möchte ich auch dem UM-Festival zurufen (es gibt Gerüchte, dass 2027 das letzte Mal sein könnte):
WEITER
SO
P.S.: Und der Held meiner Adoleszenz, Ben Becker, war auch auf dem Festival. Damals wollte ich wegen Typen wie Becker vom langweiligen schleswig-holsteinischen Dorf unbedingt ins coole Berlin ziehen. Heute will ich am liebsten nur noch in der Uckermark leben, wie Ben, der hier ein Häuschen haben soll. Das Leben eben.

© Hüning fotografiert Lüning: Arbeit „Gestrandet“ (Installation / ausrangiertes Ruderboot gefüllt mit Wasser und Schaum ) von Stephanie Lüning

Stephanie Lüning erklärt ihr Werk Gestrandet
© Hüning fotografiert Lüning: Arbeit „Gestrandet“ (Installation / ausrangiertes Ruderboot gefüllt mit Wasser und Schaum ) von Stephanie Lüning

© Hüning fotografiert Lüning: Arbeit „Goldstück“ (Installation / vergoldeter Bronzeguss, basierend auf vor Ort entstandenem Wachsguss) von Stephanie Lüning

Paulette Penje beginnt ihre Performance „effluent“ am Entwässerungskanal in Fergitz unter reger Anteilnahme der herumstehenden Handybesitzerinnen / Foto: Fred Hüning

Paulette Penje taucht voll in ihre Performance ein / Foto: Fred Hüning

Paulette Penjes Performance hinterlässt Spuren auf dem Weg und bei den Zuschauerinnen / Foto: Fred Hüning

Die Performance als Kreuzgang / Foto: Fred Hüning

W E I T E R
S O
Fotos: Fred Hüning