vonFred Hüning 29.02.2024

FKK – Foto, Kunst & Kapriolen

Fred Hüning, Fotograf & Tagedieb, sitzt in einer einsamen Blog-Hütte im Brandenburgischen und schreibt und fotografiert für sein Blog-Buch.

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Die Produzentengalerie Galerie M in Potsdam (Charlottenstraße 122) präsentiert in zwei Ausstellungen die Ergebnisse des künstlerischen Projekts „diversity practice, Werkstatt der Generationen“. Der zweite Teil ist vom 16. Februar bis zum 17. März 2024 zu sehen u.a. mit dem Künstlerinnen-Tandem Erika Stürmer-Alex– Jenny Alten. Ein Match made in Heaven sich bewegender Teilchen, das ich hier in ihren eigenen Worte vorstellen möchte.

Zunächst aber ein paar Informationen zu dem Ausstellungsprojekts „diversity practice, Werkstatt der Generationen“:

20 Brandenburger Künstler:innen haben sich auf ein ungewöhnliches künstlerisches Experiment eingelassen: Sie arbeiteten mit Partner:innen zusammen, die nach dem Zufallsprinzip ermittelt wurden, um ein gemeinsames Kunstwerk herzustellen. Dazu wurden im Losverfahren zehn Tandems zusammengestellt, deren Beteiligte verschiedenen Generationen angehören. Die Mitwirkenden entwickelten während einer sechswöchigen Arbeitsphase eine gemeinsame Fragestellung in Bezug auf ihre Zusammenarbeit und daraus resultierend eine gemeinsame künstlerische Arbeit. Der jüngste am Projekt beteiligte Künstler ist 32 Jahre alt, die älteste Künstlerin 85 Jahre. Die Zusammenarbeit erfolgte nach von den Tandems individuell definierten Regeln, meist in direkten analogen oder digitalen Treffen, in denen das gemeinsame Kunstwerk entstand. Die entstandenen Gemeinschaftswerke gehören unterschiedlichsten künstlerischen Genres an: Malerei, Skulptur, Installation, Fotografie, Zeichnung, Video.

So weit, so interessant. So ein Projekt könnte natürlich auch durchaus schiefgehen … die erste Ausgabe (11. Januar – 9. Februar) machte schon größtenteils einen guten Eindruck, die aktuelle, zweite Ausgabe ist sogar komplett gelungen und von hoher künstlerischer Qualität. Eine sehr gelungene, intensive und absolut sehens- und lesens(!)werte Zusammenarbeit möchte ich hier vorstellen – in ihren eigenen Worten und Überlegungen:

Jenny Alten (1977 Berlin West) interessiert „die Deformation der Grenzen an der Kreuzung von Identität, Politik, Ästhetik und sozialer Verantwortung in Text, Bild und Sound. Die Abstraktion auf der Leinwand zerbricht an Figuration, ihre Figuren im Kino die Regeln der eigenen Existenz. Ihre Werke thematisieren ihre Angst vor Begrenztheit und unterlaufen diese durch dysfunktionalisierende Brüche und die Zurschaustellung der Selbstzweifel in Bezug auf die eigene Rolle, Geschlecht und Herkunft. Sie ist Absolventin der Filmhochschule HFF München und lebt mit 3 Kindern in Potsdam.“

Erika Stürmer-Alex (1938 Wriezen) ist laut Wikipedia „eine deutsche Malerin und Grafikerin, die in den Bereichen Tafelbild, Druckgrafik, Collageplastik, Polyesterplastik, Installation und Wandmalerei künstlerisch tätig ist.“. Dies sagt alles und zugleich nichts über diese sehr charismatische und wortgewaltige Künstlerin. Ich empfehle das Filmporträt „Im Stillen laut“ von Therese Koppe über das bewegte Leben von Erika und ihrer Partnerin Christine Müller-Stosch.

JENIKA, so nenne ich die beiden einfach mal ganz liebevoll, haben sich also bei Erika auf ihrem berühmten Künstlerhof getroffen und ganze (oder zumindest eine) Nächte durch geredet, getrunken (so stelle ich mir das vor), gelacht (auf jeden Fall) und gedacht (sehr ernsthaft und reflektiert über Gott und die Welt, Krieg, Kunst, immer wieder über Kunst).

© JENIKA / Aufnahme: Heike Mildner / Artwork: Fred Hüning

Das gemeinsame Bild der beiden kann man in der Galerie M besichtigen. Ebenso einen kleinen Film, den Heike Mildner von der gemeinsamen Arbeit aufgenommen hat. Auf der Tonspur hören wir Ausschnitte aus den Redeprotokollen, die zum Nachlesen in ganzer Länge in der Galerie ausgedruckt liegen. Unbedingt lesenswert! Für alle, die Kunst machen!! Für alle, die Kunst leben!!!

Da man aber bei einem Galeriebesuch selten die Muße hat, ganz tief in einen Text einzutauchen, habe ich hier ein paar Zitate heraus gesucht, die mir besonders gefallen haben:

Erika:

Das ist so ein Punkt, wo wir vielleicht ganz verschieden sind, durch unser verschiedenes Alter. Du siehst die Erzählung, und ich sehe das Material, ich sehe eine Form.

Jenny:

Vielleicht kommt der Impuls, Kunst zu machen, auch daher, dass man selber an diesem Punkt mal gestoßen ist, zu merken, was macht denn Sinn, und dann hat man was entdeckt, was so eine Freude macht, die trägt soweit.

Erika:

Aber die, in dieser Gesellschaft sind ja die Künstler wirklich in einem Dilemma, denn der Staat vergibt Aufträge in Form von Projekten. Die Projekte sind alle so angelegt, dass die Künstler Reparatur-Brigaden sein sollen für gesellschaftliche Schiefläufe.

Jenny:

Wir malen zusammen ohne zu sprechen, aber vorsichtig wie Katzen, die ein neues Terrain erkunden. Gleichzeitig wild und ungestüm, wie nach langer Abstinenz vom Liebemachen. Wir sind sich bewegende Teilchen verbunden nicht nur miteinander sondern mit allem. Ein starker Strich von Dir und ich will antworten. Die Pinsel sprechen und die Zeit fliegt. Wir lassen viel Platz füreinander.

Erika:

Sollte ich nicht lieber mich mehr nur um meine Bilder kümmern, wie die Frau O’Keeffe das macht so?

Jenny:

Wir sehen uns wieder, malen weiter und stürzen uns auf die weiße Fläche. Lachend. Mit dem Wissen, dass es gehen kann – gemeinsam, wagen wir mehr und stürzen das Bild in Ratlosigkeit. Doch der Prozess ist gut und ich begegne dir mehr.

Erika:

Ich habe als Beispiel den Bäcker. Ich meine, ich kann kein Brot backen, oder ich will es auch nicht. Er backt mir das Brot, und ich mache für ihn Kunst., Oder ich denke manchmal auch für ihn mit, weil er das nicht so gelernt hat, weil er auch nicht die Zeit dazu hat, weil er ja immer sein Brot backen muss.

Und das Schlusswort hat Erika:

Der Zufall hatte uns gut zusammengewürfelt.

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https://blogs.taz.de/fkk/jenika-im-tausch-der-farben/

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