vonFred Hüning 13.11.2025

FKK – Foto, Kunst & Kapriolen

Fred Hüning, Fotograf & Tagedieb, sitzt in einer einsamen Blog-Hütte im Brandenburgischen und schreibt und fotografiert für sein Blog-Buch.

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Heute vor zehn Jahren ist Freitag, der 13. November 2015. Es ist PARIS PHOTO und ich habe bis 20 Uhr im Untergeschoss des Louvre auf einer Nebenmesse den Stand meines Verlegers betreut. Da der Abend wunderbar mild ist, freue ich mich auf einen langen Spaziergang. Gegen 21 Uhr überquere ich die Place de la République und gehe dann die Rue du Faubourg-du-Temple hoch, wo sich meine Unterkunft befindet, vorbei am Café Bonne Bière, das ich nicht weiter beachtete und in dem um 21:32 Uhr drei Menschen sterben werden. Bevor ich auf mein Zimmer gehe, setze ich mich in einen Falafel-Laden. Das Essen ist günstig und auf dem Fernsehbildschirm spielt Frankreich gegen Deutschland – live aus dem Stade de France. Mitten im Spiel wird die Übertragung unterbrochen und ein Stadtplan von Paris eingeblendet. Die Männer im Lokal (es sind tatsächlich nur Männer) gestikulieren wild, reden hektisch, aber in gedämpfter Lautstärke, auf Französisch und Arabisch. Dann braust eine wahre Kolonne von Polizeifahrzeugen mit Blaulicht und dem berühmten Signalton die Rue du Faubourg-du-Temple entlang. Ich verstehe im wahrsten Sinne des Wortes: nichts. Ich spreche einen der Männer auf englisch an, er antwortet auf arabisch. Ich zahle, gehe auf mein Zimmer, lege mich aufs Bett. Kurz vor 22:00 Uhr eine SMS aus Deutschland: ALLES GUT BEI DIR???

Ich habe diese Liebeserklärung an Paris bereits vor 3 Jahren hier veröffentlicht. Ich habe aber das vage Gefühl, dass heute mehr Menschen meinen Blog lesen als damals (ich kann mich da auch täuschen) und das große Bedürfnis, mich besonders zum 10. Jahrestag des Terrors erneut zu Wort zu melden.  Ich bitte also um Verständnis und fordere nochmals die geneigten LeserInnen auf, meine völlig subjektive, völlig unvollständige, völlig unzureichende und bestimmt fehlerhafte Liste zu ergänzen:

Paris – Auf das, was wir lieben

Die große Leidenschaft fürs Kino

und die rätselhafte Begeisterung für die Langweiler der Berliner Schule

Werner Herzog, der durch Eis und Schnee von München nach Paris pilgert, wo Lotte Eisner im Sterben liegt

Im Louvre der vergebliche Versuch, die Traube aus Menschen und Handys vor der Mona Lisa zu umgehen

und am gleichen Nachmittag im Musee D’Orsay das unfassbare Glück, fünf Minuten alleine vor dem Ursprung der Welt verbringen zu können

Jean Seberg am Champs-Élysées und das Kopfkino, das diese 4 Worte auslösen

Die Kinobesuche in den Filmen von Godard

Der Wettlauf  der Außenseiterbande im Louvre und dessen Zitate

Agnes Varda im Rollstuhl, die von J.R. im Laufschritt durch den Louvre geschoben wird

und die ständig ausruft: DAS DA und DAS DA und DAS MÖCHTE ICH SEHEN

Drei Farben: Blau Weiss Rot

und die Freude darüber, dass dies auch die Farben meines Heimatlandes Schleswig-Holstein sind

PSG und wie es nach dem Abgang der Superstars plötzlich Titel gewinnt

Das Mädchen und der Kommissar, wo der deutsche Titel einmal so viel besser als der originale ist

Der ununterbrochen rauchende Piccoli in Die Dinge des Lebens

Sissi die in Paris zu Romy Schneider wird

Romy Schneider in Die Dinge des Lebens, Romy Schneider in Nachblende

Die deutsch-französische Liebesgeschichte des Jahrhunderts: Romy Schneider und Alain Delon

Kunst, Kunst, Kunst

Die Erfindung der Fotografie

Der hohe Stellenwert der Fotografie

Die Erfindung des Kinos

Der hohe Stellenwert des Kinos

Die Wasserspeier von Notre Dame, die das große Feuer überlebt haben

Karim Benzema, der die Marseillaise nicht mitsingt, das „Unreines Blut
Tränke unsere Furchen!“

Karim Benzema, der Kriminelle, der nicht mehr für Frankreich spielen darf

Karim Benzema, der Weltfussballer

Die Eleganz von Zinédine Zidane, über die sogar ein Kinofilm gemacht wurde

Die Exzentrik von Michel Houellebecq

und die schlechten Zähne von Michel Houellebecq

Philippe Djian und sein verschlufftes Autorenfoto im Seitenprofil, das er seit Betty Blue in jedem neuen Buch stur weiterverwendet

Keine west- und ostdeutsche Kindheit denkbar ohne die Filme mit Louis de Funès

Kommissar Maigret, der lieber Bier als Wein trinkt

Kommissar Maigret, der sich einen ganzen Roman genötigt sieht, den verhassten Pernod zu trinken

Kommissar Maigret, der vor jedem langen Verhör Unmengen Alkohol aus der Brasserie Dauphine heranschaffen lässt

Der verbotene Henry Miller, der in Paris wunderschön und lesbar wie selten seine Stillen Tage in Clichy beschreibt

und dazu die kongenialen Fotos von Brassaï

Die Geschichte der O. und dessen geheimnisvolle Autorin, der unsterblich in ihren unerreichbaren Chef verliebten Chefsekretärin bei Gallimard,

die unter Pseudonym einen Weltbestseller des erotischen Romans schreibt

Der unverkrampfte Umgang mit Sex in Film, Literatur und Leben

Präsident Mitterand bittet 1990 zweihundert ostdeutsche Künstler aller Sparten in den Élysée-Palast

und Flake, der sich damals das Metro-Billet nicht leisten kann und heute mit seiner Band das Stade de France ausverkauft und Multi-Millionär ist

Die rotweintrunkenen Tagediebe auf dem Grab von Jimi Morrison (heutzutage abgesperrt)

Der realistische Polizeifilm, ein ganz eigenes Genre des Kinos

Jean Dujardin und sein unverwechselbares Siegerlächeln

und Jean Dujardin der kein einziges Mal dieses Lächeln zeigt in „November“, einem Polizeifilm über die hitzige Fahndung nach den Terroristen vor 10 Jahren

Die täglichen Spaghetti und Rotweinabende bei Picassos im Bataeu Ivre

und um was alles die Kunstgeschichte sonst noch ärmer wäre ohne Paris

Und immer wieder die Pariserin Barbara, die 1964 auf einem Konzert in Göttingen den Deutschen symbolisch die Hand reicht und für Versöhnung plädiert:

„Lasst diese Zeit nie wiederkehren / und nie mehr Hass die Welt zerstören / es leben Menschen, die ich liebe / in Göttingen / in Göttingen …“

Ja & Oui: ES LEBEN MENSCHEN, DIE WIR LIEBEN, IN PARIS, IN PARIS.

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https://blogs.taz.de/fkk/paris-auf-das-was-wir-lieben-2/

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