vonFred Hüning 03.12.2025

FKK – Foto, Kunst & Kapriolen

Fred Hüning, Fotograf & Tagedieb, sitzt in einer einsamen Blog-Hütte im Brandenburgischen und schreibt und fotografiert für sein Blog-Buch.

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Und was hast du gesehen, mein kunstsinniger Freund?
Was hast du gesehen, mein Sohn, in der Albertina zu Wien?

Ich sah ein junges Mädchen, brach dem Tod alle Knochen beim Tanz
Ich sah den Heiland, gebrochen, geschunden, ganz Mensch
Ich sah drei wilde Hexen, fröhlich, nackt, lüstern und frei
Ich sah eine Mutter, gekrümmt, vorn zerrte das Kind, hinten der Tod
Ich sah einen Schädel, der lachte rauchend dem eigenen Tod ins Gesicht
Ich sah einen Jungen, nackt und gebeugt, der geigte dem Tod seinen Zorn

Was sich anhört wie KI-basierter Bob Dylan für Minderbegabte ist tatsächlich ganz analog erlebter Kunstgenuss … Budzinski, (nach) Holbein der Jüngere, Grien, Kollwitz, van Gogh, Enckell. Was, wie, Budzinski, Enckell? Never heard? Ging mir genauso. Obwohl GOTHIC MODERN * im Untertitel die Blockbuster-Namen MUNCH BECKMANN KOLLWITZ auftischt (VAN GOGH, der immerhin mit seinem „Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette“  der Ausstellung, dem Katalog, diversen Merchandisingprodukten und stadtweiten Postern einen echten Eye-Catcher beschert, wird hier seltsamerweise nicht mit erwähnt), sind es gerade die weniger bis garnicht bekannten Namen, die für echte Überraschungen und wunderbare Neuentdeckungen sorgen. FÜR MICH DAHER DIE AUSSTELLUNG DES JAHRES! 

Gefühlter Schirmherr von GOTHIC MODERN ist für mich der unvergleichliche Karl Lagerfeld, denn niemand war vom Kleidungsstil mehr GOTHIC und von der Bandbreite seiner Arbeit mehr MODERN. Gesegnet mit norddeutschem Humor sprach er in einem Krankenhaus bei Paris seine legendären letzten Worte, die ohne weiteres auch als Motto der Ausstellung durchgehen könnten:

„Da hat man drei Rolls Royce und muss in einem solchem Zimmer sterben“.

Aber: Was ist eigentlich GOTHIC MODERN? Edelfeder Ulf Erdmann Ziegler bringt in der aktuellen MONOPOL das literarische Kunststück (von mir nicht ironisch gemeint, sondern als Vorbild) fertig, einen ganzen langen Artikel offen zu lassen, ob er die Ausstellung jetzt empfiehlt oder eher davon abrät. Der fluffig-griffige Titel scheint UEZ aber wenig intellektuell, er schlägt (sehr wohl ironisch gemeint) „GRUFTI DADA“ als Alternative vor. Also, die Künstlerinnen der Moderne suchten jenseits der eingefahrenen akademischen Lehre nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, frischer, lebensnaher, ursprünglicher, echter. Diese fanden sie ausgerechnet in der Kunst der Gotik. Im Mittelalter ging es immer um Leben und Tod. Kriege, Hunger, Gefahr, Pest. Damit konnte die Moderne arbeiten, lagen sie doch selbst in den Schützengräben des 1. Weltkrieges und/oder wurden von der Spanischen Grippe hinweggefegt. Wir Heutigen hatten kaum Corona überstanden (die Jugend hat immer noch daran zu knabbern), da brach mitten in Europa ein Krieg aus und so fort, so böse (die Stichworte dazu brauche ich hier nicht extra ausführen). Deshalb kommt diese Ausstellung zur richtigen Zeit und am richtigen Ort: GOTHIC MODERN CITY VIENNA. Dabei ist die Schau einem Berliner zu verdanken: Der noch ziemlich neue Generaldirektor Ralph Gleis war nämlich von 2017 bis 2024 Direktor der Alten Nationalgalerie und hat dieses zusammen mit dem Ateneum Art Museum in Helsinki und dem Nationalmuseum in Oslo entwickelte Ausstellungskonzept eigentlich noch in Berlin verwirklichen wollen. Ob das in der ständig klammen deutschen Hauptstadt die gleiche ganz große Oper geworden wäre, wage ich zu bezweifeln. Die Albertina hat natürlich auch immer bessere „Argumente“, wenn es darum geht, hochbegehrte Werke anderer Museen für eine Ausstellung auszuleihen. Wer es sich leisten kann, ein Meisterstück wie „Das große Rasenstück“ von Dürer (dafür würde ich jederzeit die „Mona Lisa“ eintauschen wollen) im Depot zu lassen, dem steht die ganze Kunstwelt offen. Aber, wie bereits angedeutet, sind es garnicht die Big Names, sondern die (relativ) Unbekannten (kann/muss man das eigentlich gendern?), die hier für „Eskalation des Körpers “ und für „Liebe und Sinnlichkeit“ sorgen (um damit zwei Kapitel / Räume des Rundgangs zu zitieren).

3 Beispiele:

Magnus Enkell malt 1893 vor neutralem, depressiven Sepia-Hintergrund (ist es das Meer oder eine Bühne) einen nackten Jungen auf den Boden gekauert, mit den Händen einen Totenschädel haltend, ernster Blick, Auge in Auge, ein Zwiegespräch führend, Hamlet-Referenz.

Emanuel Vigeland malt 1897 Adam und Eva als Mann und Frau, wie du und ich. Kein Baum, kein Apfel, keine Schlange. Eva mit geschlossenen Augen, ihren Kopf an Adams Schulter schmiegend. Adam mit leerem Blick, voller Angst, kein Beschützer. Nackt und bloß, in eine feindliche Welt geworfen, gottlos.

Das erstaunlichste Bild aber, ein echter Solitär: Wilhelm Morgner malt 1911 einen blauen Sämann (kein blaues Pferd, sondern: Blue Man), der eine rote Wassermelone durch eine knallbunte Graffiti-Landschaft schleppt, darüber scheinen zwei Lars-Von-Trier-Melancholia-mäßige Sonnen (oder ist es ein Mond und eine Sonne?). Von weitem habe ich das Bild für einen Keith Haring gehalten, echt jetzt!

Ganz ehrlich: sind Sie fast eingeschlafen beim Lesen dieser Bildbeschreibungen? Kein Wunder, Visuelles muss man eben Sehen und Spüren! Also auf nach GOTHIC MODERN CITY VIENNA!

GOTHIC MODERN
Munch, Beckmann, Kollwitz
Bis 11. Jänner 2026

ALBERTINA
Albertinaplatz 1
1010 Wien

Und bevor es hier noch meine visuellen Eindrücke der Ausstellung und von Wien sowie Pressebilder zur Ausstellung zu sehen gibt, freue ich mich sehr, den nachfolgen Satz hier noch einmal schreiben zu dürfen (eine voreingenommene Berichterstattung bedeutet dies natürlich in keiner Weise): DIESER BEITRAG ENTSTAND IM RAHMEN EINER PRESSEREISE AUF EINLADUNG DER ALBERTINA. 

 

„Zwillinge bei der Geburt getrennt“ (O-Ton Kurator Dr. Ralph Gleis) – DIX (Selbstportrait, 1913) inspiriert von „Augsburger Meister“ (Bildnis eines jungen Mannes mit roter Kappe, um 1510/1520) – Ausstellungsansicht / Foto: Fred Hüning

„Zwillinge bei der Geburt getrennt“ (O-Ton Kurator Dr. Ralph Gleis) – Schiele (Die Umarmung, 1914) inspiriert von Minne (Knieender Jüngling, 1898) Doppelseite des hervorragenden Katalogs zur Ausstellung © Fred Hüning

Ein echter Eye-Catcher , 100% instagrammable, hier als Selfie-Wand © Fred Hüning

GOTHIC MODERN beginnt in der DUNKELHEIT und strebt dann Raum für Raum dem LICHT und den STERNEN entgegen © Foto: Fred Hüning

GOTHIC MODERN CITY VIENNA, hier am Stephansdom © Fred Hüning

Tanzende Skelette / Ausstellungsansicht GOTHIC MODERN / Foto: Fred Hüning

GOTHIC MODERN CITY VIENNA, hier am Stephansdom © Fred Hüning

Und nun noch ein paar wunderbare Pressebilder:

Akseli Gallen-Kallela / Lemminkäinens Mutter, 1897 / 85,5 × 108,5 cm, Tempera auf Leinwand / Finnish National Gallery / Ateneum Art Museum, Antell Collections, Helsinki / © Foto: Finnish National Gallery / Hannu Pakarinen

Vincent van Gogh / Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette, 1886 / 32,3 × 24,8 cm, Öl auf Leinwand / Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation)

„Zwillinge, bei der Geburt getrennt“ (O-Ton Kurator und Generaldirektor der Albertina Ralph Gleis):

Paula Modersohn-Becker / Stillende Mutter, 1902 / 72,2 × 48 cm, Öl auf Pappe / Kunstpalast, Düsseldorf / © Foto: Kunstpalast – LVR-ZMB – Joshua Esters – ARTOTHEK

Hans Baldung Grien / Maria mit Kind und Papageien, 1533 / 91,5 × 63,3 cm, Mischtechnik auf Lindenholz / Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg / © Foto: Germanisches Nationalmuseum, Foto: Dirk Meßberger

Nach Hans Holbein d.J. / Der tote Christus im Grab, 17. Jahrhundert / 37,8 × 207,6 cm, Öl auf ungrundiertem Tannenholz / Stiftsbibliothek St. Gallen / © Foto: Stiftsbibliothek St. Gallen

Käthe Kollwitz / Tod und Frau, 1910 / 43,8 × 43,9 cm, Radierung / © ALBERTINA, Wien

© Texte / Fotos: Fred Hüning

© Pressebilder: Albertina

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