vonFred Hüning 31.08.2025

FKK – Foto, Kunst & Kapriolen

Fred Hüning, Fotograf & Tagedieb, sitzt in einer einsamen Blog-Hütte im Brandenburgischen und schreibt und fotografiert für sein Blog-Buch.

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Es ist Sommerpause und der Brandenburg-Berlin-Kulturblog nimmt sich die Reisefreiheit und widmet sich auswärtiger Kunstorte. Nach Hamburg im Juli steht heuer (ein erster sprachlicher Hinweis) WIEN im Fokus der teilnehmenden Beobachtung. Der VdZ (aka Verfasser dieser Zeilen) ist schon seit Jahren absolut schockverliebt in die Kunststadt Wien, wo regelmäßig gleichzeitig mehrere relevante Großausstellungen zu bestaunen sind, von denen Berlin Jahrzehnte zehren könnte (denn 2 b honest: nach der britischen SENSATIONS-Sause im Hamburger Bahnhof und den MOMA – Franzosen in der Neuen Nationalgalerie kam nicht wirklich mehr Sensationelles in die deutsche Hauptstadt). Mein befreundeter Österreich-Insider und Herbergsvater für meinen Wien-Trip im August hatte mich aber diesmal vorgewarnt, dass ich jetzt in den österreichischen Sommerferien selbst hier mit ausstellungstechnischer Schonkost zu rechnen habe. Das stimmte zwar teilweise, in sieben heißen Sommertagen (in Wien beginnt schließlich der Balkan) habe ich trotzdem noch eine Menge hochklassiger Kunst in angenehm temperierten Kunsttempeln genießen dürfen und dabei dank meines Presseausweises der TAZ einige Hundert Euros an Eintrittskosten gespart.

Aber hier nun meine Kunststipps, Teil 1:

Der britische Großkünstler und Multimillionär DAMIEN HIRST stellt noch bis zum 8. Oktober 2025 seine DRAWINGS in der ALBERTINA MODERN (Karlsplatz 5, 1010 Wien) aus und war für mich eine unerwartet starke und überraschende Erfahrung. Denn die DRAWINGS bieten (Auszug aus dem Ausstellungstext) „einen faszinierenden Einblick in Hirsts kreative Prozesse, beginnend mit Zeichnungen und Skizzen, die seit den 1980er Jahren entstanden sind. Diese Bilder, von denen viele in Vorbereitung auf seine bahnbrechenden Werke entstanden, werden zusammen mit einer Auswahl verwandter Skulpturen und Gemälde gezeigt. Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist Hirsts konzeptionelle Herangehensweise an die Zeichnung, die er auf unterschiedliche Weise einsetzt – manchmal als erste Studie für ein größeres Werk, manchmal als autonomes Werk, das für sich allein steht, und manchmal als retrospektive Erkundung von Ideen nach der Fertigstellung eines Kunstwerks. Für viele seiner bekanntesten Serien verwendete er Zeichnungen, um Ideen zu artikulieren, die er für ebenso bedeutsam hält wie die fertigen Kunstwerke selbst.“ 

Ich habe Hirst immer etwas oberflächlich als den cleveren Großkünstler mit enormen Verkaufstalent eingeordnet, der einen Tigerhai in Formaldehyd konserviert (unter dem schönem Titel „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“) und den Platinabguss eines menschlichen Schädles mit 8601 Diamanten („For the Love of God“) verziert und diesen 2007 für 75 Millionen Euro verkauft hat.

Die Wiener Ausstellung zeigt eindringlich, wie es bei Hirst bei allen seinen Arbeiten in irgendeiner Form um die Vergänglichkeit jeder Existenz geht und ihm dazu immer wieder auch neue, überraschende Umsetzungen einfallen. Und dass Hirst, zu den „lauten“ Arbeiten wie zum Beispiel „For the Love of God“ auch ein ganz zartes, leises Gegenstück geschaffen hat: den Totenschädel eines Kleinkindes auf Samt gebettet. Neben dem berühmt-berüchtigten Tigerhai gibt auch 3 in drei Rahmen eingelegte Seevögel, die an der Museumswand hochzufliegen scheinen.

Dass Hirst die eingenommenen Millionen nicht nur für ein schönes Leben ausgibt, sondern auch in total verrückte und wahnsinnig teure Kunstprojekte steckt, ist ebenfalls eine schöne Erkenntnis aus dieser Show. An dem Projekt Treasures from the Wreck of the Unbelievable, „das die Grenze zwischen Realität und Fiktion verwischt und die Glaubwürdigkeit von Kunst und historischen Erzählungen in Frage stellt“ hat er mit einem großen Team über 10 Jahre in und über Wasser gearbeitet. Es geht dort um ein vor über 2000 gekentertes und verschollenes Schiff eines antiken Kunstsammlers voller Kunstschätze. Dieses Schiff hat das Team von Hirst vorgeblich geortet und in einer aufwendigen Bergungsaktion – im Stil von James Cameron und seinen Tauchgängen zum Wrack der Titanic –  die Kunstwerke an Land geholt. Dazu gibt es eine filmische Dokumentation im Kinoformat und algen- und muschelbesetzte Skulpturen aus dem Wrack. Erst auf den zweiten Blick erkennt man den Schwindel, wenn sich eine der Skulpturen als authentisch gealterte Mickey-Mouse-Figur entpuppt und die antik wirkenden Zeichnungen der Kunstfunde Logos bekannter Automobilfirmen aufweisen.

Und jetzt zu der im Titel angekündigten „genialen Kombi“: Möglicherweise angefixt von Damien Hirst sollte man sich schnurstracks ins  JOSEPHINUM (Währinger Str. 25, 1090 Wien) begeben und sich die wunderbare und absolut faszinierende Mediceische Venus von 1785 anschauen. Dieses „Weibliche Ganzkörpermodell mit herausnehmbaren inneren Organen“ wurde von künstlerisch äußerst begabten Anatomen, Physiologen und Wissenschaftshistorikern unter der Leitung von Felice Fontana (1720-1805) und Paolo Mascagni (1752-1815) geschaffen und sind ein perfektes Beispiel für ein Werk- wie das heutzutage gerne so benannt wird – an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft.

Hier meine fotografisch festgehaltenen Eindrücke der beiden Ausstellungen:

Damien Hirst in der ALBERTINA MODERN mit einem gekreuzigten Rind … ganz große Oper

Die Mediceische Venus im JOSEPHINUM und weitere anatomischen Wachsmodelle an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Kunst und Wahnsinn

DER URSPRUNG DER WELT – hier ganz im Dienst der Wissenschaft

alle Fotos Josephinum Wien: Fred Hüning / 2025

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