vonannette hauschild 22.02.2011

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Der Kronzeuge und seine Geschichte

Und um die Glaubwürdigkeit des „reuigen Zeugen“ , Semih G,  ging es am vorvergangenen Mittwoch erneut. Ein Zeuge vom Hörensagen, ex-DHKP-C-Mann.  Die Bundesanwaltschaft glaubt ihm. Er ist einer der wenigen Zeugen, auf die die Anklage sich stützen kann. Die GBA glaubt, dass es in der illegalen Organisation DHKP-C eine Befehlshierarchie gegeben habe, in der die Anweisungen strikt von oben nach unten gingen. Andere Vorwürfe sind bröckelig geworden und wurden zuletzt ganz fallen gelassen, z.B. der Verdacht auf Faruk E. s Mitgliedschaft im Zentralkommitte der DHKP-C, die Faruk selbst, unter Hinweis auf seine psychische Erkrankung, immer bestritten hat.  (Meine Freundin, die Psychiatrieerfahrung hat, meinte dazu: „Das wäre doch Selbstmord, jemanden der so ne Krankheit hat, in ein Führungsorgan zu berufen. Die sind doch nicht lebensmüde.“  Allerdings muß ich auch sagen, dass fast alle Mitglieder dieser Organisation in den 80er und 90er Jahren in der Türkei verhaftet und gefoltert wurden, und dass eine psychische Erkrankung von vielen berichtet wird. )

Zum Hintergrund hier einige Artikel aus der Wikipedia:

http://de.wikipedia.org/wiki/Militärputsch_in_der_Türkei_1980

http://de.wikipedia.org/wiki/Devrimci_Sol

Die zentrale Frage  am vorvergangenen Mittwoch lautete: War G. nun 1993 gefoltert worden oder nicht? Darf das Gericht seine Aussagen verwenden oder nicht? G hatte dazu selbst widersprüchliche Angaben gemacht. 1993 soll er gesagt haben, er sei gefoltert worden. 2010 hat er seine frühere Aussage als nicht wahr bezeichnet.

G. war nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 zusammen mit hunderten anderen Dev Sol-Mitgliedern, u.a. auch Faruk E., verhaftet worden und im Istanbuler Gefängnis Metris interniert. Es gibt im Internet ausführliche Berichte über Folter und erniedrigende Behandlung im Gefängnis und bei der  Staatsschutzabteilung der Polizei, die die Ermittlungen durchführte. Anfang der 90er Jahre wurde er erneut verhaftet.

Die Massenprozesse vor den Militär- und Sondergerichten gegen Mitglieder der Dev Sol, der Dev Yol und gegen die linke Gewerkschaft DISK in den 80er Jahren  wurden damals von der internationalen Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt.

Der Jurist Murat D. aus Köln, von der Verteidigung als Zeuge benannt, ist nach eigenen Angaben Experte im Themenbereich Menschenrechtsverletzungen und Folter.  Er berät Nichtregierungsorganisationen und Flüchtlingshilfevereine. Ich hatte durchweg den Eindruck, dass der Vorsitzende Klein den Zeugen als Juristenkollegen wahrnahm.

Um zu verdeutlichen, wie wichtig die Frage der erfolterten Aussagen seit Jahren für die deutsche Rechtsprechung in  Terrorismus-Verfahren, nicht nur mit Bezug auf die Türkei ist, sei darauf hingewiesen, dass der 6. Strafsenat des OLG Düsseldorf unter Otmar Breidling  in dem Prozess gegen die vier Islamisten, die im Sauerland festgenommen wurden, Zeugenaussagen aus Usbekistan direkt im Vorfeld als nicht verwendbar klassifizierte, weil allein der Verdacht bestand, dass sie unter Folter zustandegekommen seien.

Im Folgenden nun Ausschnitte  aus der Zeugenbefragung des 5. Strafsenats .

D. kennt Semih G  aus einer gemeinsamen U-Haft in der Türkei. G war später sein Mandant. Sie haben sich  im Jahr 1993  bei einem Besuch im Gefängnis Bayrampasa (gesprochen: Bayrampascha) in Istanbul per Zufall wieder getroffen. Damals sei G. offensichtlich gefoltert worden, erklärte Murat D. G.’s Arme hätten in einer typischen Haltung vor dem Körper gehangen, daraus habe er auf eine Nervenverletzung durch Aufhängen an den Armen schliessen können. Außerdem habe Semih G. an der linken Hand eine etwa einen Zentimeter lange offene Wunde zwischen der Wurzel des Daumens und des Zeigefingers gehabt.

Diese Begegnung sei in dem Zeitraum 1992/93 gewesen. Damals habe es in der Türkei eine Reihe von Rechtsreformen gegeben, nach dieser Zeit sei die Folter wieder schwerer und massiver geworden und die Verletzungen seien auch andere gewesen. Aber Semih G sei in dieser Zeit eine Ausnahme gewesen.

Frage des Vorsitzenden Klein: „Woran sahen Sie, dass er gefoltert wurde?“

Demir: „Herr Vorsitzender, ich war vier Jahre anwaltlich tätig in der Türkei und habe Erfahrung mit dem Erkennen von Menschen, die gefoltert wurden. (…) Wenn man längere Zeit an den Armen aufgehängt wird, gibt es aufgrund der Spreizung eine größere Nervenverletzung. Außerdem hatte er eine offene Wunde an der Hand.“

Der Vorsitzende fragte nochmals nach: „Woran sieht man das?“,

Demir stand auf und demonstrierte, wie jemand dasteht, der eine solche Nervenvberletzung erlitten hat. Er ließ die Arme kraftlos hängen. „Ich konnte ihm nicht die Hand geben, habe ihn nur leicht an der Schulter berührt,“ sagte er. (…)

Gericht: „Warum können Sie sich heute so genau daran erinnern?“

Demir: „Es hat wahrscheinlich mit dem Thema zu tun. Folter und Menschenrechtsverletzungen sind sehr gravierend. Und ich habe ein großes Archiv zum Thema Folter und Menschenrechtsverletzungen.“

Klein: “ Es könnte ja sein, das man hier vom Allgemeinen auf das Besondere schließt. D.h. 1992 wurde jeder gefoltert, also auch Semih G.“

Demir „Ich erinnere mich sehr konkret. Wir reden hier nicht von den achtziger Jahren, sondern von dem Zeitraum 1990 bis 1992, als man einen „Ballon“ von Rechtsreformen gestartet hat.“ G sei aber, wie gesagt, damals eine  Ausnahme gewesen. „Man hat sich damals bemüht, keine Folterspuren zu hinterlassen, z.B. die Arme wurden bandagiert (vor dem Aufhängen, damit keine Spuren bleiben, Anm.AH).  Man hat Verhaftungen in diesem Zeitraum nicht publik werden lassen, Menschen verschwanden. Es gab eine Reihe von ähnlich gelagerten Fällen, wo die Verhaftung nicht dokumentiert war.“ Nach 1993 sind die Foltermethoden wieder schwerer und massiver geworden. Und es war G., der mir sagte, daß sie sich jetzt keine Mühe mehr gäben, Folterspuren zu verbergen.“

Gericht: „Wissen Sie, dass Semih G. später in der Zeitschrift Mücadele 1993 eine Selbstkritik veröffentlicht hat, in der er sagt, ‚Ich habe gegen die Regeln der Organisation verstoßen, weil ich Angaben gemacht habe‘. Dabei gibt es keinen Hinweis, dass er die Angaben unfreiwillig gemacht habe, nicht unter Druck gesetzt wurde.“

Antwort D.:“Kann man sich vorstellen, dass ein Mann wie Semih G., der schon im Zusammenhang mit den Geschehnissen um den 12. September 1980 verhaftet wurde, und damit Erfahrung hat, dass er  diese Aussagen ohne Repression gemacht hat? Ich habe aus dieser Zeit (1992/93) keine Mandanten gehabt, bei denen selbst die undemokratischsten Rechtsnormen NICHT gebeugt wurden.“

Das Gericht hielt Murat D dann die Vernehmung von G. aus dem Jahr 2010 vor: „Da sagte er, er sei 1993 NICHT gefoltert worden.“

Antwort D.: „Ich bin Jurist und gewohnt, mit Beweisen und Dokumenten umzugehen. In der Türkei geht es nur, wenn Sie durch Dokumente belegen, dass gefoltert wurde, sonst kommen Sie in Teufels Küche. Und ich habe ihn 1993 selbst gesehen. Es gibt außerdem eine sehr ausführliche Dokumentation über Folterungen an Feridun Y und Hasan Ö. (beide zusammen mit G. verurteilt und inhaftiert).

(…)

Frage des Gerichts: „Wußte G, dass Sie im ‚Rechtsbüro des Volkes‘  tätig waren? War ihm bekannt, dass gegen Sie auch schon mal ermittelt wurde wegen Mitgliedschaft in der Dev Sol?“

Antwort D.: „Ich war zu Beginn meiner anwaltlichen Tätigkeit in diesem Büro tätig, Anfang der 80er Jahre , habe Mitglieder von Dev Sol und andere anwaltlich vertreten. Aus dieser anwaltlichen Tätigkeit heraus wurden gegen mich politisch motivierte Ermittlungen angestellt. Ich war damals ziemlich bekannt, habe auch prominente Schriftsteller und Intellektuelle vertreten.“

Beisitzer: „Es ging da sicherlich nicht um die Frage der Menschenrechte, sondern um eine terroristische Vereinigung.“

Antwort D.: „In der Türkei wird man in der Realität beschuldigt, (…)  wenn Sie aus Kurdistan kommen, wird man Sie beschuldigen, Mitglied der PKK zu sein, wenn Sie aus (Wort unverständlich) kommen, wird man sie beschuldigen, Dev Sol-Mitglied zu sein, wenn Sie einen Dersim-Hintergrund haben,wird man sie der Mitgliedschaft in der TIKKO bezichtigen. Das hat in einem Rechtsstaat nichts zu suchen.“

Dann waren die Bundesanwälte mit ihren Fragen dran.

Der jugendlich wirkende Staatsanwalt Helmut Grauer übernahm diese Rolle.

Grauer: „Sie haben geschildert, dass Sie Herrn G gesehen und an seiner Haltung und Handhaltung gesehen haben, dass er gefoltert wurde? Wie viele Menschen mit diesen Folterspuren haben Sie denn gesehen?“

Antwort D.: „Bezogen auf die Zeit 1992/93 hatte ich ja gesagt, dass G. eine Besonderheit war, da es damals eine neue Qualität in Bezug auf Folter gab.  (…)

Schon während des Studiums setzte ich mich mit Folter auseinander und dokumentierte sie. (…) Ich habe eine Unzahl von Menschen gesehen und unterscheide den Zeitraum 1992/93 und die Zeit nach 1993. Ich habe etwa 200 Personen gesehen.  Nach dieser Zeit wurden die Folterpraktiken schwerer, massiver und die Symptome waren auch andere.“

Grauer: „Hat Ihnen das jemand erklärt, diese Haltung?“

Antwort D.: „Dazu gibt es drei Antworten:

Erstens: Ich habe über 10 Jahre im Kontext von Menschenrechtsverletzungen gearbeitet. Zweitens habe ich in diesem Kontext viel mit Ärtzen und Psychologen zusammengearbeitet. Und drittens: Ich habe selber physisch erfahren, wie Folter ist und welche Auswirkungen das hat.“

Grauer: „Wissen Sie, ob G. nach 1993 gefoltert wurde?“

Demir: „Meine Kenntnisse stützen sich auf das Verfahren im Jahr 1989, bei dem Feridun Y.  und Hasan Ö. mit angeklagt waren. Das war dokumentiert. Ich habe keine Kenntnis für die Zeit danach.“

Grauer: „Und wie ist Semih G 1989 gefoltert worden?“

Antwort D.: “ Ich weiß, dass die gesetzliche Zeit der Inhaftierung überschritten wurde, es hat länger gedauert als üblich. Ich weiß, dass er gefoltert wurde und ich weiß auch, dass er bei seiner Rückführung aus Ankara (nach Istanbul) in schlechtem Zustand war. Er begab sich ins Krankenhaus und wurde den Ärzten der Rechtsmedizin vorgestellt. Dokumente liegen vor.“

Grauer: „Wie waren die Spuren?“

Antwort D.: „Davon habe ich keine direkte Kenntnis. “ Er fügte hinzu, es gebe aber Dokumente, ein Attest. Er könne aus der Akte vorlesen und trägt dann aus einem Dokument vor, das eine Begutachtung eines niedergelassenen Rechtsmediziners in Ankara ist. Der Arzt hatte 12 Personen untersucht, eine davon war Semih G. Der Arzt bescheinigte ihm eine „1 cm lange Erosion“ am rechten Arm („Bluterguß“), und am linken Ellbogen eine 3 cm lange Erosion. G habe eine Arbeitsbescheinigung bekommen, dass er drei Tage lang nicht arbeiten könne.

D. beschrieb im weiteren drei in der Türkei übliche Arten des Aufhängens: die „palästinensische Schaukel“, bei der Gefangenen die Hände auf den Rücken gebunden werden. Dann werden sie rückwärts daran aufgehängt. Die zweite sei die „Jesuskreuzigung,“ die dritte sei eine Form, bei der man gerade herunterhänge. „Ich glaube, es war die 3. Form, die bei ihm angewandt wurde“, fügte D. hinzu.

Grauer fragte weiter, ob D auch schon bei dem Stuttgarter DHKP-C-Prozess zu Semih G. befragt worden sei und was er dort über G. gesagt habe.

Antwort D.: „Ja. Ich habe in Stuttgart ausgesagt, dass G in verschiedenen Verfahren angeklagt war und dass seine Verlobte verschwunden ist.“

Grauer: „Haben Sie auch etwas zu Folter gesagt?“

Antwort: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich dazu befragt worden wäre.“

Grauer hält D. dessen Aussage in Stuttgart-Stammheim vor: Dort hatte D. erklärt, er habe als Referendar 1991 eine Reihe von Mandanten verteidigt vor dem Staatssicherheitsgericht und aus den Akten gewußt, dass G. gefoltert worden war.

Antwort D.: „G war 15 Tage lang in Ankara und 15 Tage lang in Istanbul verhaftet und schwerst gefoltert. Ich habe erleben müssen, dass Staatsanwälte bei solchen Folterungen beteiligt waren.“

Grauer: „Davon haben Sie hier noch nichts berichtet.“

Antwort D.:  „Meine Folterung wurde unmittelbar geführt und begleitet von dem Oberstaatsanwalt  (…) und dem Staatsanwalt (…) (Namen leider unverständlich) am Sondergericht in Ankara. Das ist ausführlich dokumentiert worden.“

Diese Antwort hätte nach meinem Dafürhalten wenigstens einen Moment peinlichen Schweigens erfordert, aber nichts dergleichen geschah. Die Fragen gingen einfach weiter. Hinterher sagte D. mir jedoch, in dieser Befragung habe weder das Gericht noch die Bundesanwaltschaft ihm in die Augen gesehen. Ich konnte es auch nicht, als er mir den Vorgang noch mal schilderte. Ich war nah am Heulen.

Grauer: „Das war aber nur bei Ihnen der Fall, bei G. nicht?“

Antwort: „Damit wollte ich zum Ausdruck bringen, dass in Ankara Staatsanwälte die Folter decken und auch anleiten. Aber bei G. wurde die Verbringung von Ankara nach Istanbul und wieder zurück durchgeführt, um die Festsetzungsdauer (die gesetzliche Frist war damals maximal 15 Tage) zu verlängern. Das kann nur ein Staatsanwalt anordnen. (…)“

(…)

Grauer:  hält ihm weiter seine eigene Aussage im Stammheimer Verfahren vor: D. war dort zu dem Spruch „Salz in offene Wunden“ befragt worden und hatte erklärt, G habe ihm 1994 mitgeteilt, d0ass man ihm angedroht habe, in seine Wunde Salz zu streuen. G. habe geglaubt, dies sei ein Zeichen dafür, dass man vorhabe, ihn umzubringen.

Antwort D. „Das war eine Verwechselung der Zeit, nach 1993 gab es kein Treffen.“

(…)

Grauer fragte, ob es1992/93 Anzeichen für Schizophrenie bei Semih G. gegeben habe.

Antwort: „Sein Verhalten war psychologisch gesehen nicht normal. Er hatte mir erzählt, dass er bei den Folterungen gedacht hätte, dass er nicht mehr leben wolle. Das war auch der Grund, warum ich kein Mandat mehr übernehmen wollte.“

Grauer: „Das halten Sie für nicht normal?“

(…)

Bevor die Verteidigung dann anfing, weist der Vorsitzende auf Inkongruenzen hin: aus 1994 wird 1992, Istanbul vs. Ankara (wo geschah was wann?)

Vorsitzender Klein: „Haben Sie sich auf diese Zeugenaussage vorbereitet? Antwort: „Anhand meiner Akten, Faruk E und Semih G waren ja meine Mandanten.“

Klein: „Haben Sie das Attest jemandem zur Verfügung gestellt“?
Antwort: „Ja, der Verteidigung. Ich bin dann noch zu zwei Polizisten die in diesem Verfahren (in Stammheim, AH) ausgesagt haben, befragt worden“.

Klein: „Haben Sie der Verteidigung auch noch etwas anderes gegeben?“

Anwort: „Ja, Medienberichte über Folterungen über und von Semih G, und über das Thema „Itrafce“.

Klein: “ Und Sie haben G 1994 nicht mehr gesehen?“

Antwort: „1994 war ich im Wehrdienst und kaum anwaltlich tätig.“

Klein: „Woher haben Sie das Attest?“.

Antwort: „Solche Dokumente stammten aus eigener anwaltlicher Tätigkeit, aus meiner Arbeit zu Menschenrechtsverletzungen in den Jahren 1988 bis 1995/96, und sie sind auch in Büchern veröffentlicht worden vom Menschenrechtsverein der Türkei.“

Der Verteidiger Wolfgang Schmidt aus Duisburg spielte anschließend  regelrecht den Advocatus Diaboli. Er wollte wahrscheinlich, verhindern, dass  der Senat bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Zeugen der Verteidigung der Vorwurf gemacht werden könne, nicht alles geklärt zu haben.

Schmidt: „Warum kritisiert Semih G in der Zeitschrift Mücadele“ sich selbst, wenn er gefoltert wurde?

D.: „Die Frage ist unzulässig.“
Vorsitzender Klein, etwas ungehalten: „Die Frage darf gestellt werden. Aus!“

Antwort D.: „In der Türkei ist es so, dass, wenn Sozialisten und Linke in politischen Prozessen sind, solche Selbstkritiken in politische Strafverfahren eingeführt werden. Diese Personen bekommen in ihren Strukturen mit, dass man NICHTS sagt. (…)“

Schmidt: „Wir haben gehört, dass die Organisationen ihren Leuten sagen, sie sollten behaupten, dass sie gefoltert worden seien, auch wenn sie nicht gefoltert worden sind.“

Antwort: „Während meiner gesamten anwaltlichen Tätigkeit habe ich keinen Fall gesehen, in dem politische Häftlinge nicht gefoltert wurden. Das Gelindeste war, dass sie den Schreien von Folteropfern zuhören mußten. Oder die „Willkommensprügel“ im Gefängnis. D.h. Neulingen werden die Augen verbunden und dann werden sie verprügelt. Das ist Folter. (…) Ich kenne keinen Fall, in dem Leute nicht gefoltert wurden, von ihrer Organisation aber gesagt bekommen haben, sie sollten behaupten, sie seien gefoltert worden. Solche Aussagen kenne ich aber von Kronzeugen.“

(…)

Schmidt: „Das Volksrechtsbüro (auch Rechtsbüro des Volkes genannt, AH) wird in die Nähe der Dev Sol gerückt bzw. als eine Untergliederung der Dev Sol dargestellt.“

Antwort D.: „Zur Zeit meiner Tätigkeit gab es dafür keine Anzeichen, definitiv nicht. Zweitens: diese Beschuldigung gegen die Anwälte resultieren aus der anwaltlichen Vertretung von Linken, Sozialisten, Aleviten, Kurden usw.. Drittens hat dieses Büro ein weltweit einmaliges Archiv über menschenrechtsverletzungen. Das Büro gibt es ja heute noch, die Anwälte vertreten heute auch Liberaldemokraten oder Menschen mit islamischer Ausrichtung.“

Schmidt: „Aber 1993/94 könnte man auf die Idee kommen….“

Antwort: „Wir haben ein Mädchen vertreten, das 1991 gegen den Golfkrieg protestiert hatte und verhaftet und angeklagt war, und Leute, die gegen das Abbrennen von kurdischen Dörfern protestiert haben, TIKKO-Leute, Wissenschaftler, die zur kurdischen Frage gearbeitet haben, aber auch nicht-politische Vergewaltigungsopfer.“

Schmidt: „Sind Sie mal verurteilt worden wegen Mitgliedschaft in der Dev Sol?“

Antwort: „Ja. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (kurz EGMR, AH) hat dieses Urteil in verschiedenen Punkten kritisiert.“ Dann folgte eine kurze Ausführung darüber, was der EGMR kann und was nicht. Er kann Gerichtsurteile rügen und kritisieren, aufheben kann er sie aber nicht. (weitere Infos unter dem Link http://www.coe.int/t/d/menschenrechtsgerichtshof/ )

Schmidt: „Ist Ihnen aufgrund der Verurteilung die Anwaltszulassung entzogen worden?“

Antwort: „Ich wurde 1997 verurteilt, 1998 hat der Kassationsgerichtshof das Urteil bestätigt.“ Die Zulassung sei eingefroren, meinte D.

Schmidt: „Mußten Sie zu dieser Strafe etwas verbüßen oder war das erledigt durch Haft?“ Antwort: „Ich war zweimal in Haft, jeweils für 8 Monate. Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte  wurde die Türkei gezwungen, die immateriellen Schäden durch eine Geldzahlung zu entschädigen.“

Schmidt: „Kennen Sie Lütfije K?“ Antwort: „Sie war 1993 meine Mandantin, man hat sie 1994 verschwinden lassen. Ich habe ihre Familie vertreten, um national und international ihr Verschwinden aufzuklären. Semih G. und Lütfije K waren verlobt.“

Schmidt: „Sie haben mir erzählt, dass Semih G. in  Militärkleidung in der Hürriyet abgebildet war,  verbunden mit einem Aufruf an die Revolutionäre, dass es besser sei, mit dem türkischen Staat zusammenzuarbeiten.“

Antwort: „S.G soll, obwohl es nicht zulässig war, in Militäruniform an der Operation in Tokat (gegen die PKK und die DHKP-C-Guerilla, Anm AH) teilgenommen haben.“

Schmidt: “ Großeltern eines Verschwundenen sollen berichtet haben, dass Semi G. zur Ankehr von der Revolution aufgerufen habe.“

D. berichtigt ihn: „Die Leute haben berichtet, dass es Personen gebe, die zur Aufgabe des Kampfes aufgerufen haben. G. wurde nicht genannt.“

(…)

Dann folgte eine kurze Debatte zwischen dem Vorsitzenden und dem Dolmetscher über die Bedeutung des Worts „Kronzeuge/Itirafci“

Klein zum Dolmetscher gewandt: „Welche Bezeichnung benutzt der Zeuge?“ Antwort: “ ‚Itirafci‘,  ‚Denunziant‘ „.    Klein: „Dann sagen Sie das bitte auch.“

Der Vorsitzende bat D. dann, bitte nicht die Gutachterrolle in Bezug auf die Kronzeugenregelung einzunehmen.

D.: „Es gibt in der Türkei Personen, die die Kronzeugenregelung in Anspruch genommen haben und mit der Staatsmacht an Operationen teilnehmen. Ich weiß sicher, dass unzulässigerweise Semih G als Kronzeuge an solchen Operationen teilgenommen hat.“

Öffentlichkeit ausschließen, um Folterer vor Vergeltungsaktionen zu schützen

Schmitt: „Sie haben Namen von Polizisten genannt, die sich durch Folter hervorgetan haben  (Hier folgten zwei Namen, die leider unverständlich waren.)

Richter Klein fiel ihm mit Blick auf die Zuschauer im Saal ins Wort. „Sie wissen, dass Sie hiermit ein Gefährdungspotential heraufbeschwören, wenn Sie die Namen nennen?“

Rechtsanwalt Schmidt: „Dann müssten wir überlegen, die Öffentlichkeit auszuschließen.“

Das ist ein starkes Stück!

Abgesehen davon, dass die Namen dieser Polizisten in den türkischen Zuschauern längst bekannt sein dürften, traten sie ja schon im Stammheimer Verfahren als Zeugen auf, und wurden dort als  Folterer enttarnt.

Aber Murat D. erklärte einfach: „Ich kenne diese beiden Personen, habe für mehrere Mandanten Beschwerden gegen die beiden geführt. Die meisten Verfahren endeten mit Freispruch, obwohl durch gutachten und obduktionen bewiesen wurde, dass gefoltert worden war. (…) Ich habe es selbst erlebt.“ Auf einer Reise nach Istanbul sei er zusammen mit einer Kollegin in Aksaray auf offener Strasse festgenommen worden. Sie wurden zum Polizeipräsidiumi gebracht „dorthin, wo die Folterungen stattfanden, dort bin ich am Abend bis zum frühen Morgen mit verbundenen Augen an der Heizung fixiert und von zahlreichen Polizisten verprügelt worden. Meine Hoden wurden gequetscht, und es wurde dabei arabeske und faschistische Musik gespielt. (…) Am nächsten Morgen wurden wir freigelassen von einem Kommissar, der seinen Dienst gerade angetreten hatte. Ich konnte ja nicht sehen, wer mich schlug, aber unter den Anwesenden war dieser E. Wir haben Beschwerde eingelegt, aber sie wurde fallengelassen.“

Damit war die Vernehmung beendet.

D. mußte dringend weg. Der Senat entließ ihn, besprach sich kurz, in dieser Zeit verließ D. rasch den Saal. Als Richter Klein ihn verabschieden wollte, sah er dass D schon nicht mehr da war, lachte und wünschte ihm eine gute Reise.

Das Gericht lehnte dann aber einen Antrag der Verteidigung auf Vernehmung von Feridun. Y und Hasan Ö. ab. Beide waren mit Semih G verhaftet und inhaftiert worden.

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