von 30.04.2009

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Parteienforscher Franz Walter der Universität Göttingen ist unser Mann für die wissenschaftliche Einleitung der ‚parteipolitischen Podiumsdiskussionen‘. Auf dem tazkongress hat er nicht nur die farbenfrohe Diskussionsrunde zu Rot-Grün-Rot mit einem Vortrag angeteast, sondern auch die zur potenziellen Schwarz-Grünen Koalition, über die Wolfgang Schäuble mit Jürgen Trittin diskutierte.

Während die Mehrheit der Grünen-Wählerschaft Christdemokraten elitär und selbstgefällig findet, ist die der Grünen bürgerlicher als sie meint. Klar ist für Walter: „So bürgerlich wie unter Schwarz-Grün wäre die Republik jedenfalls noch nie regiert worden.“ Unten der komplette Redebeitrag von Franz Walter, hier das Video der gesamten Debatte mit Wolfgang Schäuble (CDU), Jürgen Trittin (Grüne), moderiert von taz-Redakteur Ralph Bollmann:

Warum haben eigentlich einige gelacht, als Ralph Bollmann gesagt hat „den Rat der Parteienforscher“? Entschuldigen Sie, Herr Schäuble, dass ich so’n bisschen missmutig bin, aber ich bin gerade durch die Gänge hierher gekommen und da hörte man alle zwei Minuten jemanden sagen, ich geh gleich zu Schäuble. Niemand sagt, ich geh gleich zu Walter, übrigens auch nicht zu Trittin, das muss man auch sagen. In meinem Buch werden übrigens auch beide vorgestellt. 15 Euro, fairer Preis.

Die Frage ist ja „Wer hat Angst vor Schwarz-Grün?“ Ich würde sagen, niemand. Aber es gibt trotzdem drei, vier, die gleich aufheulen, weil sie sagen, Schwarz-Grün finden sie ganz schlimm. Aber ich glaube, dass wenn so etwas wie Angst oder Furcht vorhanden ist, dann bei der Union als bei den Grünen. Und zwar ganz einfach weil die Grünen des Jahres 2009 so sind wie die des Jahres 1983, die die Christdemokraten als furchtbare Bürger, elitär und selbstgefällig gedeutet haben. Deshalb ist es ein Problem für die Union, die gar nicht so bürgerlich und elitär ist. Ob so selbstgefällig, weiß ich nicht. Die Zuspitzung der Bürgerlichkeit bei den Grünen, einer Volkspartei, die in einer Menge kleiner Regionen ihre Leute hat, in der Tat in den nicht-bürgerlichen Schichten vertreten ist und sie auch gewinnen muss, in der Tat ein großes Problem.

So bürgerlich wie unter Schwarz-Grün wäre die Republik jedenfalls noch nie regiert worden. Ich meine das ernst. Sie kennen`s doch auch, ich meine, Sie gehören doch alle dazu. Wenn ich von 1983, das war ja das erste Mal, das man ins Parlament gekommen ist. Es gibt dann auch die nackten Zahlen: Da waren knapp über siebzig Prozent der Wähler der Grünen eben noch nicht im Erwerb. Sie waren in der Ausbildung, im Studium, hatten aber auch noch nicht das Zertifikat. Ihr Einkommen war über Bafög oder solche Sachen relativ gering, jetzt ist das anders, wie wir wissen.

1983 gab es in der Wählerschaft der Grünen, genau wie 1987 noch nicht einmal ein Prozent, die man zum gewerblichen Bürgertum hätte zählen können. Heute oszilliert das irgendwo zwischen 12 und 14 Prozent. Bei den letzten Europawahlen im Jahr 2004 waren die Grünen in der Gruppe der Selbstständigen die zweitstärkste Partei. Da hat sich natürlich soziologisch erheblich was getan. Am stärksten bei den Beamten, und nicht irgendwelchen Kleinbeamten, sondern den weit fortgeschrittenen Beamten und dann kommen die Selbständigen. Und die Partei der Besserverdienenden sind nicht die Freidemokraten, sondern überwiegend Sie.

Jetzt könnte man sagen, das sind reinsoziologische Kategorien. Das ist sicherlich auch das, was Herr Trittin sagen würde. Es geht weiter. Ich glaube tatsächlich, dass eine große Anhängerschaft der Grünen inzwischen ein saturierter Verein geworden ist. Es gibt 2004, noch in der Zeit, als Rot-Grün existierte, eine sehr aufwendige Umfrage, die das Bundespresseamt in Auftrag gegeben hat, über die Einstellungen der jeweiligen Wählerschaft oder auch der sozialen Milieus zur Agenda 2010, zu Hartz IV, zur jeweiligen Partei, die man wählt, oder zur Bundesregierung. Sie wissen, im Jahr 2004 war eine große Unzufriedenheit im Land. Nur ein einziges Milieu war zu über siebzig Prozent vollkommen zufrieden mit den Verhältnissen in der Republik, mit den Verhältnissen der eigenen Partei, der Regierung, zufrieden mit der so genannten Agenda 2010, zufrieden mit den Sozialreformen. Das war die Grüne Anhängerschaft oder das, was man postmaterielles Milieu nennt. Fast überall anders war es das radikale Gegenteil. Diese Umfrage ist immer verschlossen geblieben. Ich weiß nicht, ob es an den Ministern lag, die gesagt haben, das können wir nicht so machen hier, dass wir inzwischen so ein kommodes Milieu geworden sind. Sie kennen den schönen Begriff, den man verachtet hat, als wir alle noch 23 waren, dass die Kleinbürger die Behaglichkeit und die Gemütlichkeit lieben. Das Grüne Milieu ist überwiegend ein behagliches Milieu geworden.

Wir haben jetzt genau so eine Umfrage gemacht zu allen möglichen Sachen. Das ist eine bezeichnende Angelegenheit, weil bei Umfragen kann man in der Regel anstreichen “Stimme voll zu“ oder „stimme gar nicht zu“ und eine ganze Reihe dazwischen. Bei den anderen Wählerschaften gibt’s immer eine ganze Reihe, die oben oder unten ankreuzen. Der Grüne an sich oder der Mehrheitsgrüne kreuzt immer „teils-teils“ an. Das muss man nicht verachten. Ich war ’78 auch noch bei diesem Tunix-Ding gewesen. Als ich hier stand, dachte ich, ach Gott, die sind echt älter geworden. Insofern könnte aber der Herr Schäuble vollkommen zufrieden sein und andere auch, die sagen: “Seht ihr? Das haben wir euch alles schon in den Siebziger/Achtziger Jahren gesagt. Wenn ihr mal größer seid, wenn ihr mal Geld verdient, werdet ihr auch vernünftig.“ Das ist das Credo von Helmut Kohl: Das Maß der Mitte. Nicht die Extreme. Das sind die Worte meiner Mutter: Nicht die radikalen Ausschläge. So ist dieser Saal inzwischen. Aber es ist eine Voraussetzung natürlich, dass Schwarz-Grün, wenn man ehrlich ist, eigentlich viel besser funktioniert, als wenn man immer behauptet, kulturell trennt uns so viel. Wohngemeinschaften muss man ja auch gar nicht machen, wobei es funktionieren würde. Es würde funktionieren, wenn Sie zusammen in den Urlaub fahren würden.

Wenn wir auf der empirischen Ebene bleiben: Was wir seit Monaten, also mehrere Institute, abfragen: Soll man die sozialen Sicherungen, die es gibt in der BRD, ausbauen, erweitern oder so lassen? Bei den Anhängerschaften der verschiedenen Parteien sind am stärksten die der Grünen dagegen, die sozialen Sicherungen auszubauen. Das hätten Sie vor 20 Jahren nicht gedacht. Da ist man übrigens nahe dran bei den Lagern der CDU und der Freien Demokraten. Es gibt in diesem Falle in der Tat kein Rot-Rot-Grünes Lager, sonder eines, das man auf Jamaika sehen würde. Das ist übrigens bei der Frage „Soll der Staat eingreifen in die Unternehmen, soll er sich Anteile verschaffen usw?“ Da gibt es bei den Anhängern der Parteien eine ganz klare Grenze. Bei den Anhängern wohl gemerkt, nicht bei den Parteien.

Grüne, Christdemokraten und Freidemokraten sind dagegen, dass man so etwas macht und die anderen sind in diesem Falle dafür.

Auch der Mindestlohn. Natürlich gibt es da ein ganz klares Bündnis zwischen den Parteiprogrammatikern oder Parteieliten, zwischen Rot-Rot-Grün. Aber die Zahl der Skeptiker ist innerhalb der grünen Wählerschaft vollkommen identisch mit der Zahl der Skeptiker innerhalb der Christdemokraten, während Sozialdemokraten und Linke weitaus stärker die Zustimmung bekunden.

Übrigens auch bei der Frage „Wen wählt man? Frau Merkel oder Herrn Steinmeier. Früher bei Herrn Beck war es noch deutlicher. Es gibt bis jetzt jedenfalls eine Mehrheit der Grünen, die Frau Merkel wählen würden, wenn sie das direkt könnten. Das ist sicherlich etwas, das man vor 10 Jahren noch nicht gesagt hätte. Auch bei den letzten Regionalwahlen gab es immerzu Abflüsse der Union an die Linke, in Bayern 70.000, die von der CSU zu den Grünen gekommen sind. Die Struktur verändert sich. Insofern könnte man sagen, sind die Koinzidenzen inzwischen sehr stark. Übrigens zwischen der CDU und den Grünen stärker als zur FDP und das ist dann etwas, das ich zu Herrn Schäuble sagen möchte: Die Freien Demokraten sind nicht nur dafür, dass man die sozialen Rechte nicht mehr ausbauen sollte, die sind natürlich mehrheitlich dafür, also die Anhängerschaften jetzt, dass man sie abbauen sollte. Dafür ist die CDU-Anhängerschaft aber keineswegs. Sie sind ja viele kleine Leute, die Grünen aber allerdings auch.

In der Frage der Bedeutung von Wert oder Ethik und des christlichen alltäglichen Engagements und in der Frage des Ehrenamts, sind die Christdemokratischen und die Grünen Anhänger auch fast identisch, während die Anhänger der FDP, denen ist das alles schnuppe. Gerade die neue Anhängerschaft der FDP hat nichts im Sinn mit Ehrenamt oder irgendeiner spezifischen Ethik. Das halten die alles für Klimbim. Das ist tatsächlich, nicht nur vom Klischee her, eine ziemlich unsympathische Anhängerschaft.

Es gibt ja auch Unterschiede. Wobei es in Koalitionen ja darauf ankommt, dass es Unterschiede gibt, denn die Vorzüge, die der eine hat und der andere nicht, sollen ja kombiniert werden. Komplementäre Fähigkeiten oder Vorzüge müssen dann gesucht werden. Insofern ist, um es ein bisschen zuzuspitzen: Die CDU/CSU ist eine Partei, deren meiste Anhänger ja nicht mehr arbeiten, vergleichsweise. Das macht natürlich auch die Reformpostulate so schwierig. Wie will man all diese Reformen, die man 2003 in Leipzig beschlossen hat, 2005 propagiert hat, durchsetzen, wenn man gerade in der Erwerbstätigen-Generation kaum noch Menschen hat. Das ist ja nicht böse gemeint. Diejenigen, die sie hätten umsetzen müssen, sind in der Anhängerschaft der CDU am Rast. 50 % der CDU-Wähler sind nicht im Erwerbsleben. Nun müssen ja einige Menschen doch etwas für unseren Wohlstand tun. Und die Partei mit den meisten Erwerbstätigen sind die Grünen. Also früher kaum jemand, heute sind es 80% der Wähler. Insofern passt das eigentlich ganz gut zusammen, die Partei derjenigen, die von Transfers lebt, die Union, und derjenigen, die die Transfers verdienen müssen. Das Zweite: Eine Schwarz-Grüne Koalition könnte nur funktionieren mit diesen beiden. Sie brauchen ja immer Leute, die das Profil der eigenen Partei besonders scharf herausarbeiten und dazu in der Lage sind, einen begrenzten Konflikt zu organisieren, aber jederzeit die Erfahrung haben, nicht zu stark daran festzuhalten.

Aber es gibt natürlich die berühmten Unterschiede, Türkeifrage weiß man auch. Die Anhängerschaft der Grünen oszilliert stark zwischen Sozialdemokraten und den Grünen. Das sieht man auch in der Erstwahl: Grüne sind in der Erstwahl. Wenn überhaupt dann SPD, nicht CDU. Das ist eine schwierige Geschichte, das kennt man auch aus der FDP, wenn man zu prinzipienlos oder zu machtbewusst rochiert, dann hat man ein Problem, das würden Sie auch alle sagen, wir legen ja Wert auf Moral.

Der letzte Punkt ist: Rein bündnishistorisch oder –soziologisch würde es sich ja um ein Zwischenbündnis handeln. Man könnte auch sagen, das Bündnis einer politischen Mittelmacht. In Deutschland haben wir ja Erfahrung mit Mittelmächten, das ist ja eine schwierige Geschichte. Das Deutsche Reich war von Vorneherein eine Mittelmacht. Es ist furchtbar ausgegangen, weil sie an zwei Flanken etwas haben und diese beiden Flanken sind schwer zu schützen, bzw. sie sind letztlich Einfallstore für andere. Und ich kenne in der Geschichte der Außenpolitik dieser Welt kaum eine solche Mittelkoalition, die das ausgehalten hat. In Deutschland hat man das ausgehalten oder hinbekommne, solange ein virtuoser Mann wie Bismarck diese Balance herstellen konnte. Das ist für mich die entscheidende Frage: Kann Herr Trittin der Bismarck der Grünen werden? Es gibt eine Reihe Affinitäten. Beide haben in Göttingen studiert, beide waren in dieser Zeit ziemliche Rabauken, beiden hatten natürlich einen erheblichen Ehrgeiz, beide liebten die Pose des Nicht-Durchsichtigen und beide wollten immer mit mehr verschiedenen Bällen spielen. Also die entscheidenden Frage, die Sie jetzt gleich beantworten sollen, ist: „Ist es möglich, eine Post-Grüne-Bismarckianische Allianz unter dem Vorzeichen von Herrn Trittin zu realisieren?“

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