von 19.04.2010

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Frei Otto träumt von einem Super-Zelt in der Arktis, das einer ganzen Stadt Platz bietet, von gigantischen Luft-Fischen, die umweltfreundlich Menschen und Waren transportieren. Daß diese Visionen keine Wünschträume bleiben müssen, hat er mit Öko-Häusern, riesigen Zelt-Dächern und organisch entwickelten Hallen längst bewiesen.

Im Rahmen unserer Architekturtheorie Reihe hier die Anforderungen an eine Architektur der Zukunft von Frei Otto, Teil 2. Diese Dokumentation basiert auf einem vor etwa 10 Jahren verfassten Text, den Frei Otto der Berliner Scharoun-Gesellschaft anlässlich eines Vortrages zur Verfügung stellte. Nach diesen Aussagen ist es notwendig, verstärkt architektonische Lösungen zu finden, bei denen wirklich der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt der Planungen steht. Auch das Umsetzen des Wesens der Bauaufgabe gehört ebenso zum Entwurfsprozess wie die Berücksichtigung ökologischer Belange. Seine Anforderungen widersprechen damit grundsätzlich dem Konzept des kürzlich präsentierten Parametrismus.

“Größten Einfluss auf die Architektur der kommenden Jahre werden Schlagworte haben. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die “menschlichen” Bauten propagiert. Als aber jeder Architekt seine Bauten als menschlich bezeichnete, verlor der Begriff seine läuternde Wirkung. Es wurde nicht menschlicher gebaut als vorher. Der Ruf nach Menschlichkeit wurde in den siebziger Jahren abgelöst durch den Ruf nach einer neue Ästhetik, obwohl man sich bewusst war, dass auch schöne Bauten böse Auswirkungen haben können. Einen gültigen Maßstab für Schönheit in der Architektur wird es nicht geben. Maßstäbe werden zwar von Zeit zu Zeit neu erfunden und manchmal über längere Zeiten in Gesellschaften tradiert. Jede Stilepoche des Bauens hatte eine eigene Lehre vom Schönen, die Ästhetik. Zur Zeit versuchen einige selbsternannte Apostel unter den Architekten, ihren Kollegen den eigenen Maßstab aufzudrücken und werden es weiterhin versuchen.

Aber es gibt durchaus ernst zu nehmende Erkenntnisse mit Langzeitgültigkeit, die die Diskussion über das Ästhetische der kommenden Jahre beeinflussen wird. Das moderne Haus in unwirtlichen Erdzonen stimulierte das Nachdenken darüber, ob es nicht doch ein Urempfinden für Ästhetisches geben könne. Wir richten unsere Häuser mit angenehmem Klima und möglichst mit Pflanzen ein. Wir lieben Blumen und Bäume und versuchen unablässig, unser Wahrnehmungsvermögen des Ästhetischen zu steigern. Gerade das moderne Haus kann als Rest einer vermutlich ererbten Erinnerung an die Urheimat des Menschen angesehen werden, an die Sehnsucht nach dem Paradies.

Vorbilder beeinflussen die Kunst. Für viele junge Architekten sind ihre Lehrer die Vorbilder. Ihre Lehrer bleiben haften und prägen das Berufsleben selbst dann noch, wenn die Lehren überholt sind. Die wirksamste Vorbildfunktion hat der ausgeführte Bau. Er zeigt den echten Standort seines Erbauers. Auch das wird so bleiben. Der krasseste Fall einer Fehllehre ist die derzeitige an den meisten Schulen noch betriebene Lehre der Planung von Siedlungen. Immer noch meint man, dass Städte als Ganzes perfekt planbar seien, einschließlich ihrer Wege- und Straßensysteme und der Beziehung aller Gebäude zueinander und der durch sie bewirkten Beziehung ihrer Bewohner zur belebten und unbelebten Natur. Die Idee der aufzeigbaren, von Menschenhand total geplanten “Stadt von morgen” ist zwar noch aktuell, doch kein Wegweiser. Für unendlich Variierbares gibt es kein eindeutiges Optimum, das die Grundlage für Pläne abgeben könnte. Die Infrastrukturen und Wegesysteme der Siedlungen wandeln sich ständig, doch langsamer als die Elemente der Städte, die Häuser, die unterschiedlich in Gestalt, Typ, Größe, Form, Farbe, Material und Alter Individuen sein können und Heimat für unterschiedliche Menschen. Das richtige Haus muss am richtigen Ort stehen. Das wird für die Zukunft immer wichtiger. Es gibt Entwicklungsprozesse, die in die Zukunft weisen. Siedlungen, Dörfer und Städte verändern sich ständig, entstehen, wachsen, vergehen. Sie sind Teil der biologischen Natur des Menschen. Nur kleine Elemente der Stadt sind einem umfassenden Planungszugriff zugängig. Alles andere ist ein biologischer und zugleich physikalischer Vorgang der umkehrlosen Veränderung, und zwar mit einer Eigendynamik und Selbstgestaltungskraft, die ein Planer kennen muss, wenn er diese Prozesse fördern will.

Das jüngste Schlagwort heißt “nachhaltig”. Es ist ebenso idealistisch wie das Wort “menschlich” und wird das nächste Jahrzehnt beherrschen, bis erkannt wird, dass es wegen seiner Vieldeutigkeit beliebig ausgelegt werden kann und damit an Aussagekraft verliert. Wenn man diesen aus der Forstwirtschaft stammenden Begriff auf das Bauen anwendet und beispielsweise nur so viele Gebäude baut wie man vorher weggenommen hat, so ist das für Europa im Grunde zwar richtig, kann aber verallgemeinert großen Schaden anrichten.

Auch der Begriff einer “demokratischen” Architektur ist heute “in”, doch bisher kaum konkret zu fassen. Es scheint sich aber zu lohnen, sich um die Baukunst in einer Demokratie sehr intensiv zu bemühen. Die demokratische Architektur dürfte bei Bauten zu suchen sein, die in weitreichendem nachbarlichem Eigenverständnis und unter Mitsprache aller Beteiligten entstehen. Es fällt mir schwer, die zur Zeit entstehenden, von demokratisch gewählten Politikern durchgepaukten Paläste als demokratische Architektur zu bezeichnen. Sie sind, wie es sie zu allen Zeiten gab, Monumente des Personenkultes. Statt Mitsprache und Nutzung von Freiheit innerhalb einer einsichtigen, friedfertigen Gesellschaft zu fördern, ist vorerst leider zu erwarten, dass sie als getarnte Kunstdiktatoren alles, was außerhalb ihrer Prinzipien liegt, als “Beliebigkeit” und Feind guter Architektur mit immer neuen Gestaltungsvorschriften bekämpfen, um einem befürchteten gestalterischen Chaos vorzubeugen. Sie bestimmen Gebäudeproportionen, Geschosshöhen, Dachneigungen, Materialien und Farben und versuchen so, Stadtbilder zu erzwingen, deren geistige Leere allerdings erst voll erkennbar wird, wenn die Urheber selbst bereits abgetreten sind.

Wir Deutsche sind über hundert Jahre lang zur Unfreiheit im Bereich des Bauens erzogen worden. Wir akzeptieren Uniformierung und finden dennoch unsere Altstädte, in der jedes Haus sich vom anderen unterscheidet, schön. Wir bestaunen einerseits auch die modernsten Großstädte der Welt, die extreme Vielfalt zeigen, und akzeptieren andererseits widerstandslos geregelte Dachneigung, vorgegebene Putz- und Ziegelfarben und “Baufenster” die Orientierungen des Hauses und die Form der Grünflächen festlegen und zusammengenommen weder eine effektive Ausnutzung noch optimales Energiesparen ermöglichen. Die “Vorschreiber” werden noch einige Zeit ihren Einfluss geltend machen.

Der Schlachtruf der Politik und Wirtschaft heißt heute Globalisierung. Alle Disziplinen von Wissenschaft und Technik werden angehalten, global zu denken. Auch die Ausbildung der Architekten und die Bauforschung sollen international, ja müssen global sein. Daran, dass der Bezug zum Ort mindestens ebenso wichtig ist, wird selten gedacht. Immobile Bauten sind im Grunde immer dem Ort verpflichtet. Es gilt, global zu denken, doch lokal zu bauen. Wenn Europa zusammenwächst, wird es eine neue gemeinsame europäische Architektur geben. Selbst politisch geprägte nationale Architekturen werden sich nicht weiterentfalten, sondern es werden sich zunehmend Architekturen der Regionen bilden, die man aber nicht mehr mit dem bisher verwendeten Begriff ,provinziell” belegen kann. Der Oberrhein zwischen Basel und Karlsruhe, ob badisch, schweizerisch oder elsässisch, ist eine solche Region. Jede Region auf dieser Erde ist einzigartig, ist unverwechselbar. Eine umfassende Globalisierung stört den Prozess einer zukünftig sinnvollen Differenzierung. Voraussetzung für die Entwicklung einer Region ist das Erkennen und Unterstützen ihrer Besonderheiten. Die “Global Architecture” der Flughäfen und Hiltons ist bereits von gestern. Sie wird zunehmend durch wieder erkennbare Gebäude abgelöst, die den Standort speziell kennzeichnen. Gerade der Weltreisende möchte erkennen, wo er sich befindet.

Bedeutend mehr als ein Schlagwort ist aber der Begriff  “ökologisches Bauen”, den es bereits seit vier Jahrzehnten gibt und auch weiterhin in zunehmender Differenzierung geben wird. Ursprünglich war die Ökologie die Lehre vom Verhalten der biologischen Arten zu- und untereinander. Man nahm an, dass die Natur ein großer, sich immer wieder ausgleichender Haushalt sei. Nach neuerer Sicht gibt es diesen Ausgleich nicht. Was zerstört ist, bleibt zerstört. Es kann aber Neues entstehen. Der große “weise” Haushalt der Natur war ein Wunschgedanke. Dennoch spielt das Verhalten von Pflanzen, Tieren und Menschen untereinander eine entscheidende Rolle für die Beziehung zwischen Mensch, Natur und Umwelt, also auch für Planungsvorgänge im Bereich Haus und Stadt. Das ökologische Bauen hat in dieser biologisch geprägten Definition eine weit reichende Zukunft. Es erscheint undenkbar, dass man Menschen auf der Erde unterbringen kann, ohne zugleich den Einklang mit der natürlichen Umwelt anzustreben.

Der Begriff Ökologie wird aber inzwischen in zunehmendem Maße als Bezeichnung für Energiesparen verwendet, genau genommen für das Einschränken des Verbrauchs fossiler Brennstoffe. Selbstverständlich sollte Energie auch weiterhin gespart werden und das Nutzen erneuerbarer Energien ökonomisch und auch ökologisch sinnvoll sein. Die Entwicklung der Solarenergienutzung gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Menschheit. Bisher gibt es nur ganz wenige Energiespar-Bauten, die man zur Baukunst zählen kann. Eine wirklich ökologische Baukunst, die energie- und zugleich materialsparend ist und das Einswerden des Menschen mit der Natur als Ganzes fördert, kann als eine der großen Zukunftsaufgaben angesehen werden. Ökologisch bauen heißt auch menschenwürdig und kindergerecht bauen. Der Begriff des natürlichen Bauens ist inzwischen Leitmotiv geworden, aber nicht im Sinne des Imitierens, sondern im Versuch, die Natur als Ganzes und auch die Natur des Menschen zu verstehen.

Viele Menschen, und nicht nur Familien, wünschen sich das Haus mit Garten als Erweiterung der Wohnung. Die meisten Architekten und Städtebauer aber gehen ohne intensive Nachforschungen von vornherein davon aus, dass man sich heute das Einfamilienhaus nicht einmal für Familien mit Kindern leisten könne.

In Europa fehlt nicht das Land, um es allen, die es wünschen oder nötig haben, zu ermöglichen. Man braucht nur eine andere Art von Häusern und eine bessere Wohn-Garten-Kultur.

Die viel verbreitete Ansicht von Planern, dass man alle Menschen in ,,Regalen”, Türmen und Blocks gedrängt unterbringen müsse, um außerhalb der städtischen Region eine so genannte “freie Natur” zu erhalten, ist als lehrbares Prinzip nicht mehr haltbar. Untersuchungen von Biologen und Ökologen haben ergeben, dass die größte Artendichte von Tieren und Pflanzen in Wohngärten und Parks zu finden ist, die geringste aber in den Monokulturen der Land- und Forstwirtschaft. Obwohl von vielen Planern verpönt und meist auch zu klein bemessen, sind gerade Wohngärten ebenso wie innerstädtische Parks letzte Rückzugsgebiete für viele Tierarten wie Schmetterlingen, Vögel und Waldgetier.

Der bewohnte Garten ist inzwischen zur modernen Arche Noah geworden. Es ist unverständlich, dass Monokulturen der Feldwirtschaft mit viel Geld für Dünger und Vertilgungsmittel auch dann erhalten werden, wenn sie agrarökonomisch sinnlos geworden sind. Sie vermindern die Artendichte und Individuenanzahl selbst in benachbarten Naturschutzgebieten. In falsch interpretiertem Verständnis von Ökologie und Landschaftsschutz werden Menschen in enge Gehäuse verwiesen, obwohl sie doch gerade dafür prädestiniert sind, blühende Landschaften entstehen zu lassen und zu pflegen. Nur etwa ein Drittel der Nordeuropäer lebt in und mit dem Garten und ein weiteres Drittel sehnt sich danach. Der Rest bevorzugt total künstliche Bauformen.

Das Ein-Personen-Haus oder das Einfamilien-Haus mit bewohntem und gepflegtem Garten kann ebenso energiesparend sein wie der Wohnblock. Es erlaubt sogar mehr Energieersparnis, wenn Orientierung und Gestalt des Bauwerks ganz dem Ort angepasst werden. Es gibt viele so genannte Industriebrachen und land- und forstwirtschaftliche Flächen, die aufgelassen wurden und nun beste Wohnlagen für Menschen darstellen. Man kann durchaus allen Menschen und besonders ihren Kindern, die sich nach einem Garten sehnen, ihre Wünsche erfüllen, ohne unser Landschaft zu verbauen oder zu “zersiedeln”. Man benötigt dazu keine landschaftlich qualitätsvolle Erdoberfläche. Der Ausverkauf der Gemeinden durch Reprivatisierung von Gemeindeeigentum ist nach meiner Meinung nicht der richtige Weg. Besonders für junge Familien und Kinder ist garantierter Besitz auf Gemeingrund vorzuziehen. Unser Land hat Reserven, die bisher ökologisch völlig falsch genutzt und vor allem den Kindern vorenthalten werden, weil weniger als 1% der anteiligen Erdoberfläche mit Wohngebäuden belegt ist.

Selbstverständlich bin ich für vollständige Gestaltungsfreiheit, wenn den Nachbarn die Sonne und ein Blick in die Landschaft erhalten bleibt. Der Gartenbesitzer muss pflanzen dürfen, was er für richtig und schön hält. Dann kann sich aus der Vielfalt heraus ein intensives Verständnis für Haus und Umwelt und eine neue ökologische Gartenkultur entwickeln, in der ungenutzte Häuser auch einmal sanft weggenommen werden.

Meine bisherigen Äußerungen bezogen sich auf die nächsten Veränderungen als Kurzzeitvorhersage des zu Erwartenden. Langfristige Vorhersagen sind, wie anfangs gesagt, nicht möglich, aber es gibt Visionen. Die Summe aller Visionen kann Hinweise geben. Voraussetzung dafür ist eine friedliche Entwicklung. Meine Vision von der Zukunft der Architektur ist die meiner Wünsche. Ich kann über die Zukunft und ihre Baukunst schreiben und skizzieren, so weit meine Fantasie, die mir grenzenlos erscheint, reicht. Da gibt es wunderbare Landschaften, in denen freundliche Menschen in Häusern leben, die eins mit der Natur sind.

Ich mache meine Vision am Jahr 2050 fest. Als Mensch des 20. Jahrhunderts arbeite ich seit über 50 Jahren aktiv als Architekt, Erfinder und Lehrer, habe im eigenen Land und in der Fremde gebaut und Erfolg gehabt, der anfängliche Wünsche weit übertraf. Ich kann mir gut vorstellen, wie ich vorgehen würde, wenn ich jetzt noch einmal anfangen dürfte. Als Autodidakt habe ich damals begonnen, habe Friedhöfe gebaut und Windgeneratoren erdacht, das Bauen mit minimalem Materialaufwand studiert und verwirklicht und versucht, Solarenergienutzung und Baukunst zusammenzubringen und das Wissen um die Gestalten der unbelebten, der lebenden und der toten Natur zu mehren.

Die Vision meiner eigenen Wunschwelt für 2050 ist kein statisches Gebilde, sondern hat eine in ständiger Veränderung befindliche Gestalt. Gebäude werden an- und eingepasst, vergehen und entstehen neu. Die umgebende Natur wird von den in ihr lebenden Menschen erhalten und gepflegt. Jeder Mensch wohnt in dem ihm angemessenen Haus, das von Architekten, die ihren Beruf für Menschen zu bauen, ernst nehmen, liebevoll betreut und dem jeweiligen Ort angepasst wurde. Ohne Uniformierung gibt es alle Varianten zwischen dem großen Haus für viele Menschen und dem kleinen Ein-Menschen-Haus mit allen nur möglichen Formen und Konstruktionen. Die vielfältig gewordenen Bautechniken, Konstruktionsmöglichkeiten und Materialien erlauben endlich, dass sich eine Stadt oder eine ganze besiedelte Landschaft täglich reibungslos wandeln kann, damit sie nicht erst in ferner Zukunft gut und schön ist, sondern von Beginn an und bleibend, auch im Jahr 2060 und 2070.

Die besiedelte Landschaft meiner Vision wird durchweg grün sein, bis auf einige der heute schon bestehenden Verdichtungen, dann aber ohne Bausünden meiner Generation. Hauptenergieträger ist die Elektrizität, gestützt durch Selbstgewinnung. Die den Siedlungsbau bestimmenden Abwassersysteme sind in ländlichen Gebieten dezentralisiert. Der gesamte Wasserhaushalt ist weitgehend ausgeglichen. Die Mehrzahl aller Arbeitsplätze ist “soft” und befindet sich in den Wohnbereichen. Gegenüber dem heutigen Zustand hat sich die durch Bauten sterilisierte Fläche trotz des größeren Anteils von ,,Wohnen in und mit dem Garten” nicht mehr vergrößert. Die Verkehrswege sind bei geringerem Landverbrauch effektiver und schöner. Die derzeitige Arbeitshektik ist zurückgegangen zugunsten eines verstärkten Kulturlebens, in dem Menschen Erfüllung und Arbeit finden. Alle Künste streben einer kulturellen Hoch-Zeit entgegen.

Oft schon wurde ich aufgefordert, Prognosen zu geben. “Wie werden wir weiter leben” war schon immer die bange Frage und ist es auch heute am Ende des 20. Jahrhunderts. Meine Wünsche von früher haben sich erfüllt. Wir haben inzwischen das anpassungsfähige Haus, das Haus im Haus, die grünen und wandelbaren Dächer, die immer effektiver werdende Solarenergienutzung und effektive und sogar ästhetische Windräder.

lm biowissenschaftlichen Bereich wurde meine Vermutung bestätigt, dass alle lebenden Wesen nur mit einer einzigen Konstruktion gebaut sind. Sie ist zugleich die allerleichteste Baukonstruktion.

Noch nicht erfüllt in den letzten Jahrzehnten haben sich meine Wünsche für eine stärkere Sensibilität im Bauen. Durch eine verstärkte Beziehung zur Natur, zu den Ursprüngen der Lebensentstehung des Menschwerdens wurde zwar die Basis für eine neue Zeit des sinnlichen Erfassens des Ästhetischen gelegt. Doch es kamen lieblose, Macht spiegelnde Planungen, eben die Architektur von 1999, an der sich wohl bis 2010 nichts ändern wird.

Meine Hoffnung auf eine Hochkultur des Ästhetisch-Sinnlichen in der Architektur für die Mitte des 21. Jahrhunderts aber ist stark, denn alle Künste basieren auf dem Wahrnehmen durch Sinne, mit denen das Erfassen des Wahrgenommenen und das Verarbeiten hin zu neuen Wahrnehmungen eingeleitet wird. Bei Künstlern entsteht aus dem Aufnehmen und Verinnerlichen von Eindrücken der Drang, ,,Kunde zu geben”. Aus Wahr-nehmen wird Wahr-geben, wird Philosophie und Kunst, wenn das Gegebene durch Können zum Gekonnten gesteigert wird. Daran wird sich auch wenig ändern. Alle Künste haben eine Beziehung zur Liebe der Menschen zueinander, zu Tieren und Gegenständen, und die Erotik war zu allen Zeiten von großer Bedeutung, auch in der Architektur. Die Architektur ist zur Zeit extrem unerotisch. Dabei ist doch gerade die Architektur die Kunst, die das Paradies, also den Garten der sich liebenden Kreaturen, mit der Wohnung stets neu zu schaffen sucht. Das erste Haus in der Urheimat des Menschen war nach heutiger Sicht das sichere Lager für Mutter und Kind.

Meine Vision von der Baukunst von morgen braucht keine neue Ästhetik, aber ein vervollkommnetes ästhetisches Empfinden. Ich erhoffe und wünsche mir für das Bauen im nächsten Jahrhundert sanfte Zurückhaltung im Bereich des Materiellen, bei gesteigerter Sensibilität, die sich unverzerrt und frei entfaltet.”

Voraus ging Teil 1: Architektur der Zukunft 1

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