vonfreiraum 06.03.2018

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VON MARKUS SZASZKA, polnisch-österreichischer Schriftsteller aus Wien

Es ist wichtig zu wissen, dass die griechische Bevölkerung weder auf Europa oder die Europäer noch (wie manchmal zu hören ist) auf die „bösen“ Deutschen – die ihnen Sparsanktionen auferlegen – wütend ist, wenn sie mittags bei einem kalten Kaffee mit Eiswürfeln unter der warmen griechischen Wintersonne debattiert, sondern auf ihre eigene Regierung. Das ist ein Konsens, der sowohl die Jugend im Anarchisten-Viertel Exarchia als auch die Senioren-Generation am großen Fischmarkt eint.

Feta, gegrillte Sardinen und das eingekreiste A

Anarchie ist in Athen so präsent wie im Wiener Einbaumöbel. Das eingekreiste A ist allgegenwärtig. Ein bisschen komisch ist es schon in Exarchia, wo die Polizei nicht hineindarf; eine Gegend, vor der die Reiseführer warnen (von wem auch immer die noch in Anspruch genommen werden), wo es aber aussieht, wie überall sonst in der inneren Stadt, wo die Cafés und Restaurants so schick sind wie im hippen Berlin Mitte und nebenan im Parkt die mutmaßlich zukünftigen Revolutionäre um ein Lagerfeuer herum über ihren desolaten Staat diskutieren.

Tatsächlich ist es eine sehr sichere, gastfreundliche und mindestens genauso sehenswerte Gegenden, wie die alte Stadt am Fuße der Akropolis, Plaka, wo antiker Marmor sehnsüchtig auf touristisches Eintrittsgeld wartet. Ja, den gibt’s dort noch immer, Feta auch, Oliven auch. Die gegrillten Sardinen sind auch super, wenn man die mag.

Auch ein desolater Staat funktioniert

Athen funktioniert, vielleicht noch viel besser, als ich mir das vor meinem kurzen Städtetrip gedacht hatte. Denn ich bin, wie immer, mit einer vorgefertigten Meinung angereist, vollbeladen mit Klischees. „Reisen bedeutet herauszufinden, dass alle Unrecht haben mit dem, was sie über andere Länder denken“, schrieb der gute Aldous Huxley einst – und hatte recht.

Es sind die Kleinigkeiten auf den Straßen der Stadt, welche die nach wie vor kritische Situation Griechenlands entlarven. Mehr Einblick – als einen oberflächlichen – kann ein Tourist ohnehin nicht erwarten. Die U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen fahren, na klar, aber ein Ticket hierfür kauft niemand, weil es sich schlichtweg die wenigsten leisten können. Kontrolleure gibt es keine, weil der Staat kein Geld hat, um sie zu bezahlen.

Das habe ich auf eine eindrucksvolle Art mitgekriegt, als ich am ersten Tag ein Ticket an einem der wenigen funktionierenden Automaten kaufen wollte. Meine Begleitung und ich fragten uns, ob wir praktischerweise eine Einzelfahrt oder eine Tageskarte kaufen sollten, als mir ein ansässiger Deutscher im Vorbeigehen zuschrie: „Kauft bloß kein Ticket! Die Absperrungen sind immer offen und ich wurde in den letzten paar Monaten noch nie kontrolliert.“ Wir sahen trotzdem ein paar Touristen welche kaufen, so kam auch hier wenigstens ein bisschen Geld in die Staatskasse.

Ob rechts oder links …

Aber, und das ist die große Frage, wohin wandert dieses Geld eigentlich? Das politische System hat sich seit der Militärdiktatur in den Sechzigern und Siebzigern nicht erholt, von der im restlichen Europa viele junge Menschen nicht einmal mehr wissen. Das ist wichtig, will man die griechische Situation heute verstehen.

Das wirklich Deprimierende für das griechische Volk – das, was es fassungslos macht – ist, dass, ganz gleich wer an der Macht ist, ob Rechts oder Links, das Geld in die Taschen der korrupten Politiker wandert, und dieses Vorbild durchsetzt die ganze Gesellschaft. Egal, was du willst, du musst dafür zahlen, was besonders bedauerlich ist, wenn es sich um eine Operation oder eine ärztliche Behandlung anderer Art handelt und man das Fakelaki (Schmiergeld) nicht aufbringen kann.

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