vonSabine Schiffner 07.06.2025

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Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Heute beginnt in Borneo, das seit Jahrhunderten und immer noch von Sultanen regiert wird, das muslimische Opferfest Eid. Bei diesem Fest werden im Gedenken an Abraham, der bereit war, Gott seinen Sohn zu opfern, Tiere geschlachtet. Der Islam zeigt sich uns hier in Malaysia in einer sehr milden Form, verglichen mit dem Islam, den ich in der Türkei kennengelernt habe. Die Muslime hier in Malaysia, wo der Islam Staatsreligion ist, weshalb alle echten Malaien (andere „Rassen“ bekommen ihre Zugehörigkeit im Ausweis eingetragen) qua Geburt Muslime sind, sind sehr viel offener, freundlicher und umgänglicher mit offensichtlich „Ungläubigen“ wie mir und zwar unabhängig vom Geschlecht. Man bekommt keine seltsamen Blicke zugeworfen, weil man unverschleiert ist und Frauen ebenso wie Männer gehen ähnlichen Tätigkeiten nach. Die wenigen Moscheen, bei denen es sich um große neue Prachtbauten handelt, sind nicht im innerstädtischen Bereich und den Imam habe ich bislang noch nicht rufen gehört. Längst nicht alle Musliminnen tragen ein Kopftuch, aber es ist offensichtlich, dass diejenigen, die eines tragen, einen Großteil der eher einfachen Jobs besetzen. Auch hier im Hotel tragen Servicekräfte, Manager etc. keine Kopftücher, Reinigungskräfte hingegen schon. Auch Alkohol bekommt man vielerorts und ohne Probleme in Borneo. Aber das liegt vielleicht auch daran, weil es hier sehr viele Katholiken gibt, sehr viel mehr als auf der Hauptinsel Malaysia. Und auch Baptisten sind verbreitet und so manche Kirche ist zu sehen hier in Borneo. Die Menschen grüßen und verabschieden sich alle gleich: Sie legen dazu die Hand auf ihr Herz.

Aber eigentlich sind wir hier ja gar nicht in Borneo, sondern in einem Staat namens Sabah, der sich in Borneo befindet, das ein wenig wie ein eigener Kontinent betrachtet wird, obwohl es doch nicht mehr als eine sehr große Insel ist. Sabah heißt dieser Staat nicht nach der biblischen Königin von Sabah, die im heutigen Äthiopien lebte, sondern nach einem malaiischen Wort für Banane. Sabah liegt in Nordborneo. Das muss man sich so vorstellen wie England, das ja auch in Schottland und England unterteilt ist, welches sehr unterschiedliche Länder sind trotz einigermaßen ähnlicher Sprache. Die Hauptstadt von Sabah, die erst seit 1968 Kota Kinabalu (Stadt vom Berg Kinabalu) heißt, hieß lange Jesselton, nach einem englischen Kolonialherrn, der sie gegründet hatte. Davor hieß sie Api Api, was malaiisch ist und Feuer bedeutet. Api Api und Jesselton sind hier als Begriffe immer noch sehr präsent. Wir fuhren heute vom Jesselton-Anleger aus zu den gegenüber von unseren Fenstern im südchinesischen Meer liegenden kleinen Inseln. Die größte davon heißt Gaya und sie wurde schon vor 800 Jahren besiedelt. Dabei leben auf Borneo schon seit 20.000 bis 30.000 Jahren nachweislich Menschen und Chinesen gibt es dort seit mehr als zweitausend Jahren. Gaya aber war schwer zugänglich und ist ebenso wie die anderen Inseln vor Kota Kinabalu Teil eines Naturparks des südchinesischen Meeres, man kann dort wunderbar schnorcheln und Korallen betrachten, heißt es. Viel Idylle habe ich hier bisher ehrlichgesagt noch nicht gesehen. Wenn ich vorne aus dem Fenster meines Hotels gucke, sehe ich auf große Baustellen, die sich bis zum nahen Meer erstrecken. Hier wird vor allem nachts gearbeitet, wohl der Hitze wegen. Dass vor unser Hotel, das ein sehr gutes Hotel ist, noch andere Bauten gesetzt werden, die später die Sicht versperren, ist ärgerlich. Ob sie das Hotel, das umgeben ist von halb verlassenen ruinösen kleineren Bauten, hierhin gebaut hätten, wenn sie das gewusst hätten? Der Hotelmanager klärt mich auf: Dieses Hotel hier ist neu, erst vor vier Jahren erbaut. Damals gab es die Reihe am Ufer, auf der jetzt gebaut wird, noch nicht. Das Land wird immer weiter nach vorne und ins Meer hineingezogen, sagt er, man braucht Platz für die vielen Menschen. Dabei ist das Inland, nach hinten hinaus betrachtet, eher wenig besiedelt, unendlich weit erstrecken sich Hügel voller grünender Wälder und riesiger Bäume.

So war es auch schon, als die Britische Nordborneo Company BNBC die Insel Gaya, auf die ich vom Fenster aus Richtung Meer blicke, besetzte und Ende des 19. Jhds, weil es dort mehr Frischwasser gab, dem Sultan von Brunei, der auch auf Borneo lebt, dieses Stück Land am Festland abrang, auf dem heute Kota Kinabalu steht. Am Inselrand von Gaya sind riesige elende Siedlungen mit Pfahlbauten und Holzhäusern, in denen wenige indigene Malaien und viele Flüchtlinge von den Philippinen und andere staatenlose Menschen wohnen. Wir können die Häuschen von hier aus sehen, ca. 10000 Menschen wohnen dort und ernähren sich hauptsächlich vom Fischfang. Aber auch Drogen und Kriminalität sind dort sehr verbreitet, heißt es. Die Regierung will die Siedlungen, die ein Schandfleck sind, weghaben. Auch die Pfahlbautensiedlung hier am Festland, in Kota Kinabalu, die sich an einem Stück Küste  entlangzieht, würde man gerne mit riesigen Hotelbauten und Luxusmalls bebauen. Aber es gab Proteste gegen die Umsiedlungsversuche und so stehen die Pfahlbautendörfer noch, als älteste „architektonische“ Zeugen einer Stadt, die erst vor etwas mehr als hundert Jahren angelegt wurde und ansonsten so gut wie keine historischen Bauten mehr hat. Denn 1945 zerstörten alliierte Bomber all das, was es noch an Kolonialbauten und älteren Häusern im damaligen Jesselton gab, das die Japaner 1942 besetzt hatten. Nur drei Häuser blieben stehen. Nachdem die Japaner geschlagen waren, wurde Jesselton wieder britische Kronkolonie und erst 1963 unabhängig. Es gehört seitdem zusammen mit Marawak zu Malaysia. Von Kuala Lumpur flogen wir immerhin zweieinhalb Stunden bis nach Kota Kinabalu. Wir wären schneller in Vietnam oder Thailand gewesen.

Am Vortag hatte ich nachgefragt, ob es möglich sei, eines der Pfahldörfer zu besuchen, die wir vom Auto aus gesehen hatten. Zwei junge Männer aus dem Hotel brachten uns dorthin. Auf dem Weg unterhalte ich mich mit ihnen. Beide sind 19 Jahre alt, der eine ist chinesischer Herkunft, gehört also zu der hier seit Jahrhunderten ansässigen chinesischen Bevölkerung, die mehrheitlich buddhistisch ist. Er spricht fünf Sprachen und will studieren. Der andere ist malaiischer Herkunft und war, wie er uns erzählt, früher sehr introvertiert und habe beschlossen, dass er sich mehr öffnen wolle und deshalb diesen Job im Hotel angenommen. Seine finanziellen Mittel erlauben es ihm allerdings nicht, zu studieren. Als die beiden überaus freundlichen und gut unterrichteten jungen Männer uns zum Pfahldorf fahren, sind wir so schockiert von dem, was wir schon von weitem sehen, dass wir lieber nicht aussteigen. Die Menschen dort leben ohne Strom und fließendes Wasser in schrecklichsten hygienischen Verhältnissen inmitten von brackigem schmutzigen Meeresgrund in aus Wellblech und Latten auf Pfählen zusammengeschusterten Häusern, die mehr als zerbrechlich wirken. Im Wasser stecken überall Pfähle, auf denen wohl mal Häuser standen, die längst untergegangen sind, dazwischen schwankende Pfade aus Holzplanken, auf denen kleine braungebrannte dünne Kinder mit schmutziger Haut und zerfilzten Haaren herumturnen, daneben stehen und sitzen ihre Mütter, mit schwarzen verdreckten Tüchern bedeckt und eingehüllt. Kaum jemand hat Schuhe an den Füßen. Die Kleidung lässt erkennen, dass diese hier vor allem muslimische Menschen sind, die heute ganz sicher nicht mit den anderen Muslimen anlässlich des Opferfestes in der riesigen goldbedeckten Moschee beten, die nur 5 Autominuten weiter steht.  Ich mache ein paar Fotos durch die Scheibe des Autos und schäme mich doch dafür. Ein Dokumentarfilm fällt uns ein, den wir vor unserer Abfahrt im Fernsehen sahen. Er handelte von Borneo und zeigte auch die Pfahldörfer. In diesem Film wurden sie als etwas exotisches und faszinierendes gezeigt, lustige Kinder tauchten in sauberem Wasser, während die Männer fischen gingen und überall hingen bunte Kleider. Dies hier aber sieht nur nach Schmutz, Elend und Krankheit aus. Ich habe so etwas wie diese Elendsbauten vorher noch nie gesehen. Aber Menschen wie diese sah ich schon, zuletzt in Istanbul, in den Elendsvierteln wie Tarlabasi, die von den türkischen Roma bewohnt werden, auch sie sind Muslime. Das sind Eindrücke, die ich nicht vergessen werde.

Heute gehen wir am späten Vormittag zum Anleger Jesselton, dort kann man sich die Tickets für die Überfahrt auf die Inseln kaufen. Als wir ankommen, betreten wir eine große Halle mit unglaublich vielen verschiedenen Schaltern, vor denen laut sprechende Koreaner und Chinesen sich (vor)drängeln und Tickets für eine der vielen Sportaktivitäten erstehen wollen, die man auf den Inseln machen kann, wie Tieftauchen, Standuppaddeln etc.. Wir fragen uns durch und finden dann den richtigen Schalter; wenn hier nicht alle Englisch sprechen würden, wären wir verloren. Eine Tour zu zwei Inseln kostet ca. 8 Euro. Das Ticket ist ein großer Zettel, auf dem unsere Namen und die Bestimmungsinseln notiert werden. Dann gehen wir zum Bootssteg, wo wir Schwimmwesten bekommen und besteigen mit ca. 10 anderen Passagieren das Boot.

Dieses wird von einem verwegen aussehenden malaiischen Kapitän gesteuert. Mit Höchstgeschwindigkeit geht es von einer Insel zur nächsten, drei werden angefahren, bis wir kurz vor unserem Zielort sind. Da reißt der Wind meinem Mann die Kappe vom Kopf und treibt sie aufs Meer hinaus. Der Kapitän stoppt und fährt zurück und fischt sie wieder aus dem Wasser; Glück gehabt. So freundlich und wohlorganisiert ist hier alles, nicht zu fassen, wie gut hier alles dank Walkietalkies funktioniert. Aber es gibt selbst auf hoher See noch Internetempfang. Als wir auf der Insel ankommen, zahlen wir noch einmal 5 Euro Kurtaxe und stehen dann auf dem feinsten schönen weißen Sandstrand der kleinsten Insel Mamutik. Die Inseln haben nur einen ganz kleinen Teil, der überhaupt zu betreten ist, das ist jeweils nur ein Strand, an dem auch der Anleger ist. Der größte Teil der Inseln aber ist gar nicht zugänglich, bewachsen mit hohen undurchdringlichen Bäumen, an denen seltsame fremdartige große Früchte hängen, deren Namen ich nicht kenne.

Zum Schwimmen müssen wir schon wieder Schwimmwesten anziehen, wie alle hier. Die Menschen tragen fast alle Ganzkörperanzüge, kein Mann schwimmt mit nacktem Oberkörper. Warum die Schwimmwesten, frage ich den Strandwächter. Hier kommen viele Inder her, die können nicht schwimmen, deshalb müssen alle Westen tragen, wir können ja Schwimmer nicht von Nichtschwimmern unterscheiden, sagt er. Heute ist Niedrigwasser, was wohl immer mal vorkommt, weshalb man nicht zu nahe an die Korallenbänke heranschwimmen soll, denn man muss auf jeden Fall vermeiden, auf die Korallen zu treten, erklärt er mir. Als ich nach den Krokodilen frage, den Saltis, muss er lachen. Die haben die Polizisten alle rausgefischt, sagt er. Aber, sage ich, am Festland sind doch Schilder, die vor den Krokodilen warnen. Ja, weil die Krokodile dort von den Flüssen aus Richtung Meer wandern, sagt er. Das ist gefährlicher an der Küste. Wir können also einigermaßen angstlos im 30 Grad warmen und herrlich durchsichtigen Wasser schwimmen. Zum Tauchen dürfen wir die Westen ablegen, hatte uns der freundliche Wächter vorher erklärt.

Am Strand sitzt unter einem Kokosbaum ein Mann an einem Tisch, auf dem medizinische Utensilien stehen: Das ist der Inselarzt.

 

Nach anderthalb Stunden gehen wir wieder zum Anleger, wo die malaiischen Ordner barfuß stehen und über Walkietalkies mit den Kapitänen der vielen kleinen Boote kommunizieren, was chaotisch aussieht und doch bestens organisiert ist und stehen wieder inmitten einer großen Schar von Chinesen und Koreanern, die mit uns auf das nächste Boot warten. Unser malaiischer Kapitän hat seinen kleinen Enkel dabei, er sitzt neben ihm am Steuer. Soll Ihr Enkel auch Kapitän werden? Frage ich. Nein, sagt er. Der soll erstmal gut die Schule absolvieren und dann kann er ans Festland gehen und dort einen richtigen guten Beruf ergreifen.

Als wir zurückfahren, wieder mit rasender Geschwindigkeit, weist mein Mann mich auf etwas hin. Guck mal auf das Wasser: Auf dem Wasser ist alles voller Plastikmüll, Tüten, Verpackungen, Flaschen schwimmen dort. Das ist seltsam, denn auf den Inseln wird streng auf Mülltrennung geachtet. Der Müll stammt vielleicht von den Pfahlbautendörfern, wo der Müll nicht abgeholt wird und es keine Kanalisation gibt. Wir sind froh, als wir wieder am Anleger sind, denn die rasende Fahrt über Wellen ist körperlich anstrengend gewesen. Später, in der Nacht, wache ich auf, weil ein heller Feuerschein vor dem Fenster ist. Als ich nach draußen schaue, sehe ich mitten auf dem Wasser ein großes Schiff, das lichterloh brennt. Ob das etwas mit dem Opferfest zu tun hat? Am Morgen ziehen immer noch Rauchschwaden über das Meer hin. Aber der malaiische Hotelmanager, den wir nach dem Schiff fragen, sagt uns, dass es wegen des Opferfestes noch nie Feuer auf dem Meer gegeben habe….

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