vonSabine Schiffner 03.09.2024

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Am Tag meiner Ankunft in Istanbul kann meine Freundin Sevgi sich leider nicht mit mir treffen; es gibt eine dringende Versammlung wegen des Massenmordes an den Hunden, sagt sie als Begründung. Seit Wochen schon sind deshalb dauernd Versammlungen, erklärt sie mir am nächsten Tag, als wir uns endlich wiedersehen und dass sie da natürlich nicht fehlen darf. Ich bin schockiert: Massenmord an Hunden?! Davon habe ich noch nichts gehört im fernen Deutschland!

Es wurde doch dauernd darüber geredet, klärt Sevgi mich auf, die deutsche Medien sehr intensiv verfolgt, sogar im ZDF. Du musst irgendeine Krankheit gehabt haben, dass Du davon nichts mitbekommen hast! Vielleicht hat sie recht, denke ich jetzt. Aber das hilft auch nicht gegen das schlechte Gewissen und ich beschließe, mich näher mit diesem Thema zu beschäftigen und darüber diesen Blog zu schreiben.

Jetzt geht es also in der Türkei auch den Tieren an den Kragen! “Sie bringen die Tiere vor allem in von der CHP (Opposition) regierten Stadtvierteln um”, erklärt mir Sevgi. “In ihren eigenen Vierteln passiert nichts … das tun sie absichtlich.” Sie muss es wissen, ist sie doch vor zwei Wochen nach Ankara gefahren, um gemeinsam mit vielen anderen Menschen an einem Protestcamp teilzunehmen und hat dafür das erste Mal seit Jahren ihren Straßenhund und die vier Katzen über Nacht alleine gelassen.

Aber nicht nur in der Türkei wird demonstriert, auch in Deutschland demonstrieren sie, vor dem Generalkonsulat in Frankfurt, erlaubt nur am Samstagnachmittag, wenn es niemanden stört. Alles wegen eines neuen Gesetzes, verabschiedet kurz nach den letzten Wahlen in Istanbul, die für den Präsidenten nicht gut gelaufen sind. Er versucht jetzt, auf seine Weise, diese Kränkung zurückzuzahlen, hat Sevgi mir erklärt.

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Das neue Gesetz schreibt vor, dass alle Straßenhunde eingefangen und in Tierheimen untergebracht werden müssen. Aggressive, kranke und Hunde ‘gefährlicher’ Rassen sollen getötet werden. Tierschutzorganisationen im ganzen Land sind seit Gesetzesbeschluss Tag und Nacht damit beschäftigt, die Hunde selbst einzufangen und in notdürftigen Auffangstationen unterzubringen, um sie vor dem Tod zu bewahren. An vorderster Front mit dabei: Sevgi! Denn alles was von “Oben” kommt, ist eine weitere Bedrohung für die Demokratie und das freie Leben in der Türkei.

Was alles neues von oben gekommen ist, bemerke ich bei dieser Reise nach Istanbul vor allem an enorm vieler neuer Bautätigkeit und an den vielen neuen Kameras auf dem Taksimplatz. Auch die Inflation ist wieder weiter vorangeschritten, für einen Euro bekam ich bei meiner letzten Reise im Februar noch 32 Lira, jetzt sind es schon fast 38 Lira und ein Ende ist nicht abzusehen.

Straßenhunde sehe ich in Istanbul eigentlich nur noch selten. Die paar friedlichen alten und meist sehr dicken Gesellen, die ich von meinen letzten Besuchen kannte, liegen nicht mehr auf ihren Stammplätzen. Sind sie alle schon eingefangen worden? Sevgi sagt nein, aber mir fällt schon auf, dass es weniger Hunde und dass es auch weniger Katzen sind als in den letzten Jahren, und das, obwohl Katzen doch bei den islamischen Menschen einen sehr viel besseren Ruf haben als Hunde.

Das letzte Mal, als eine Regierung versucht hat, Hunde einzufangen und zu töten, war im Jahr 1910, als Mehmet V. den Befehl gab, 80 000 Hunde einzufangen und auf die westlichste der Prinzeninseln zu bringen, Sivriada. Die Hunde verhungerten und verdursteten dort elend, ihr tagelanges Gebell und Geheule war noch im fernen Istanbul zu hören. Die Menschen in Istanbul, die wie die protestierenden Menschen heute sehr eng mit den Straßenhunden zusammen gelebt und sich für sie verantwortlich gefühlt hatten, litten sehr darunter, konnten aber den Tieren nicht helfen; sie lebten damals auch schon in einem autokratischen Regime und jede Art von Protest wurde sofort unterbunden. Wenig später zerstörte ein verheerendes Erdbeben große Teile Istanbuls und betraf insbesondere die Prinzeninseln, weshalb Sivriada, die Insel der Hunde, den Beinamen Hayirsizada (Unheilsinsel) bekam, den sie heute noch trägt.

Wir blicken auf Sivriada, die Unheilsinsel, als wir heute mit einer Fähre von Istanbul aus Richtung Burgazada fahren, der  von Istanbul aus zweiten der großen Prinzeninseln, die noch bis vor hundert Jahren Antigone hieß, der vielen Griechen wegen, die hier eigentlich schon seit immer gewohnt haben. Wir wollen dort, fern der lauten Metropole, ein paar Tage verbringen. Und etwas ruhiger ist es alleine schon deshalb, weil dort keine Autos fahren, was einem glücklichen Erlass Atatürks zu verdanken ist. Wendet man das Gesicht der grünen Insel zu, meint man auch, in einem Idyll zu sein, voll alter manchmal zerfallener Holzhäuser, mit einer großen griechischen Kirche im Zentrum und den sacht im klaren Marmarameer schaukelnden Yachten. Aber der Blick Richtung Festland zeigt, wie nah die komplett mit Hochhäusern zugebaute Küste ist.

Burgaz, wie die Türken ihre Insel nennen (Ada heißt nur Insel) war lange die Heimat von Sait Faik, dem berühmten türkischen Dichter und Meister der Kurzgeschichte, der hier heute auch mit einem Museum geehrt wird. Er war wie so viele türkische Dichter Sohn aus gehobenen bürgerlichen Verhältnissen und sehr dem Alkohol zugetan, weshalb sein früher Tod aufgrund von Leberzirrhose ihn in eine Reihe mit dem Staatsgründer stelle und nicht überraschend kam. Wie gerne die nichtreligiösen Türken Alkohol trinken, erfuhren wir gestern vor unserer Abfahrt von unseren Freunden, die uns erzählten, dass sie inzwischen sogar Whiskey und nicht nur Raki selber herstellen. Die hohen Steuern auf Alkohol erlauben es nur noch wirklich wohlhabenden Menschen, sich Alkohol kaufen zu können. Es ist seltsam, hat Sevgi mir gestern noch erzählt. Vor einem Jahr noch habe ich mich aufgeregt, wenn ich für meinen Lieblingsraki dreihundert Lira gezahlt habe. Heute zucke ich schon nicht mehr mit den Achseln, wenn er 1000 Lira kostet. Man gewöhnt sich irgendwie an alles.

Hier auf Burgazada, das eigentlich ein wenig schäbig und vernachlässigt wirkt und Preise hat, die nicht höher sind als die in Istanbul, und wo die Häuser gar nicht mal so prächtig und mondän sind wie auf der großen Insel Büyükada, scheinen nicht nur arme Menschen zu leben, die einem sofort auffallen, wenn man ankommt, sondern auch einige sehr reiche.

Es ist heiß, als wir ankommen, sehr heiß sogar und wir begeben uns deshalb auf die Suche nach einem Strand. Unterwegs kommen wir an einem Sportclub mit angeschlossenem Pool vorbei, der am Wasser gelegen ist. Wir erkundigen uns, ob wir dort auch schwimmen können. Aber sie nehmen keine Fremden auf, sagt die Frau im Eingang; man brauche zwei Bürgen und müsse zudem 300 000 Lira Aufnahmegebühr zahlen, erfahren wir …

Wer sind bloß diese Türk*innen, die umgerechnet 8000 Euro Aufnahmegebühr zahlen können in einem Land, in dem das Durchschnittseinkommen eines Singlehaushalts 100 000 Lira beträgt? Antworten auf diese Frage werden wir wohl nicht bekommen, genauso wenig wie es eine Antwort auf die Frage danach gibt, wo wohl die verschwundenen Hunde sind.

Die protestierenden Hundeschützer haben in der Nähe der städtischen Tierheime viele tote Hunde gefunden und versuchen jetzt, Straßenhunde in eigenen Aufnahmeheimen unterzubringen. Und wir werden vielleicht heute Abend, wenn wir am Wasser sitzen und den Sonnenuntergang beobachten, ihr Heulen hören können. Ein Heulen, das in der ganzen Türkei zu hören sein sollte….

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