vonSabine Schiffner 04.09.2024

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Es ist eigentlich seltsam, dass die Prinzeninseln in Deutschland so gut wie unbekannt sind. Nicht eine*r meiner Bekannten und Verwandten hatte schon von ihnen gehört. Dabei stammen so viele Dichter*innen von diesen Inseln, nicht zuletzt Orhan Pamuk. Außerdem sind sie doch so wunderbar nah an Istanbul gelegen, haben herrliche Strände, klares schönes Meer, es gibt dort gutes Essen, insbesondere für Fischliebhaber, Ruhe und manche sind auch durchaus sehr touristisch. Aber ausländische Tourist*innen finden sich hier kaum.

Als ich gestern auf der Insel ankomme, werde ich auf Französisch angesprochen. In Istanbul hielt man uns auch schon immer für Niederländer. Ob das an den zurzeit in Deutschland sehr populärem Hashtag https://boycott-turkey.net/ liegt? Auf dem Schiff von Istanbul, das an allen Inseln halt macht, waren allerdings schon zwei Deutsch sprechende junge Frauen. Sie fuhren zur letzten Insel, der größten, Büyükada, die die meisten Menschen anzieht, besonders welche von der mit Hochhäusern zugepflasterten asiatischen Marmaraküste. Wir wollten es eher lokal haben, nicht so touristisch aufgeladen und haben uns deshalb in Burgazada eingemietet. Unsere Wohnung, wie bisher alle Wohnungen in Istanbul über steile Treppen zu erreichen, hat einen schönen Blick aufs Marmarameer und Büyükada. Aber das Schlafzimmer erreicht man durch eine Tür, die nur 1,50m hoch ist. Wir sind von den Fotos auf Airbnb getrogen worden.

Fremde sieht man hier auf Burgazada kaum. Die Türk*innen bleiben auf dieser Prinzeninsel (fast)  ganz unter sich; über die extrem hohen Aufnahmegebühren für den Sportklub habe ich ja schon auf meinem gestrigen Prinzeninselblog https://blogs.taz.de/fremdeln/fremdeln-auf-den-prinzeninseln/ berichtet. Die Villen der Reichen sind diskret in Nebenstraßen versteckt. Englisch wird hier auch so gut wie nicht gesprochen. Die Kellner in den Lokalen und die Verkäufer in den Läden gucken immer erschrocken, wenn wir reinkommen, weil sie wohl befürchten, mit uns englisch reden zu müssen. Und sie gucken ganz erleichtert, wenn ich sie auf Türkisch anspreche.

Ohne mein Türkisch wären wir hier auch aufgeschmissen. Im bekanntesten Lokal der Insel „Yasemin“ können wir nicht per Menükarte bestellen. Wie ich es schon von anderen Restaurantbesuchen mit Türk*innen kenne, wird mündlich das Essen verhandelt. Natürlich nicht auf Englisch. Während wir dann unsere Meze (Vorspeisen) essen, die undefinierbaren Inhalts sind, aber gut munden, kommt schon der erste Sockenverkäufer an unseren Tisch, ein sehr alter Mann. Ich kaufe ihm Socken ab. Die Kellner, die um uns herumstehen, wundern sich wohl schon, dass ich für 12 Socken umgerechnet 10 Euro zahle. Denen, die nichts haben, etwas zu geben, ist hier in diesem Land, wo der Staat für sie nicht aufkommt, eher normal als in Deutschland, wo die meisten Menschen diejenigen, die auf der Straße nach Geld fragen, für Gauner halten.

Nach dem Sockenverkäufer kommen diverse Katzen, die sich hinter meinem Rücken um die Fischreste prügeln, die ich ihnen hinwerfe. Das Lokal ist kaum belegt, heute und hier ist nicht viel los. Am Nebentisch sind einige Menschen, die mit einem Boot von einer der Yachten, die vor Burgazada anliegen, gekommen sind. Auch in den anderen Lokalen ist es nicht sehr voll, aber große Rakiflaschen stehen auf den Tischen. Raki ist den derzeitigen Machthabern wohl der schlimmste ((Alkohol) Dorn im Auge, er ist absurd teuer, weil so hoch mit Steuern belastet.  Der Preis für eine 0,7-Liter-Flasche  Raki lag zu Beginn des Jahres noch bei 699 TL Euro und ist im April auf 775 TL angestiegen. Heute kostet sie schon 925 Lira. Vodka hingegen ist seltsamerweise viel günstiger und längst nicht so stark im Preis angestiegen. Ob es wohl die Rakipreise sind, dass hier so wenig Menschen an den Tischen sitzen?

Als wir die Rechnung bestellen, wundern wir uns sehr darüber, dass wir nur einen Zettel mit einer in Bleistift geschriebenen Summe (umgerechnet fast 100 Euro) hingelegt bekommen, die absurd hoch ist, erst recht, weil wir keinen Raki getrunken haben. Aber wir protestieren nicht. Als Deutsche*r fühlt unsereins sich ja doch hier immer noch wohlhabend, mal verglichen mit den meisten Türk*innen. Aber es gibt schon auch noch einige sehr reiche Türk*innen, wie auch auf Burgazada zu sehen ist. Wir sind hier und heute Abend betrogen worden.

Bei Alkohol und Burgazada fällt mir als Stichwort der Dichter Said Faik ein, dessen Statue alle hier auf der Insel eintreffenden Menschen begrüßt. Er, wie die meisten weltlich lebenden Menschen hier in der Türkei, die wir kennenlernen und treffen, trank viel. Und starb früh. Und wird immer noch verehrt von seinen türkischen Leser*innen. Einer von diesen, der selber auch ein Dichter ist, hat einen kleinen Kiosk gleich hinter dem Anleger angelegt, wo er seine und des toten Dichters Bücher ausgestellt hat und sich tagsüber aufhält und vorübergehende Dichter*innen wie mich anspricht! Wie schön es ist, dass in der Türkei trotz allem Literatur und Leben Hand in Hand gehen, kann ich gar nicht mit Worten ausdrücken. Alleine das sollte schon ein Anlass sein, die Prinzeninseln einmal aufzusuchen!

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https://blogs.taz.de/fremdeln/fremdeln-auf-den-prinzeninseln-ii/

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