vonSabine Schiffner 06.09.2024

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Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Am Morgen ruft der Muezzin um fünf Uhr zum ersten Mal die Gläubigen zum Gebet, dem Fadschr. Kurz vorher bin ich erwacht. Draußen ist es noch dunkel. Heute ist der dritte Morgen, an dem wir durch den Ruf des Muezzins auf Burgazada geweckt werden. Aber gestern kam mir der Gesang doch irgendwie schöner vor und vor allem: Er war kürzer. Das ist seltsam! Singt da jeden Morgen jemand Anderes? Und ist die Länge nicht vorgeschrieben? Während ich lausche, stelle ich mir vor, wie das Allah u ekber (türkische Aussprache) über das Meer hin in den Himmel hochsteigt, zum göttlichen Wesen dort oben, für das alle Religionen verschiedene Namen haben. Dass wir davon geweckt werden, ist nicht so schlimm, der Ruf ist weit genug entfernt, so dass ich noch während des Gesanges wieder einschlafen kann. Es ist schließlich erst fünf Uhr morgens, zu früh, um schon aufzustehen.

Die Moschee auf Burgazada, 1953 anlässlich der fünfhundertjährigen Eroberung Istanbuls durch osmanische Truppen erbaut, begrüßt den vom Meer kommenden Reisenden schon von weitem. Sie sieht der etwas versteckteren prächtigen griechisch-orthodoxen St. Johanniskirche, deren ursprünglichste Teile aus dem 8. Jahrhundert sind und die sich im Zentrum des Ortes Burgazada befindet, auf halber Höhe, sodass ihr ein Tsunami nicht viel ausmachen kann, ziemlich ähnlich: dieselben Kuppeln, dieselbe Farbe des Gemäuers! Nur das Minarett und der Halbmond auf dem Dach verraten, dass es sich um einen muslimischen Bau handelt.

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Dass auf den Inseln eine gewisse spezielle Vielfalt der Religionen geduldet wird, ist vielleicht dem Reichtum der im Sommer hier urlaubenden Türken verschiedenster Glaubensrichtungen zu verdanken. 1960 wurde die Synagoge eingeweiht und es gibt auf Burgazada sogar einen allevitischen Tempel. Nur die Griechen sind hier nach wie vor nicht wirklich gerne gesehen. Das Kloster St. Giorgi ist nicht zugänglich und mit Maschendraht versehen, der Friedhof der Griechen in einem unzugänglichen Waldgebiet, alle Reste aus byzantinischer Zeit verschwunden. Und auch die Privathäuser der byzantinischen Griechen, ihre prächtigen Holzvillen, die Konaks und Yals, sind nach den antigriechischen Pogromen des 20. Jahrhunderts längst in türkischer Hand.

Kaum ist morgens die Sonne rotgolden hinter der asiatischen Festlandküste aufgegangen, beginnen die Möwen, die gestern Nacht noch friedlich nebeneinander auf dem Kai lagen und schliefen, zu schreien. Es hört sich an wie eine Mischung aus Hundegebell und Babyschrei, worum sie streiten, wissen wir nicht. Die Tiere hier auf der Insel leben in friedlicher Koexistenz, Katzen, Hunde und Möwen wild durcheinandergewürfelt. So ist es auch an unserem Lieblingsstrand, der Madame Martha Beach, erreichbar in zehn Minuten vom Zentrum mit einem der kleinen Ebusse, die am Anleger abfahren. Kaum sind wir an dem für unkundige Menschen schwer zu findenden und mit Müll und Liegen und Kuriositäten übersäten Kieselstrand angekommen, begrüßt uns die Katzenfamilie, die schon gestern mit uns Handtuch und Liege teilte.

Auch ein paar Möwen kommen und stolzieren neben uns auf und ab und gucken mit ihren intelligent aussehenden Augen, ob etwas zu essen abfällt. Als wir dann in das glasklare und morgens um zehn Uhr von Touristen unbesetzte Wasser gehen, folgen uns die Katzen bis an den Rand und jammern kläglich, als wir im Wasser sind, als sollten wir sie abholen und mit zum Schwimmen nehmen. Dort im Wasser schwimmen Walnussquallen, die in schönsten grün und rosatönen glitzern und ungefährlich sind. Auch Fischschwärme schwimmen an uns vorüber, die wir das Wasser mit Kormoranen und ein paar Möwen teilen. Wir sind die einzigen Menschen hier am Strand. Erst ab 11h kommt der eine oder andere Mensch, um zu baden, den Leuten ist es hier so früh und bei 26 Grad Wassertemperatur noch zu kalt.

Menschen aus anderen Ländern finden sich auf Burgazada, anderthalb Stunden per Fähre von Istanbul entfernt, so gut wie gar nicht und wir werden überall freundlich willkommen geheißen, so als habe man bisher hier noch kaum einen Deutschen gesehen. Als wir eine Tour mit einem der Ebusse über die Insel machen und ein Stück zu Fuß gehen, kommt gleich ein Ekarrenfahrer und nimmt uns mit zurück ins Zentrum; ganz selbstverständlich wird sich von allen Seiten erkundigt, woher wir bekommen, immer wieder hören wir, wie gut angesehen Deutschland hier in der Türkei ist. Die Insulaner sind, anders als ihr Ruf es besagt, sehr gastfreundlich und zuvorkommend.

Und es gibt wohl nirgendwo ein so schönes abendliches Licht wie hier auf dem Inseln, weit entfernt von dem so unglaublich mit Hochhäusern bebauten asiatischen Festland. Ein rosarotes Licht über dem bläulich schimmernden und immer ein wenig kräuseligen Marmarameer, in das die letzten schreienden Möwen fliegen, während wir wieder auf einer der Fähren von Insel zu Insel fahren, denn Fährenfahren ist hier sehr günstig und schön, insbesondere bei den heißen Temperaturen jetzt im September. Als wir zurückkommen nach Burgazada, füllt gerade ein alter Mann frisches Wasser in die unzähligen Wasserstellen für Katzen, die überall aufgestellt sind. Und an einem Kiosk am Anleger haben sich mindestens zwanzig Katzen versammelt, die dort wohl gefüttert werden. Jetzt singt wieder der Muezzin und sein Abendgesang zieht weit über das Wasser hin….

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