vonsabineschiffner 31.05.2024

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Heute Morgen bin ich mit dem Fahrrad durch das regnerische Bremen zu meinem Friseursalon gefahren. Denn es sind auf den Tag genau zwei Monate vergangen, seit ich das letzte Mal dort war (siehe https://blogs.taz.de/fremdeln/fremdeln-beim-friseur/). Meine Haare müssen einmal wieder gebändigt werden, bevor ich mich morgen auf den Weg nach Sizilien mache.

Bevor ich fuhr, nahm ich mir vor, die zwei dringendsten Themen der letzten Tage mit meiner Friseurin zu besprechen, bei der ich ja nun schon zweimal war. Aber es empfing mich heute jemand anderes. Eine sehr nette junge Frau, die mir meinen Mantel – anders als die etwas ältere Frau, bei der ich sonst bin – nicht abnahm, was ich aber als angenehm empfand, denn das Mantelabnehmen hat doch immer so etwas Dienerisches und Altmodisches. Als sie mit mir die Frage dessen was getan werden sollte, besprach, überlegte ich, wie und ob ich mit ihr über meine Themen sprechen sollte und konnte und wie ich es anfangen wollte. Ich beschloss, gleich in die Vollen zu gehen und fragte sie also:

Was halten Sie denn eigentlich vom Gendern?

Sie guckte mich verständnislos an. Was meinen Sie? Na … ich fing an zu stottern, um es ihr zu erklären. Das machen doch die Nachrichtensprecher*innen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen jetzt immer. Sie guckte immer noch verständnislos, hatte wohl auch mein Sternchen nicht gehört. Ich versuchte, das Sternchen besonders zu betonen und zu sagen, dass es so ähnlich sei wie der im Arabischen verwendete stimmlose glottale Plosiv, ich hoffte, sie sei vielleicht syrischer oder arabischer Herkunft. Denn dass sie oder ihre Eltern oder Großeltern nicht aus Deutschland kamen, sah ich, traute mich aber natürlich nicht, sie zu fragen, woher sie denn sei. Denn das soll man doch nicht mehr, es könne die Gefühle von Menschen mit Migrationshintergrund verletzen, hatte ich oft gehört in letzter Zeit.

Ich versuchte es jetzt mit Türkisch und sagte: Im Türkischen wird ja nicht gegendert, es hat doch gar keine Geschlechter in der Sprache und brachte Beispiele, die sie jedoch nicht überzeugten. Als ich vom Metje, dem türkischen Arzt/Ärztin sprach, sagte sie mir, ihr sei in letzter Zeit in der Türkei aufgefallen, dass die Ärztinnen in den Krankenhäusern alle so aufgedonnert und selbstbewusst seien und sich nicht mehr als Doktor, sondern als Doktor Hanim (Frau Arzt) ansprechen lassen wollten. Das sei doch früher anders gewesen. So war nun immerhin klar, dass sie einen irgendwie türkischen Hintergrund hatte, der neuerdings ja Vordergrund genannt wird, was mir gut gefällt, was ich ihr aber nicht erzählte, sonst hätte sie mich wahrscheinlich noch seltsamer gefunden. Ich traute mich nun also und fragte, ob es ihr unangenehm sei, wenn man sie fragte, wo sie herkäme. Denn dass das nicht so sein solle, hatten die Menschen meines Alters in meinem Umfeld in letzter Zeit behauptet, was manchmal zu großen Diskussionen führte, weil ich mir schon gut vorstellen kann, dass es verletzend sein kann, immer wieder aufgrund seines Äußeren auf den Migrationsvordergrund angesprochen zu werden. Zu meinem großen Erstaunen sagte sie mir, dass es ihr überhaupt nichts ausmache, dass sie sich sogar darüber freuen würde. Aber es gäbe manchmal Gäste im Salon, die würden sich nicht von Friseuren mit “ausländischer” Herkunft frisieren lassen wollen. Und ihre Kinder würden auch nicht richtig gut Türkisch können, ihr Mann sei ja auch schließlich Deutscher. Und sie sei auch in Deutschland geboren, habe zwar in der Schule Türkisch gelernt und spräche Türkisch, aber in der Türkei würden die Türken sie als “Deutschtürkin” doch anders behandeln. Das sei viel schlimmer als die Behandlung in Deutschland, hier habe sie nie etwas Seltsames erlebt.

Ihre Großmutter, erzählte sie mir dann, sei in den 1960er Jahren im Rahmen des Anwerbeabkommens ganz alleine nach Deutschland gekommen und habe in einer Dosenfabrik in Ottersberg gearbeitet. Sie sei damals ebenso wie die anderen Arbeiterinnen von einer deutschen Familie aufgenommen worden und habe bei denen gelebt und sei heute noch mit ihnen gut befreundet. Sie hatte ihre fünf Kinder und ihren Mann in der Türkei zurückgelassen, um nach Deutschland zu kommen. Später dann habe sie die Kinder, also auch die Mutter meiner Friseurin, nachkommen lassen und auch der Mann sei gekommen. Heute seien ihre Großeltern beide 83 und topfit und würden die meiste Zeit in der Türkei leben.

Ihr Sohn sei jetzt auf das Gymnasium gekommen, erzählte sie mir dann und hätte entweder Latein oder Französisch wählen sollen. Sie hätten sich gegen Latein entschieden, das bräuchte man doch nicht mehr. Ein Großteil seiner Klassenkameraden aus der Grundschule seien auf das Ökumenische Gymnasium gegangen, welches eine Bremer Eliteschule ist. Er selber sei auf einer so genannten Oberschule, wie in Bremen die ehemaligen Gesamtschulen heißen, auf denen man in 13 Jahren sein Abitur machen können. Dann erzählte sie mir, dass es in seiner Klasse nicht ein einziges Kind gäbe, dass zwei deutsche Eltern habe, es seien dort Kinder mit allen möglichen Herkünften und alle hätten aber nicht nur ein Migrantisches, sondern auch ein deutsches Elternteil. Und dass ihr das so gut gefallen würde. Er würde dort langsamer lernen können als an einem 12-jährigen Gymnasium und sie und ihr Mann könnten ihm ja auch beim Lernen nicht helfen, sie habe den Stoff, den er heute lernen müsse, früher in der Schule so nicht gehabt, erst recht nicht Latein.

Und dann sagte sie mir noch, dass ihr Bruder inzwischen so deutsch sei, das sei manchmal schwer auszuhalten. Er sehe auch so deutsch aus, habe blaue Augen und blonde Haare, das käme wohl von den griechischen Menschen, die früher an der Ägäis gelebt und sich mit den türkischen Menschen verpartnert hätten. Und er spräche so gut Deutsch und seine Kinder hießen Wilhelmina* und Wilburga* (*Namen geändert). Ich verkniff mir, zu sagen, dass sie, also meine Friseurin, doch genauso gut Deutsch spräche wie ich und dass es vielleicht eine gute Idee sein könne, den Kindern deutsche Namen zu geben, weil sie dann in der Schule und im Kindergarten vielleicht anders aufgenommen würden. Erst recht, wenn ihre Mutter doch auch eine Deutsche sei.

Und dann fragte ich nach dem Thema, das mich im Zusammenhang mit der Türkei immer am meisten interessiert, nach dem Thema der religiösen Minderheiten. Sie erzählte mir, dass sie Allevitin sei, das aber erst seit kurzem wisse. Und dass ihre Familie natürlich gegen den türkischen Präsidenten sei und es überhaupt nicht verstehen würde, dass die türkischen Menschen hier in Deutschland überhaupt noch in der Türkei wählen dürften. Das müsste verboten werden! Ich beschloss, dass ich das sofort aufschreiben wollte, denn wenn jemand wie sie es sagte, war es doch eine klare Aussage! Ich selber aber dürfte es mich nicht trauen, so etwas hier öffentlich zu äußern. Vielleicht haben die Mitglieder aus Ihrer Familie auch armenische Vorfahren gehabt, wagte ich dann zu sagen. Ja, Aramäer habe sie auch mal einen kennengelernt, erzählte sie mir dann. Sie sei bei ihm auf der Hochzeit eingeladen und alle hätten dort nur Russisch gesprochen. Waren es vielleicht Armenier? Fragte ich. In Armenien wurde doch Russisch gesprochen! Ja, genau, stimmt, die waren aus Armenien. Wo nun dieses Armenien liegt, wusste sie nicht, sagte dann aber, dass man früher mal viele Armenier verbrannt habe.

Inzwischen waren meine Haare fertig geschnitten. Ich hatte eine Menge über und von meiner Friseurin erfahren. Unter anderem, dass ich mich offensichtlich mit meinen Ansichten und Sprachneuigkeiten zu sehr in einer kleinen intellektuellen Blase bewege, die so gar nichts mit den Leuten zu tun hat, die das Leben hier in Deutschland täglich mit viel Arbeit wuppen. Aber ich werde trotzdem so weitermachen. Gendern ist nicht leicht. Man stößt auf Widerstände in den eigenen Kreisen und völliges Desinteresse in den Kreisen, die es doch auch betrifft. Veränderung findet nur in sehr kleinen Schritten statt in unserem Land, in dem viele so engagiert an einer Umorientierung arbeiten und viele, wie auch diese Friseurin, so gar nichts damit zu tun haben wollen.

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