vonsabineschiffner 16.02.2024

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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manchmal

manchmal geht alles so langsam

dabei ginge es auch richtig schnell

und dann geht alles plötzlich ganz schnell

und dann sehne ich mich nach der langsamkeit

 

Der Iran ist eine Kloake, sagte er. Eine richtige Kloake. Früher waren wir eine große Kulturnation. Über Jahrtausende hinweg. Aber seit die Religiösen da sind, geht alles nur noch den Bach runter. Und es gibt kein Zurück mehr. Aber nicht nur im Iran. Bei uns hier in Deutschland auch. Sagte er. Das wird hier nicht besser. Sagte er und schaute besorgt aus dem Fenster auf die breite Straße, die heute Straßenbahnlos war, weil mal wieder gestreikt wurde. Auch ich schaute nun ganz besorgt aus dem Fenster und stellte mir vor, wie hier bald alles den Bach runter geht. Eben noch hat er meine Bestellung aufgenommen. Ich brauche nämlich ein Plakat für die Lesung aus meinem neuen Buch, das gerade erschienen ist und das von Istanbul handelt. Sein Copyshop hat etwas sehr Verstaubtes und ist bis unter die Decke mit Papierkisten, T-Shirts und zu bedruckenden Bechern vollgestopft. Er ist vielleicht der Besitzer und stammt aus dem Iran, das habe ich schon beim letzten Besuch erfahren. Ich versuche es zu vermeiden, zu ihm zu gehen, denn er redet immer furchtbar langatmig, ist ein echter (iranischer) Besserwisser, schaut mich immer so streng dabei an und arbeitet dabei auch noch so außerordentlich langsam, dass ich es kaum aushalten kann. Aber ich brauche einen großen Abzug von einem Foto mit meinem Buch, möchte es als Plakat im Kiosk bei mir um die Ecke aufhängen. Dessen Besitzer ist Kurde und stammt aus der Türkei. Er freut sich immer, wenn ich komme und wir uns auf Türkisch unterhalten und über Erdoğan schimpfen können. Und er will mein neues Buch sogar in seinem Kiosk verkaufen. Aber er hatte mich natürlich vorher gefragt – und dabei listig gelächelt –  ob es denn auch etwas gegen den Präsidenten enthielte.

Und jetzt zurück zur iranischen Kloake. Als ich vorhin den Copyshop betreten hatte, bereitete dessen Besitzer sich gerade im hinteren Teil seines Ladens ein Tomatenbrot zu. Ich sah ihn zumindest dort in der Küche hantieren. Er aber sah mich nicht. Ich wartete erst einmal, aber als fünf Minuten vergangen waren, trat ich laut und deutlich auf. Dann räusperte ich mich. Immer noch kam niemand. Ich ging noch einmal raus und wieder rein, aber die Tür zum Laden ging nur leise zu. Also stapfte ich sehr laut zur Theke und bewegte mich. Da bemerkte er mich endlich und kam nach vorne. Ich zeigte ihm das Foto, das ich ausgedruckt haben wollte, auf seinem Bildschirm. Das ist ein sehr schönes Foto, sagte er. Diese wunderbare rotbraune Farbe. Sind sie das auf dem Foto?

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Fragte er mich, während er das richtige Format einstellte. Ja, sagte ich. Erkennt man mich nicht? Sie haben ja jetzt eine Mütze auf. Wo ist das denn? In Istanbul. Vor dem Haus von Orhan Pamuk, sagte ich, dem Museum der Unschuld, Masumiyet müzesi, sagte ich auf türkisch, obwohl ich doch wusste, dass er Iraner ist und kein Türke und fügte noch hinzu: Im Türkischen gibt es ein Wort für Unschuldslamm, das heißt Masum kuzu. Die Türken, unterbrach er mich, haben von uns Persern viele Wörter übernommen. Sie hatten ja gar keine eigene Administrationssprache, als sie das Osmanische Reich gründeten. Das waren doch Nomaden, als wir schon längst Städte gehabt haben und eine große alte Kultur und auf dem Höhepunkt unserer Entwicklung waren. Die Türken haben für uns Perser als Söldner gearbeitet, sie waren gute Bogenschützen. Sonst konnten sie nichts und hatten nichts, sie wohnten auf einem Land, das nichts hergab, hatten nur Schafe und Pferde und mussten andere Länder überfallen, um mal Getreide und Gemüse zu bekommen. Was glauben sie, warum die Chinesen die chinesische Mauer gebaut haben? Das Wort Türke kommt aus dem Chinesischen. Wissen sie, was es bedeutet? Nein, sage ich. Räuber! sagte er und schaute mich an, um zu sehen, ob ich beeindruckt war. Das wissen die Türken selber allerdings nicht, das sagt ihnen niemand.

Während wir plauderten, druckte sein Drucker extrem langsam das erste Plakat aus. Ab und zu kamen währenddessen Männer mit schwarzen Bärten herein, die wohl auch Iraner waren und mit denen er sich kurz unterhielt. Dann gingen sie wieder. Als mein Plakat fertig war, nahm er es in die Hand und schaute es schon wieder so verliebt an. Wieviele davon wollen sie haben? fragte er. Was kosten die denn? entgegnete ich. 2 Euro oder 5 Euro, sagte er, je nach Qualität. Dann nehme ich mal drei zu 5 Euro sage ich, denn das Foto gefiel mir plötzlich auch sehr gut. Er holte eine kleine Trittleiter und von einem Regalbrett eine große staubige Kiste, in der Fotopapier war und legte es ein. Wieder dauerte es unendlich, bis der Drucker langsam anfing, zu drucken. Ich gehe noch etwas einkaufen, sagte ich, komme dann gleich wieder. Wir haben bis 19h geöffnet. Wir sind doch Nachbarn, sagte er.

Als ich eine halbe Stunde später wiederkam, schien er schon zu warten: Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr! Die Plakate lagen da und sahen richtig gut aus. Ich hatte einen handschriftlichen Zettel vorbereitet, auf dem die Daten für die Lesung standen und den ich unter das Plakat hängen wollte. Als er ihn sah, nahm er ihn mir aus der Hand und sagte: So geht das nicht! Warum haben sie mir nichts gesagt. Das hätten wir doch auf das Plakat schreiben können, hier auf den weißen Rand. Ach so, sagte ich, das wäre ja noch besser. Ich mache ihnen das jetzt, wenn sie noch eines haben möchten. Gerne, sagte ich. Dann tippte ich ihm den Text in den Computer. Aber wollen sie nicht noch etwas dazuschreiben? Die Leute sollen doch wissen, worum es geht bei ihrer Lesung. Da machen sie so etwas Tolles, aber auf dem Plakat steht nichts davon, worum es geht. Ich dachte, dass er vielleicht recht hatte und schrieb noch etwas mehr auf das Plakat, als ich eigentlich wollte.

Ein junger Mann kam herein und wollte einen Ausdruck haben, von seinem Mietvertrag und seinem Personalausweis. Gibt es noch die Schufa? Fragte mein Copyshopbesitzer, als er das Auszudruckende überflogen hatte. Ja, die gibt es noch, und alle Vermieter fragen danach, sagte der junge Mann. Mmh, sagte der Copyshopbesitzer. Wieso haben sie drei Namen? Drei Namen, fragte der junge Mann? Sie haben hier drei Namen: Yannick, das ist griechisch, Kian, das ist persisch und Dennis, das ist türkisch und heißt: Das Meer. Nein, Dennis ist Deutsch, sagte der junge Mann, meine Eltern haben gedacht, es wäre besser, wenn sie mir noch einen deutschen Namen geben. Ist ihr Vater Iraner? Ja, sagte er. Aber wieso hat er Ihnen den Namen Yannick gegeben? Das ist doch ein griechischer Name! Wissen sie von den persisch griechischen Kriegen? Nein, sagte Yannick. Da waren die Perser hinterher alle wie tot und lagen auf dem Schlachtfeld und die Griechen haben sie trotzdem nicht getötet, sie haben sie liegen gelassen. Das ist seltsam, dass Ihre Eltern ihnen so einen Namen gegeben haben. Iran und Griechenland, das geht heute, unter den Religiösen, ja, heute vertragen sie sich. Aber Griechenland und Türkei, das geht nicht mehr! Das wusste ich ja gar nicht, sagte Yannick Kian Dennis, dessen Namen ich nun nicht mehr vergessen werde. All das über meine Namen, sagte er dann noch, höre ich heute zum ersten Mal! Er zahlte seine 1,60 Euro und verließ den Copyshop, während meine Plakate mit der Ankündigung immer noch unendlich langsam durch den Drucker ratterten. Kopfschüttelnd sah ihm der Copyshopbesitzer hinterher. Er weiß noch nicht mal, was seine Namen bedeuten. Kennen Sie eigentlich Anna Kurzer? Nein, sagte ich. Das ist auch so eine Künstlerin, so wie sie. Aber sie hatte Krebs und ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen und weiß nicht, was mit ihr ist. Nein, ich kenne sie leider nicht, sagte ich. Inzwischen wartete ich schon mehr als eine halbe Stunde auf die drei neuen Ausdrucke, die jetzt endlich fertig waren. Als ich zahlen wollte, bekam ich vier Euro Rabatt. Wirklich ein sehr schönes Bild, sagte er noch einmal und packte mir die fertigen Plakate in eine sehr verstaubte Schachtel.

 

 

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