vonSabine Schiffner 19.02.2024

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

Mehr über diesen Blog

Als ich heute morgen in den türkisch-kurdischen Kiosk an meiner Ecke gehe, um nachzusehen, ob mein Plakat mit der Lesungsankündigung für heute Abend noch hängt, treffe ich dort einen der deutschen Männer, die dort tagaus tagein immer mal wieder herumlungern, Fußball im TV gucken und Kaffee aus dem Automaten ziehen und scheinbar nicht viel zu tun haben. Er hat die Broschüre in der Hand, in der mein Buch angekündigt wird. Kommst du heute Abend zur Lesung, frage ich ihn. Zur Lesung? Er ist ganz entsetzt. Ich gehe doch nicht auf eine Lesung. Es ist für mich eine grauenvolle Vorstellung, vorgelesen zu bekommen. Aha, denke ich, wenn der sich mal online nach Partner*innen umguckt, wird er also bei der Option „Ich lese meinem Partner gerne vor oder bekomme vorgelesen“ kein Kreuzchen machen können. Womit sich seine Chancen bei Frauen enorm verringern dürften. Bei mir hat er spätestens jetzt sowieso schon verk….

Warum das denn nicht, frage ich. Weißt du, Sabine, wenn da so Dialoge drin sind, verstehe ich immer nicht, warum das nur eine einzige Person liest. Das ist doch nicht logisch, das müssten mehrere lesen! Ach so, soll die Lesung mehr wie ein Film sein? Nein, das auch nicht, aber die meisten Autoren können doch überhaupt nicht gut vorlesen. Nein, nie würde ich zu so etwas gehen, wie langweilig ist das denn! Und dann kaufen sie Berühmtheiten ein, Schauspieler und so, wie auf der LitCom in Köln, dann kommen die Leute nur wegen der Berühmtheiten und nicht wegen der Bücher. Das ist der reine Kommerz!  Aber auch die Schauspieler können oft gar nicht gut vorlesen…eine längere Pause, dann erzählt er weiter. Sabine, ich spreche aus Erfahrung. Ich wurde nämlich früher immer vom Lehrer ausgewählt, wenn es darum ging, Gedichte vorzutragen. Der fand nämlich, ich mache das besonders gut. Ich hatte eine so schöne Stimme! Aha, denke ich. Und dann denke ich darüber nach, was meine Freundin B. jetzt gedacht und wohl auch laut ausgesprochen hätte, denn sie ist mutiger als ich: Typisch Mann, ganz schön eingebildet! Aber wenn du heute Abend unbedingt vorlesen willst, wünsche ich dir trotzdem viel Erfolg, sagt er, als ich mich zum Gehen wende. Wo ist die Vorlesung denn? Im Literaturhaus, sage ich. Hoffentlich kommen viele Leser, sagt er auch noch. In diesem Moment fällt mir ein Gedicht von Günter Eich ein, das ein Freund gestern zitierte:

In Saloniki weiß ich einen, der mich liest, und in Bad Nauheim. Das sind schon zwei.

Und plötzlich befürchte ich, dass ganz viele Menschen hier in Köln es so sehen könnten wie der Mann aus dem Kiosk, den ich bisher für gar nicht so dumm gehalten habe, wie er eben dahergeredet hat! Und was, wenn heute Abend nur zwei Menschen zu meiner Lesung kommen? Panik überfällt mich. Versagensängste. Typisch Frau, hätte B. jetzt wieder gesagt, immer zu denken, du bekommt es nicht hin. Dann fällt mir ein, dass sich doch schon 58 Personen bei mir persönlich angemeldet haben. Ob ich nochmal bei Allen persönlich nachhaken soll? Ach was, ich beruhige mich wieder.

abo

Zeiten wie diese brauchen Seiten wie diese. 10 Ausgaben wochentaz für 10 Euro im Probeabo. Jetzt die linke Wochenzeitung testen!

Am Nachmittag klingelt das Telefon. Eine unbekannte Festnetznummer aus Wuppertal. Da ich einen Freund in Wuppertal habe, nehme ich ab. Wespenmann hier, sagt eine ältere Männerstimme. Und dass er meine Nummer aus der Autorennetzbank habe. Er wolle nämlich schon lange ein Buch schreiben. Was für ein Buch denn? frage ich. Etwas biographisches? Ja. Er habe nämlich eine Mutter gehabt, die sei so gut gewesen. Aber sie habe ihm nur Dinge beigebracht, mit denen er nichts mehr anfangen konnte, als er ins Berufsleben trat und plötzlich nach unten treten und nach oben katzbuckeln musste. Und er habe daraus gelernt, böse zu werden und nur noch nach unten zu treten, was ihm seine Mutter nicht beigebracht habe, Und ob ich ihm wohl behilflich sein könne, das Buch darüber zu schreiben, das bestimmt ein großer Erfolg werden würde. Sofort schrillt bei mir eine Alarmklingel, ausgelöst dadurch, dass ich heute schon mehrmals an B. denken musste: Typisch Mann, zu denken, dass er ein wahnsinnig begabter Autor sei, obwohl er noch nie auch nur eine Zeile geschrieben hat. Ich unterbreche ihn: Entschuldigung, Herr Wespenmann, ich habe leider keine Zeit. Ich bin auf dem Sprung, habe heute Abend eine Lesung. Können wir morgen telefonieren? Ja, gewiss doch! Ich rufe Sie wieder an. Gut, ich warte auf Ihren Anruf!

Ich gehe in Richtung des Literaturhauses, habe mein neues Buch und meinen Laptop dabei. Die Lesung findet im Rahmen des Offenen Literaturhauses statt. Das ist etwas ganz Neues. Das Kölner Literaturhaus ermöglicht es nämlich, sich dort für Lesungen und literarische Veranstaltungen zu bewerben und selbständig eine Veranstaltung durchzuführen, an Tagen. an denen keine offiziellen Veranstaltungen sind und das Literaturhaus also ungenutzt bleibt; Nutzung von Ressourcen heißt das heutzutage, glaube ich und hat vielleicht etwas mit dem Klima zu tun oder so ähnlich. Da ich letztes Jahr schon eine Premierenlesung (mit meinem Roman Nachtigallentage) im offiziellen Literaturhaus hatte, habe ich gedacht, ich sollte bescheiden sein und die diesjährige Premierenlesung meines Istanbulbuches besser im Offenen Literaturhaus machen. Typisch für Dich, hatte B. gesagt, als ich ihr davon erzählte, dass du heute Abend nicht nur Leserin, sondern auch die Veranstalterin bin und das alles ohne Honorar.

Ich habe meine angemeldeten Personen nicht mehr durchtelefoniert, aber bin auf dem Weg ins Literaturhaus noch voller Panik, weil sich eben noch zwei Personen bei mir abgemeldet haben. Bis kurz vor Beginn der Lesung fürchte ich, dass sich die Reihen nicht füllen könnten. Aber dann wird es voll bis auf den letzten Platz und die Lesung mit meiner Moderatorin Ulrike Anna Bleier ein voller Erfolg und eine lange Schlange von begeisterten Zuschauer*innen, die den Büchertisch komplett leer gekauft haben, steht vor meinem Lesepult, um sich mein Buch signieren zu lassen. Und trotzdem…immer noch habe ich ein ungutes Gefühl; ob ich mir nur einbilde, hier eben eine tolle Lesung gemacht zu haben, ob alle nur so getan haben, als wenn ihnen das Buch so gut gefällt? Typisch Frau, würde meine beste Freundin B. sagen, wenn sie das hören würde und diesmal hoffentlich sogar ein bisschen böse mit mir werden!!

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/fremdeln/fremdeln-im-kiosk/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert