Wir sammeln Stimmen gegen die AFD, sagt er und strahlt mich an. Regenbogenfarben ist die Fahne, die hinter ihm und seinen zwei Mitstreitern aufgebaut ist: Rassismus in die Tonne, steht darauf, sie sind vom Bündnis „Lets fight racism“. Seid ihr auch gegen die AFD, fragt er uns? Ja, klar, sagen wir und schon klappt er zwei Zahlen um: 32
32 Menschen, die gegen die AFD sind! Jetzt kommt ein Polizist und fängt an, mit ihm zu diskutieren. Der stand gerade noch drüben beim Stand der AFD, zusammen mit mehreren Polizistenkollegen. Denn die AFD ist auf der anderen Seite der Straße, vielleicht zwanzig Meter entfernt sind sie, ca. 10 Mann, keine Frau, schwarz gekleidet. Als ich an ihnen vorbeiging, vor ca. 10 Minuten und sah, dass es AFDler sind, krümmte sich alles in mir zusammen. Ich bekam ein Gefühl der Wut und gleichzeitig der Resignation, als ich das erste Mal in meinem Leben an einem AFD-Wahlstand vorbeiging. Wie kann es nur sein, dass in unserem Land eine solche Partei so an Macht gewinnen konnte, dass sie jetzt hier steht und sogar ziemlich sicher in den Bundestag hineingewählt wird? Wieso sind die Menschen hier in diesem Land bloß so dumm, dass sie eine Partei mit solch einem menschlichkeits-, frauen- und fremdenfeindlichen Programm wählen? Wieso sind wir inzwischen in unserem tollen bildungsbeflissenen Land so sehr am Ende der Aufklärung angelangt?
Und ich dachte daran, dass ich ein paar Tage zuvor in Hamburg gewesen bin, wo Alice Weidel im Rathaus aufgetreten ist und von „Remigration“ sprechen konnte, ohne dass das besonders aufgeregt hatte. Ich kam in eine gespenstisch leere Innenstadt, die Bannmeile vor dem Rathaus war abgeriegelt mit so genannten Hamburger Sperren und voller Polizei, um die 17000 Demonstranten zurückzuhalten. Wieso war der Hamburger Bürgermeister, der Weidel als unerwünscht bezeichnet hatte, nicht mit auf der Demo? Wieso waren es nicht 180000 Menschen, so wie vor einem Jahr, als die AFD ihr Remigrationstreffen in Potsdam hatte und das Bündnis Hamburg Bündnis gegen rechts die Menschen mobilisierte? Wieso wird eigentlich immer alles schlechter in diesem Land? Hier und auch in vielen anderen Ländern wie in den USA, wo in wenigen Stunden ein frauen-, fremden- und menschlichkeitsfeindlicher Präsident gewählt wird? Neben mir, auf dem Bürgersteig, kniet eine Frau mit Kopftuch auf dem eiskalten Asphalt und fragt die Vorübergehenden nach Geld. Ich gehe weiter und komme zu einer Gruppe von älteren Frauen, die Schilder hochhalten: Omas gegen Rechts.
Schade, dass ich noch keine Oma bin, zu denen hätte ich mich gerne gesellt, sie machen so einen netten Eindruck. Warum gehen sie nicht näher in Richtung der AFD, frage ich eine der älteren Damen. „Das dürfen wir nicht! Die Polizisten sind eben gekommen und haben uns verboten, uns näher als 25 Meter zur AFD hinzustellen.“ Mmh. Gerade erst ist ja ein Urteil gegen den DLF ergangen, erwirkt von Bremens Innensenator, dass die Kosten für Polizeieinsätze bei Fußballspielen zukünftig den Fußballspielen zu Lasten gestellt werden. Hoffentlich kommt niemand auf die Idee, den armen alten Frauen die Kosten für die hier herumwuselnden Polizisten aufzuerlegen!! Zwischen den Omas und der AFD ist noch ein Stand der SPD. Alle der hier anwesenden Wahlkämpfer tragen irgendetwas knallrotes, einen Schal, eine Mütze oder einen roten Pullover. Was allerdings an ihrem Wahlprogramm rot ist, verstehe ich nicht und das Plakat mit Olaf Scholz vor der Deutschlandfahne gefällt mir nicht. Da sagt ein vorübergehender Mann ganz laut: Olaf Scholz ist ein Arschloch! Ist er von der AFD?
Wir beschließen, frühstücken zu gehen. Das Viertel, in dem wir sind, liegt in Osterholz-Tenever, einem Stadtteil mit 10000 Bewohnern, der geprägt ist von Arbeitslosigkeit, Armut und Bildungsbenachteiligung. Hier haben 67 Prozent der Bewohner*innen einen Migrationshintergrund. Und es gibt hier nicht nur Menschen aus 100 verschiedenen Ländern, sondern auch Läden mit Essen aus vielen verschiedenen Ländern, weswegen ich gerne hierherkomme, um einzukaufen und essen zu gehen. Zum Beispiel zum türkischen Frühstück im Restaurant Born: Ein Frühstücksrestaurant, das man so auch in Istanbul finden kann. Wir werden freundlichst begrüßt und bestellen die Köstlichkeiten, für die wir sonst schon weit geflogen sind und als sie gekommen sind, ist uns der Appetit leider irgendwie ein wenig vergangen. Denn immer noch steht da draußen vor dem Fenster die AFD und auf dem Asphalt kniet noch immer die alte Frau und streckt die Hände hoch und die lustigen Männer von „Rassismus in die Tonne“ mussten ihren Standort auf Anweisung der Polizei verlassen.