vonSabine Schiffner 27.02.2024

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Welchen Weg sie nehmen soll zum Bremer Flughafen, fragt sie beim Losfahren. Wir gucken pflichtbewusst auf unseren Handys nach und sagen, dass die Autobahn vielleicht zu sehr voller Verkehr ist und dass sie doch ruhig durch die Innenstadt fahren solle. Sie trägt einen Kunstpelzmantel und hat ihren Sitz sehr weit nach vorne geschoben. Ihre Haare sind sorgfältig toupiert und ich mag sie nicht fragen, wie es denn so ist, als Frau Taxi zu fahren. Sie soll sich nicht seltsam fühlen. Ich mag sie auch nicht fragen, wo sie herkommt, auch wenn ich es gerne wüsste und sofort Vermutungen anstelle. Aber sie soll sich nicht seltsam fühlen. Ich habe gehört, dass es nicht gut sei, Menschen zu fragen, wo sie herkommen. Nach einer Weile Fahrt krümmt sich mein Liebster, der neben mir sitzt, vor Entsetzen. Er guckt mich an und ich gucke ihn an: Was ist das bloß für Musik, die da aus dem Radio kommt? Und habe ich nicht eben noch auf ihre Frage, ob wir Musik hören wollen, gesagt: Nein, lieber nicht? Das hat sie wohl nicht verstanden oder wollte es nicht verstehen und fährt weiter in mehr als gemütlichem Tempo die Schwachhauser Straße entlang.  Sie mag  in unserem Alter sein, kann nicht älter sein, denke ich. Aber die Musik, die jetzt so laut aus dem Radio kommt, dass wir uns kaum unterhalten können, ist die Musik von vor sechzig Jahren, von bevor wir geboren wurden.

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Bis vor ca. dreißig Jahren kannte ich auch noch ältere Frauen ihres Alters (das heute unser Alter ist), die solche Musik gehört haben. Jetzt allerdings habe ich so etwas lange nicht mehr gehört. „Sweetheart, es war schön“, heißt der Song, der gerade läuft, der, wie ich weiß, weil ich eben meine Shazam-App geöffnet habe, ein remasterter Song von einem Sänger namens Ronny ist, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Als ich seinen Namen auf Wikipedia eingebe, sehe ich, dass er wie ich aus Bremen stammt, mit James Last und Heintje aufgetreten ist, von 1930 bis 2011 gelebt hat und auf dem Waller Friedhof begraben liegt. Hört die Taxifahrerin diese Musik, weil der Sänger Bremer ist? Und warum kenne ich Ronny nicht, obwohl er wie ich aus Bremen kommt? Jetzt fängt unsere Taxifahrerin auch noch an, mitzusummen. Ronnys Stimme ist schön und schmalzig. Er singt die Schnulzen mit viel Gefühl.  Das hat etwas Schönes, das mich berührt und in die Vergangenheit entführt. Es klingt nach heiler Welt. Ob wir zum Flughafen fahren, um abzureisen oder ob wir wieder abreisen aus Bremen, fragt sie nun. Bevor wir sagen können, dass wir nach Istanbul wollen, kommt der nächste Song. „Meryem, ach Meryem.“ Habe ich das richtig gehört? Ein Song von einem deutschen Sänger, der die türkische Version von Maria besingt? Wieder halte ich mein Telefon mit der Shazam-App nach vorne, was die Taxifahrerin nicht bemerkt, die weiter leise mitsingt, wieder ganz versunken ist. Dann sehe ich auf meinem Bildschirm, dass der Song auch von Ronny ist und dass er nicht „Meryem“, sondern „Mary ach Mary“ gesungen hat.

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Ich wundere mich. Habe ich in letzter Zeit irgendwas nicht mitbekommen? Ist diese altmodische Musik neuerdings in Deutschland eine neue musikalische Richtung? Werden wieder Schnulzen gehört? Es muss ja wohl doch eine ganze Reihe von Menschen geben, die diese Musik hören, wenn sie sogar remastert wird. Menschen wie unsere Taxifahrerin, die hörbar nicht aus Deutschland kommt und die ich nun im Spiegel sehe und die glücklich aussieht und so begeistert mitsummt.  Menschen, die vielleicht jedes Mal, wenn sie diese Musik hören, glücklich sind. Ich sehe sie wieder im Spiegel an, sehe ihr verzücktes Gesicht. Und in diesem Moment wünsche ich mir, dass ich so sein könnte wie sie….angekommen.

In Istanbul werden wir ein paar Stunden später am Flughafen von Ahmet abgeholt. Er ist uns geschickt worden von unserem Vermieter und kommt mit seinem weißen VW-Bus, den er sehr individuell ausgestattet hat. Wir sitzen also auf plüschig hellbraunen Plastiksitzen unter einem künstlichen Sternenhimmel und können uns nicht anschnallen, weil es keine Gurte gibt und fahren auffällig langsam und auch irgendwie rumpelig in die Stadt hinein. Genauso langsam, sagt mein Liebster, fährt er, wie wir vorhin noch in Bremen gefahren sind, was seltsam ist, denn die Taxifahrer in der Türkei sind eigentlich für ihre schnelle Fahrweise bekannt. Weil Ahmed nur türkisch spricht und wohl glaubt, dass wir kein Türkisch sprechen, so wie wir aussehen, spricht er nicht mit uns. Aber er lässt Musik laufen. Wieder öffne ich meine Shazam-App. Cem Karaca (1945-2004) , der in Deutschland bei den Deutschen gänzlich unbekannt ist, obwohl er dort lange im Exil gelebt und hunderttausende Platten verkauft hat und sogar bei Bios Bahnhof mit seiner Band „Die Kanaken“ und seinem tollen „Gastarbeitersong“ aufgetreten ist, singt seinen bekanntesten türkischen Hit „Cok Yorgunum“ (Ich bin müde). Den hat er 1984, nach seiner Rückkehr in die Türkei, hier aufgenommen. Ich bemühe den Übersetzer: „Ich bin sehr müde. Warten sie nicht auf mich, Kapitän. Bringen sie mich zu diesem Hafen. Dem blauen Hafen etc…,“. Es ist ein Song nach einem Gedicht von Nazim Hikmet (1902-1963), dem größten türkischen Dichter, der fast sein ganzes Leben entweder im Gefängnis saß oder im Exil war. Cem Karaca hat eine tolle Stimme, denke ich in dem Moment, als wir an einer Moschee vorbeifahren. Schmalzig klingt seine Stimme zwar schon für deutsche Ohren wie meine, denke ich auch noch und mir fällt wieder der Gesang des Bremers Ronny ein. Cem Karacas Lied berührt mich. Und auf einmal sehe ich das Gesicht des Taxifahrers im Spiegel. Er sieht glücklich aus. Glücklich und versunken. Plötzlich bin ich auch glücklich. Glücklich und angekommen…..

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