vonSabine Schiffner 19.05.2024

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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langemarck

das da bin ich fünfjährig auf

dem foto aus der schule

ich schreibe etwas mit der

guten mit der rechten hand ich

schreibe etwas obwohl ich doch

noch gar nicht schreiben kann ich

tu nur so als könnte ich der fotograf

hat mich zum tun als ob verdonnert

mein pony ist ganz zackig abgeschnitten

ich sitze in demselben zimmer in dem

vor nun fast 100 jahren paar junge

männer saßen abiturienten und auch zukünftige

studenten die sich freiwillig meldeten

ich sitze da und schaue in die kamera und

weiß noch nicht was dann aus ihnen wurde

dass sie der tod ereilte

ich halt den stift genauso wie auch eben

jetzt wo ich dieses gedicht aufschreibe in meinem

zimmer in dem ich gerade wieder 

an sie denken

muss

 

Mein erstes Schuljahr verbrachte ich, wie man auf diesem Erstklässlerfoto allerdings nicht erkennen kann, in der Langemarckschule, die sich an der Langemarckstraße befindet. Die Schule ist schon 1892 erbaut worden und ist sehr viel älter als ihr Name, den sie erst 1936 bekommen hatte, benannt wurde sie nach der erst 1936 umbenannten Langemarcktraße, an der sie liegt.

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Während dieses ersten Schuljahres und auch noch ein paar Jahre danach vermutete ich, der Name käme daher, dass diese Straße recht groß, lang und einigermaßen breit sei. Aber nachdem unsere Altachtundsechzigerlehrer uns über die Verbrechen des ersten Weltkrieges und die Folgen davon aufgeklärt hatten, wunderte ich mich doch jedesmal, wenn ich den Namen Langemarckstraße hörte, sehr. Ausgerechnet in meiner doch eher linken Heimatstadt Bremen trug eine so wichtige Straße weiterhin diesen Namen! Nachdem ich zum Studium aus Bremen fortgegangen bin, habe ich allerdings lange nicht mehr darüber nachgedacht. Nun bin ich vor kurzem nach Bremen zurückgekommen und stellte mit großem Erstaunen fest, dass die Straße an meiner ehemaligen Grundschule immer noch so heißt wie damals:

Bei Langemarck handelt es sich um einen kleinen Ort in Belgien, in dessen Nähe al­lei­ne auf deut­scher Sei­te bei einer der ersten großen Schlachten des Weltkrieges an 10. November 2014 ca. 2.000 vor allem sehr junge Sol­da­ten ums Le­ben kamen. Lan­ge­m­arck er­hielt da­mals für Deutsch­land eine fast schon my­tho­lo­gi­sche Be­deu­tung, weil sein Name mit den an­geb­li­chen pa­trio­ti­schen Ge­füh­len jun­ger Deut­scher, ins­be­son­de­re Stu­den­ten, im Kampf vor Lan­ge­m­arck ver­bun­den wur­de.

Die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ver­folg­ten eine „Er­zie­hung im Geist von Lan­ge­m­arck“, weil ih­nen dies in der Pha­se der un­mit­tel­ba­ren Kriegs­vor­be­rei­tun­gen ab 1933 be­son­ders wich­tig war.  Be­reits am 4. Fe­bru­ar 1934 weih­te der da­ma­li­ge Bremer NS-Bil­dungs­se­na­tor, Richard von Huff ein Denk­mal zu Eh­ren der 200 (!) ge­fal­le­nen Bre­mer in der Schlacht bei Lan­ge­m­arck ein.

Der SA-Mann und damalige Bürgermeister Karl Heider griff we­nig spä­ter die In­itia­ti­ve des Reichs­stu­den­ten­füh­rers auf, auch in Bre­men ei­nen „wür­di­gen und ent­spre­chend be­deu­tungs­vol­len, schö­nen Stra­ßen­zug“ am da­ma­li­gen Tech­ni­kum, das noch heute Hochschulort ist, der „Lan­ge­m­arck-Idee“ zu wid­men. Nun soll­te die gan­ze Stra­ße nach dem Ort be­nannt wer­den. Ein kür­ze­rer Stra­ßen­ab­schnitt wür­de zwar Um­stel­lungs­pro­ble­me ver­rin­gern, wäre aber für die große Sa­che nicht an­ge­mes­sen gewesen. Da­her wur­den 1937 die drei Straßenabschnitte, die Gro­ße Al­lee, die Klei­ne Al­lee und die Me­ter­stra­ße um­be­nannt in „Lan­ge­m­arck­stra­ße“.

Dass man nach 1945 die wichtigen Personen, die im dritten Reich gegen die Nazis ankämpften und dafür ihr Leben ließen, in Bremen in Wohnsiedlungen verbannte, in denen vor allem Menschen, die aber auch rein gar nichts mit dem Namen von den Scholl-Geschwistern etc. anzufangen wissen, wohnen, ist wohl eine weitere Seltsamkeit des bremischen Benennungswesens.

Ist es dagegen ein Zufall, dass ausgerechnet im vornehmen Schwachhausener Stadtteil, in dem die Senatoren und Politiker bevorzugt leben, noch Straßen wie Hedwig-Heyl-Straße (benannt nach der Gründerin des NS Frauenbundes) und Lüderitzstraße (benannt nach dem Bremer Kolonialisten Adolf Lüderitz) heißen?

Vor kurzem schlug ich den Weserkurier auf und las erstaunt, erschrocken, betroffen von den neuesten Entwicklungen bezüglich der Langemarckstraße, deren Umbenennung immer noch auf sich warten lässt. Tage danach druckten sie noch Leserbriefe ab, in denen die Gegner der Umbenennung ihrem Unmut Luft machten. Fast zwanzig Jahre alt sind die Initiativen zur Umbenennung. Die Georg-Elser-Initiative (benannt nach dem Hitler-Attentäter im Münchener Hofbräuhaus) hat sich heute durchgesetzt. Nach ihm soll sie benannt werden: Georg-Elser-Allee!

Weil der Bürgerwille bei Umbenennungen eine Rolle spielt, ist man bisher damit nicht erfolgreich gewesen. Noch immer nämlich gibt es viel zu viele Anwohner, die es offenbar für besser halten, an einer Straße zu wohnen, deren Name den Nationalsozialisten zur Verherrlichung des Militarismus und der Umdeutung deutscher Kriegsgeschichte diente. Es sind mündige Bürger, die nicht nur an den Weserkurier böse Mails schreiben, weil die Straße nach einem couragierten Mann benannt werden soll, der dem Hitlerregime vielleicht viel eher den Garaus gemacht und die Zerstörungen des 2. Weltkrieges, den Tod von 6 Millionen Juden und 20 Millionen Russen verhindert hätte. Ich schaue auf das Foto aus dem Jahr 1971. Eine Schule ist schon lange nicht mehr in dem Langemarckgebäude, sie hat die Zeit nicht überdauert. Bald wird niemand mehr davon wissen. Aber der Name Langemarck ist noch immer existent.

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