langemarck
das da bin ich fünfjährig auf
dem foto aus der schule
ich schreibe etwas mit der
guten mit der rechten hand ich
schreibe etwas obwohl ich doch
noch gar nicht schreiben kann ich
tu nur so als könnte ich der fotograf
hat mich zum tun als ob verdonnert
mein pony ist ganz zackig abgeschnitten
ich sitze in demselben zimmer in dem
vor nun fast 100 jahren paar junge
männer saßen abiturienten und auch zukünftige
studenten die sich freiwillig meldeten
ich sitze da und schaue in die kamera und
weiß noch nicht was dann aus ihnen wurde
dass sie der tod ereilte
ich halt den stift genauso wie auch eben
jetzt wo ich dieses gedicht aufschreibe in meinem
zimmer in dem ich gerade wieder
an sie denken
muss
Mein erstes Schuljahr verbrachte ich, wie man auf diesem Erstklässlerfoto allerdings nicht erkennen kann, in der Langemarckschule, die sich an der Langemarckstraße befindet. Die Schule ist schon 1892 erbaut worden und ist sehr viel älter als ihr Name, den sie erst 1936 bekommen hatte, benannt wurde sie nach der erst 1936 umbenannten Langemarcktraße, an der sie liegt.
Während dieses ersten Schuljahres und auch noch ein paar Jahre danach vermutete ich, der Name käme daher, dass diese Straße recht groß, lang und einigermaßen breit sei. Aber nachdem unsere Altachtundsechzigerlehrer uns über die Verbrechen des ersten Weltkrieges und die Folgen davon aufgeklärt hatten, wunderte ich mich doch jedesmal, wenn ich den Namen Langemarckstraße hörte, sehr. Ausgerechnet in meiner doch eher linken Heimatstadt Bremen trug eine so wichtige Straße weiterhin diesen Namen! Nachdem ich zum Studium aus Bremen fortgegangen bin, habe ich allerdings lange nicht mehr darüber nachgedacht. Nun bin ich vor kurzem nach Bremen zurückgekommen und stellte mit großem Erstaunen fest, dass die Straße an meiner ehemaligen Grundschule immer noch so heißt wie damals:
Bei Langemarck handelt es sich um einen kleinen Ort in Belgien, in dessen Nähe alleine auf deutscher Seite bei einer der ersten großen Schlachten des Weltkrieges an 10. November 2014 ca. 2.000 vor allem sehr junge Soldaten ums Leben kamen. Langemarck erhielt damals für Deutschland eine fast schon mythologische Bedeutung, weil sein Name mit den angeblichen patriotischen Gefühlen junger Deutscher, insbesondere Studenten, im Kampf vor Langemarck verbunden wurde.
Die Nationalsozialisten verfolgten eine „Erziehung im Geist von Langemarck“, weil ihnen dies in der Phase der unmittelbaren Kriegsvorbereitungen ab 1933 besonders wichtig war. Bereits am 4. Februar 1934 weihte der damalige Bremer NS-Bildungssenator, Richard von Huff ein Denkmal zu Ehren der 200 (!) gefallenen Bremer in der Schlacht bei Langemarck ein.
Der SA-Mann und damalige Bürgermeister Karl Heider griff wenig später die Initiative des Reichsstudentenführers auf, auch in Bremen einen „würdigen und entsprechend bedeutungsvollen, schönen Straßenzug“ am damaligen Technikum, das noch heute Hochschulort ist, der „Langemarck-Idee“ zu widmen. Nun sollte die ganze Straße nach dem Ort benannt werden. Ein kürzerer Straßenabschnitt würde zwar Umstellungsprobleme verringern, wäre aber für die große Sache nicht angemessen gewesen. Daher wurden 1937 die drei Straßenabschnitte, die Große Allee, die Kleine Allee und die Meterstraße umbenannt in „Langemarckstraße“.
Dass man nach 1945 die wichtigen Personen, die im dritten Reich gegen die Nazis ankämpften und dafür ihr Leben ließen, in Bremen in Wohnsiedlungen verbannte, in denen vor allem Menschen, die aber auch rein gar nichts mit dem Namen von den Scholl-Geschwistern etc. anzufangen wissen, wohnen, ist wohl eine weitere Seltsamkeit des bremischen Benennungswesens.
Ist es dagegen ein Zufall, dass ausgerechnet im vornehmen Schwachhausener Stadtteil, in dem die Senatoren und Politiker bevorzugt leben, noch Straßen wie Hedwig-Heyl-Straße (benannt nach der Gründerin des NS Frauenbundes) und Lüderitzstraße (benannt nach dem Bremer Kolonialisten Adolf Lüderitz) heißen?
Vor kurzem schlug ich den Weserkurier auf und las erstaunt, erschrocken, betroffen von den neuesten Entwicklungen bezüglich der Langemarckstraße, deren Umbenennung immer noch auf sich warten lässt. Tage danach druckten sie noch Leserbriefe ab, in denen die Gegner der Umbenennung ihrem Unmut Luft machten. Fast zwanzig Jahre alt sind die Initiativen zur Umbenennung. Die Georg-Elser-Initiative (benannt nach dem Hitler-Attentäter im Münchener Hofbräuhaus) hat sich heute durchgesetzt. Nach ihm soll sie benannt werden: Georg-Elser-Allee!
Weil der Bürgerwille bei Umbenennungen eine Rolle spielt, ist man bisher damit nicht erfolgreich gewesen. Noch immer nämlich gibt es viel zu viele Anwohner, die es offenbar für besser halten, an einer Straße zu wohnen, deren Name den Nationalsozialisten zur Verherrlichung des Militarismus und der Umdeutung deutscher Kriegsgeschichte diente. Es sind mündige Bürger, die nicht nur an den Weserkurier böse Mails schreiben, weil die Straße nach einem couragierten Mann benannt werden soll, der dem Hitlerregime vielleicht viel eher den Garaus gemacht und die Zerstörungen des 2. Weltkrieges, den Tod von 6 Millionen Juden und 20 Millionen Russen verhindert hätte. Ich schaue auf das Foto aus dem Jahr 1971. Eine Schule ist schon lange nicht mehr in dem Langemarckgebäude, sie hat die Zeit nicht überdauert. Bald wird niemand mehr davon wissen. Aber der Name Langemarck ist noch immer existent.