vonsabineschiffner 21.06.2024

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Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Heute scheint mal die Sonne, als ich in Hamburg ankomme. Selten mal bin ich hier aus dem Bahnhof getreten und wurde von so schönem Sonnenschein empfangen. Der diesjährige PEN-Kongress beginnt heute mit einem feierlichen Empfang im Rathaus. Das habe ich mir schon immer mal gewünscht: Einmal im Hamburger Rathaus empfangen zu werden. Nicht nur, weil ich aus mir heute unerfindlichen Gründen meine Magisterarbeit im Fach Theaterwissenschaften über Hamburger Theaterbauten geschrieben habe. Sondern auch, weil Hamburg und sein riesiges Rathaus etwas ganz Besonderes sind. Als ich auf die Tür im Vordereingang des Rathauses zugehe und sie öffnen will, ist da ein kleines weißes Porzellanschild: STOSSEN! Was soll das heißen? Da ich lange in Köln gelebt habe, kenne ich das kölsche Wort däue, das an den Türen der Kölner Zentralbibliothek steht und das wohl dasselbe meint: Aufdrücken! Stossen aber ist mir neu. Sagt man/frau in Hamburg für aufdrücken tatsächlich stossen? Ich stoße die Tür auf.

Der Einlass zum Empfang, zu dem ich als PEN-Mitglied schon vor Monaten hochoffiziell eingeladen wurde, geschieht dank eines zugeschickten QR-Codes. Im Rathaus gehe ich eine prächtige Treppe hoch und mache auf dem Absatz ein Selfie von mir mit güldenem Schiff im Hintergrund.  “Die Kulturschaffenden nach rechts, die Fußballer geradeaus.”

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Ein hünengroßer Butler sieht sofort, dass ich zu den Kulturschaffenden gehöre und weist mir den Weg durch die verwirrend großen prächtigen Säle. Außer uns werden im Rathaus also auch Sportler empfangen. Eben noch habe ich mich über die vielen Georgier*innen im Zug und auf den Straßen gewundert. Der Fußball zieht also auch ins Rathaus ein. Aber bei ihnen wird wohl eher der Sportsenator seine Rede halten. Wir Kulturschaffenden sind heute in den Kaisersaal eingeladen. 2024 wird das 100-jährige Bestehen des PEN gefeiert, ein angemessener Anlass also, würdig empfangen zu werden.

Hamburg hat eine ganz besondere Bedeutung für den PEN und das hat auch Bedeutung für unser diesjähriges Treffen. Das hängt nicht nur mit illustren Hamburger PEN-Mitgliedern zusammen oder damit, dass der erste NachkriegsPENkongress in HH stattfand, sondern ganz konkret mit einem historischen PEN-Kongress in Hamburg, der sich hier im Jahr 1960 abspielte, in der Zeit des Eisernen Vorhangs. Darauf weist uns der sehr alerte Kultursenator Dr. Brosda in seiner Rede hin. Er klärt uns über ein historisches Stück PEN-Geschichte auf, von der ich noch nichts wusste. Seine Rede wirkt zum größten Teil wie ein Stegreifstück, legt Zeugnis ab von seinem schelmisch-literarischen Charakter und begeistert uns. Er weist auch auf seinen ehemaligen Chef hin, einen Mann namens Olaf Scholz, einen leidenschaftlichen Leser, wie er ihn nennt, von dem er zuweilen mitten in der Nacht SMS’ bekam mit dem folgenden Inhalt: Hast Du das und das schon gelesen? Seltsam, dass Leute wie dieser Dr. Brosda es nicht weiter bringen als bis zum Kultursenator in Hamburg.

Jetzt zitiert er Orhan Pamuk: Der Beruf des Schriftstellers ist der Beruf der Einsamkeit. Das Zitat gefällt mir. Aber es ist zwischendurch auch mal ganz schön, nicht nur einsam zu sein, sondern eine ganze Reihe von Kollegen zu treffen, so wie hier in Hamburg. Am Ende seiner sehr hanseatischen Rede teilt uns Herr Dr. Brosda dann auch noch mit, dass er ja gar kein Hanseat, sondern aus Gelsenkirchen sei. Sein Chef, der derzeitige Bürgermeister Peter Tschentscher, ist sogar gebürtiger Bremer. Aber davon sagt Dr. Brosda nichts. Das ginge in Köln nicht, muss ich denken: Ein Düsseldorfer als Kölner Bürgermeister oder sogar umgekehrt! Aber hier im hohen Norden sieht man das offenbar gelassener…

Und jetzt zum Clou seiner Rede. 1960 sollte in Hamburg ein historisches PEN-Treffen von Ost und West stattfinden, angesehene Autor*innen der Ostzone wie Anna Seghers, Peter Huchel etc. waren eingeladen, berichtet uns Dr. Brosda. Aber bevor sie noch ihre Koffer ausgepackt und ihre gefährlichen Bücher geöffnet hatten, erfuhr der damalige Polizeipräsident Dr. Kröger davon und setzte dem kommunismusverdächtigen Treiben ein Ende. Er nutzte alle seine Beziehungen, um zu verhindern, dass die Lesungen der Linken stattfinden konnten.

Dr. Brosda zieht den Bogen zum Heute und zu einer Berliner Justizsenatorin, die Anträge für u.a. Literatur-Förderungen vom Verfassungsschutz überprüfen lassen will, um Verfassungsfeinde nicht staatlicherseits zu unterstützen. Und zieht den Bogen zu einer aktuellen deutschen Gesellschaft, in der das freie Wort von jeder Menge Meinungsmacher*innen eingeschränkt wird. Und weist darauf hin, dass der PEN die Aufgabe hat, darauf hinzuweisen und den Diskurs und die Diskussion zuzulassen. Denn für den PEN sind das Wort und die Freiheit untrennbar miteinander verbunden. Schon Wieland, der Zeitgenosse Goethes und Aufklärer der Neuzeit, wusste das: “Wer soll feststellen, was richtig und was falsch ist. Das kann nur eine freie Öffentlichkeit!” Das und genau das ist das Thema für uns PEN-Mitglieder in unseren leider öffentlichkeitsmäßig zurzeit allzu eingeschränkten Zeiten! Wir sind uns einig. Eine gute Rede, die Vorlage für eine der dringendsten Diskussionen in unserer Gesellschaft bietet.

Während der Redner vorträgt, schaue ich mich im Kaisersaal um, in dem wir heute empfangen wurden. Ringsum sind die außenhandelsführenden Hafenstädte der Zeit um 1890 repräsentiert, ich sitze unter dem Bild meiner Heimatstadt Bremen. Daneben sind große plastische Marmor-Fresken vom kolonialen Handel, mit Kolonialisten und Ausgebeuteten, romantisch verklärt, entstanden in einer Zeit, als Deutschland und Hamburg noch von Kolonien träumten. Obwohl man niemandem unterworfen sein wollte, auch nicht dem Kaiser, als dessen “Verbündete” und nicht als Untertanen sich die Hamburger bezeichneten, wie Dr. Brosda gerade erwähnt, bauten sie doch zu seinem Empfang in ihrem gerade neu fertiggestellten Rathaus für ihn diesen Kaisersaal; heute ist er ein fast schon grusliges wirkendes Beispiel für die Verklärung eines dunklen Teils deutscher Geschichte, des Kolonialismus, der die Stadt Hamburg u.a. so reich machte, wie sie heute noch ist und der jedem Antikolonialisten ein echter Gräuel sein muss.

Die Hansestadt Bremen

Aber wir sollten nicht verbieten und abschaffen, sondern diskutieren und hinweisen; das ist die aufgeklärte Lehre aus der Geschichte. Das Motto des diesjährigen PEN Kongresses kommt vom Hamburger Philosophen und Ethnopoeten und Wegbereiter queerer Studien Hubert Fichte, der 1981 an AIDS gestorben ist: “Nach jeder Zeit kommt eine andere Zeit!”

Nun kommt aber erst einmal der eigentliche Empfang im Nebensaal. Der besteht aus kleinen Stücken Laugenbrezel, Wasser, Sekt und Apfelsaft! Wir sind uns einig: Das ist in all dem Prunk ein bisschen geizig. Ob bei den Sportlern mehr aufgefahren wird? Wir reden noch eine Weile miteinander und gehen dann ziemlich hungrig hinüber in die Petrikirche, wo Jan Philipp Reemtsma eine Rede für uns PEN-Mitglieder vorbereitet hat, die von der Kirche und dem Militär handelt und von Wieland und von Arno Schmidt, seinen beiden Steckenpferden und natürlich von der Aufklärung und warum sie heute, in Zeiten zunehmenden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, wichtiger denn je ist, worüber wir uns aber ja sowieso hier alle einig sind. Die Rede geht aber im halligen großen Kirchenraum unter und hat etwas von – Entschuldigung –  “Allzu gedrechseltem Raisonnement!”, welches schon Wieland, über den Reemtsma eine sehr dicke Biographie geschrieben hat, beklagte, weshalb bei mir auch nicht viel von der Rede hängenbleibt. Schade eigentlich, denn ich hatte mich auf den Redner, den ich als Autor und für sein Engagement so sehr schätze, sehr gefreut.

Es ist inzwischen nach neun Uhr und ich spaziere die Mönckebergstraße, die nichts zu ahnen scheint von Diskursen, Antikolonialismus und Wieland, auf der es um Frozen Joghurt, H&M und darum geht, kleine französische Bulldoggen spazieren zu führen, hoch und zurück in Richtung Bahnhof. Mein Zug nach Bremen wartet schon. Morgen früh werde ich wieder nach Hamburg zurückkommen. Denn dann ist Mitgliederversammlung. Die ist natürlich geheim. Darüber werde ich also hier nichts berichten. Leider ist diesmal der PEN-Präsident José Oliver nicht dabei, der unser letztes Treffen in Freiburg mit Gedichtrezitationen zu einem fast poetisch anmutenden gemacht hat. Er ist erkrankt. Als ich kurz vor dem Bahnhof bin, fängt es an zu regnen. Also doch. Wusste ich es doch. Immer wenn ich nach Hamburg komme, regnet es…

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