vonSabine Schiffner 06.11.2025

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Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Die britische Schriftstellerin Agatha Christie kam mit dem Orient Express nach Istanbul, ebenso wie der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway. Beider Weg führte sie von Paris über Wien, Budapest, Bukarest weiter nach Istanbul, dem letzten Ort auf der europäischen Seite, bevor der Bosporus Europa und Asien trennt. Heute gibt es diese Verbindung nicht mehr, ich selber bin vor drei Jahren die Strecke mit verschiedenen Zügen gefahren. Wer sich einen Eindruck davon machen will, wie kompliziert es heutzutage ist, mit dem Zug Europa von West nach Ost (Köln bis Varna) zu durchqueren, kann meine Erlebnisse im Oktober 2022, als ich hierhin fuhr, um an meinem Buch „Zeynep Suchen“ zu recherchieren, auf meiner Webseite nachlesen (Blog 1-7) https://sabineschiffner.de/sabine-schiffner-blog/ Empfehlenswert ist es auf jeden Fall! Aber es dauert tagelang und erst nach mehrmaligem Umsteigen erreicht man per Zug das Schwarze Meer, von Bulgarien geht es dann nur noch mit dem Bus weiter. Denn der Orientexpress fährt heute nicht mehr, es gibt keinen durchgehenden Zug von West nach Ost.

Erstmals gefahren ist er 1883, damals brauchte der Luxuszug, der schon mit einer Belegung von 14 Fahrgästen lukrativ fuhr, 58 Stunden für die Strecke Paris-Istanbul. Wenige Jahre Später reduzierte sich die täglich frequentierte Fahrt dann sogar auf 40 Stunden, eine Geschwindigkeit, die nach 1914 nie wieder erreicht wurde. Christie und Hemingway waren also ungefähr zwei Tage unterwegs, bis sie am Sirkecibahnhof ankamen, dem großen wunderschönen Jugendstilbahnhof auf der Seite des alten Istanbuls, nicht weit entfernt vom Sultanspalast und der Hagia Sophia. Heute kommen dort keine Fernzüge mehr an, es fährt nur noch eine Art S-Bahn und manchmal werden hier auch Fernsehserien gedreht, mit osmanisch verkleideten Statisten, weil alles noch so original aussieht. Von diesem Bahnhof wurden die Gäste früher in Sänften mit Trägern abgeholt und auf die andere Seite vom Goldenen Horn gebracht und nach oben auf den Hügel von Beyoglu getragen, nach Pera (andere Seite), auch „Klein Europa“ genannt, wo sich drei extra dafür erbaute große Luxushotels um die täglich eintreffenden Gäste rissen: Das Gran Pera, das Grand Hotel de Londres und das Hotel Tokatlıyan. Von diesen dreien werde ich in den nächsten Tagen noch mehr berichten.

Wollt ihr nach Istanbul? Ist das nicht gefährlich heutzutage? Fragen fast alle, denen ich erzählt habe, dass wir nach Istanbul fahren. Und schon am Flughafenschalter in Bremen wunderte sich die Frau beim Einchecken, dass wir nach Istanbul fliegen und nicht nach Antalya oder Bodrum, wie fast alle deutschen  und die meisten deutsch-türkischen Touristen. Deutsche sind sehr selten geworden, hier in der alten Hauptstadt des byzantinischen Reiches. Zurzeit sieht man vor allem arabische und südamerikanische Touristen. Die kommen wegen der türkischen Serien, die sehr populär sind in Südamerika, hat meine türkische Freundin mir erzählt, die sich damit auskennt, weil sie an ihrem Schmuckstand auf der Haupteinkaufsstraße, von Beyoglu, der Istiklal, genau mitbekommt, zu welchem Völkchen ihre Kunden gehören. Diese Serien, hat sie mir auch erzählt, werden en gros in Istanbul produziert, wo es so viele malerische Hintergründe gibt und wo man billig drehen kann und gute Schauspieler findet.

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Als wir durch die Passkontrolle sind und am Gepäckband warten und uns über Taxis unterhalten, spricht uns ein Mann auf Deutsch an, der vorher im Flugzeug in der Businessclass saß. Er könne uns gerne mitnehmen, sein Auto stünde am Flughafen. Wir sollten mal nicht mit dem Taxi fahren, er wolle nicht, dass wir schlechte Erfahrungen machten, ihm sei sehr daran gelegen, dass die Deutschen mit dem besten Eindruck von der Türkei zurückkämen. Er würde nach Eskisehir fahren, erzählt er dann, dort ist er als Unternehmer im Handel mit Garnen und Stoffen tätig. Aber er mache gerne den Umweg, um uns nach Istanbul zu bringen. Wie nett von ihm! Wir müssen leider sagen, dass wir abgeholt werden, und keinen Lift nach Istanbul brauchen. Gemeinsam gehen wir zum Ausgang, während er uns von seinen Geschäften erzählt und sich dann freundlich verabschiedet. Draußen wartet schon der Mann meiner besten türkischen Freundin, der es sich nicht nehmen ließ, uns mit seinem schnittigen Auto abzuholen, es gehört sich für die türkischen Freunde, uns am Flughafen abzuholen, alles andere wäre sehr unfreundlich. Es ist ein deutsches Fabrikat, türkische Autos gibt es nicht.

Als wir losfahren, erzählt er uns, dass die Importautos hier in der Türkei mit einem Aufschlag von fast fünfzig Prozent auf den Ursprungspreis verkauft würden. Es regnet heute in Strömen und wir brauchen lange in die Stadt, die Straßen sind verstopft. Sobald es regnet, setzt jeder Türke sich für den kleinsten Weg ins Auto, sagt unser Fahrer, der das Autofahren auf den Traktoren seines Vaters gelernt hat und wundert sich über alle Maßen, als er hört, dass wir kein Auto haben und dass mein Mann sogar noch nicht einmal Auto fährt. Stimmt das wirklich, fragt er zweimal nach und guckt ungläubig. Er erzählt uns dann, wie sich sein sehr vermögender Großvater als erster von drei Menschen in der heimlichen Haupstadt Anatoliens, Diyarbarkir, ein Auto kaufte, einen Renault, das war im Jahr 1973. Damals gab es dort noch keine normalen Straßen, sagt er und in Istanbul auch nicht. Kaum zu glauben, wenn man heute durch das Gewirr von Tunneln, Brücken und Straßen fährt.

Dann sind wir endlich im alten Teil der Stadt, in Pera, wo er uns vor dem Eingang des Grand Hotel de Londres absetzt. Dort haben wir für die nächsten fünf Nächte ein Zimmer gebucht, ca. 100 Euro soll das pro Nacht kosten, inklusive Frühstück. Ebenso wie wir ist auch Hemingway diese Marmorstufen hinaufgestiegen und hat an der Rezeption eingecheckt, drei Wochen verbrachte er im Jahr 1922 und schrieb in dieser Zeit als Korrespondent fast 20 Artikel über den griechisch-türkischen Krieg für englische Zeitungen, bis ihn die Malaria, die er sich wohl irgendwo sonst  eingefangen hatte, niederstreckte und er Konstantinopel wieder verlassen musste.

Wir checken ein und bekommen zur Begrüßung ein Update: Wir dürfen im Agatha Christie Room wohnen! Ob das daran liegt, dass wir nicht über booking.com gebucht haben, sondern direkt beim Hotel, was sogar günstiger war? Wir lassen es uns gerne gefallen, denn der Agatha-Christie-Raum ist mehr als doppelt so groß wie der ursprünglich gebuchte Raum, enorm plüschig und mit altmodischen Möbeln ausgestattet. Und er ist nur eines der Highlights dieses auch äußerlich noch original erhaltenen Hotels, das als Gebäude und von seinem Interieur her ein Museum sein könnte und seit 1892 auf das goldene Horn herunterschaut. Überall stehen uralte Sessel und kuriose Gegenstände aus den letzten Jahrhunderten herum und die Heizung, die auch noch aus dieser Zeit zu stammen scheint, funktioniert bestens. An den Wänden sind alte Seidentapeten und Stores und von den enorm hohen Decken hängen herrlichste Kronleuchter. In verschiedenen Käfigen sitzen Papageien und Kanarienvögel und zwitschern. In einer Ecke der riesengroßen Bar, die voller Spiegel und Bilder hängt, werden Fotos gemacht, ein enorm dünnes Model posiert mit einer ganzen Crew an Stylisten und Fotografen.

Aber hier wurden und werden nicht nur Fotos gemacht, sondern hier sind auch schon einige Filme gedreht worden. Auch Fatih Akin erkannte das Potenzial des Hauses und dreht u. a. hier „Gegen die Wand“. Ansonsten ist das Hotel, in dem ich früher schon häufiger  mit Freunden war und das oben auf dem Dach eine fantastische Rooftopbar hat, ein wenig im Dornröschenschlaf befangen. Viele Gäste sieht man hier nie, aber Filmteams und Fototeams lieben es ebenso wie ich; es gibt in vielen Räumen viel kurioses und altes zu entdecken und wenn das Istanbuler Literaturfestival ist, werden die Schreibenden natürlich hier untergebracht! Und ist denn unser Agatha Christie Zimmer das Zimmer, wo die Schriftstellerin gewohnt hat bei ihren Aufenthalten hier in Istanbul? Diese Frage wird mit einem Jein beantwortet. Gesichert ist nur, dass sie im schräg gegenüber liegenden Pera Hotel genächtigt hat. Aber zwischendurch verschwand sie einmal spurlos und für 11 Tage von der Bildfläche. Ob sie dann in unserem Zimmer schlief, das ein wenig so aussieht wie ihr Zimmer im Pera Hotel? Niemand weiß es so genau. Bis morgen will der Hotelbesitzer nachgucken, in welchem Zimmer Hemingway wohl geschlafen hat. Ich bin schon sehr gespannt! Das Zimmer von Agatha Christie im gegenüberliegenden Hotel können wir uns leider nicht ansehen. Dort haben sich Touristen eingemietet.

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