vonSabine Schiffner 11.01.2025

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Im Jahr 2006 war ich für einige Monate in der Villa Aurora in Los Angeles. Die Villa Aurora wurde seit 1943 von dem Ehepaar Feuchtwanger bewohnt. Joseph Goebbels hatte Lion Feuchtwanger zu einem der „ärgsten Feinde des deutschen Volkes“ erklärt, er war mit seiner Frau Marta auf abenteuerlichen Wegen über Frankreich in die USA geflüchtet. Hier traf sich die Community der verfolgten Künstler, die sich in die USA und nach L.A. hatten retten können. Autoren wie Bertolt Brecht, Thomas Mann, Heinrich Mann, aber auch Komponisten wie Arnold Schönberg und Kurt Weill sind nur einige der prominenten Personen, die bei dem wohlhabenden Ehepaar Feuchtwanger ein und aus gingen. Nach dem Tode von Marta Feuchtwanger, der Witwe des Schriftstellers, erbte die USCA (University of Southern California) das Anwesen, das aber nach und nach verfiel. 1988 erwarb dann der deutsche Staat mithilfe eines spendierfreudigen Freundeskreises das Haus und baute es zu einem Stipendiatenhaus für Künstler*innen aus, das 1995 eröffnet wurde. Ich selber bekam 2006 das Stipendium zugesprochen, ohne dass ich mich dafür bewerben musste.

Das Stipendiumsgeld war verlockend hoch und es bot mir die Möglichkeit, endlich einmal eine Zeitlang schreiben zu können, ohne mir Sorgen machen zu müssen, sodass ich es damals sogar hinnahm, meine Kinder nicht mitnehmen zu dürfen und sie bei meinen Eltern ließ. Denn Kinder sollten die heiligen Hallen in Los Angeles nicht stören. Ich konnte immerhin aushandeln, dass die Kinder am Schluss meines Aufenthaltes für wenige Tage kommen durften, bevor ich mich mit ihnen auf eine mehrwöchige USA-Reise machen wollte, worauf ich mich an einem jeden Tag meines Aufenthaltes mehr freute.

Außer mir hatte keiner dort anwesenden Künstler Kinder. Meine Mitstipendiaten waren Männer, die alle sehr avantgardistischen – wie ich fand – künstlerischen Aktivitäten frönten. Neben ihnen fühlte ich mich mit meinen Gedichten wie ein Mensch aus einem längst vergangenen Jahrhundert.

aus: „Dschinn“, S. Fischer, 2007

Einer der drei Stipendiaten war eine Art weltweit auftretender DJ, dessen wahren Namen niemand von uns kannte und der aber auch abstrakte Filme mit Musik machte und die anderen beiden Stipendiaten waren ein Künstlerpaar, die eine Art Autobahn mit einer Schleife entwickelt hatten und so hießen wie Smarties. Außerdem lernte ich einen kurdischen Schriftsteller kennen, mit dem mich seitdem eine enge Freundschaft verbindet. Er war dort sogar für zehn Monate, als politischer Flüchtling des Programms Writers in Exile. Er hatte lange in der Türkei im Gefängnis gesessen, aber trotzdem noch einen wunderbaren Humor, weshalb ich, aber auch, weil er so ausgezeichnet kochte und unterhaltsam zu erzählen wusste, oft zu ihm in seine Kellerwohnung ging. Ich selber wohnte im Haupthaus in einem lichten Zimmer. Der Blick vom Haus aus hinunter auf den Atlantischen Ozean war atemberaubend.

Blick aus dem Zimmer von Marta Feuchtwanger

Heute, wo der verheerenden Brände wegen so oft auch von der Villa Aurora die Rede ist, die sich in Pacific Palisades befindet, einem der Zentren des Feuers, denke ich oft an jene Zeit zurück und an das Gefühl, das ich damals hatte, so alleine in der Fremde, in der luxuriösen Umgebung, in der ich mich ärmlich fühlte, in diesem Haus, wo jedes Detail von deutscher Migrationsgeschichte erzählte, und wo zuweilen enorm berühmte deutschstämmige Schauspieler vorbeikamen und so taten, als sei es normal, dass sie hier waren und dass wir sie und sie uns bestaunten, ebenso wie die deutschstämmige Community von Nachfahren deutscher Emigrant*innen, die sich hier gerne traf und Partys feierte und die uns Künstler*innen so begeistert empfing, als wären wir die ersten Deutschen, die sie seit langem gesehen hatten.

Vor Gefahren wurde dort viel gewarnt, der nahe gelegene und auf einem Berg gelegene Nationalpark war voller gefährlicher Pumas und Klapperschlangen, die es auf Menschen und insbesondere Jogger abgesehen hatten, außerdem gefährdet durch Feuer, worauf überall Schilder hinwiesen, weshalb ich nur sehr selten und nie alleine in ihm spazieren ging und mich jedes Mal vorher wieder informierte, was im Fall eines Pumaangriffs zu tun sei. Auch der täglich von hispanischen Gärtnern bewässerte Garten wurde manchmal von Pumas aufgesucht,  wie mir der kurdische Schriftsteller mitteilte, durch dessen Fenster sogar einmal ein Puma gesehen hatte, weshalb ich auch nie allzuweit in den Garten hineinging.

Treppenhaus der Villa Aurora

Ich bekam als Schlafzimmer das Zimmer von Marta Feuchtwanger zugewiesen, die eine erstaunlich selbstbewusste Frau gewesen sein muss und schlief in ihrem Bett, in dem sie ihren Mann regelmäßig betrogen hatte, wie ich nachlas, was dieser, der sie auch betrog, wohl wusste. Und ich  schrieb an ihrem Schreibtisch, an dem sie auch diverse Briefe an ihre Lover und später ihre Biographie mit dem mir heute sehr seltsam vorkommenden Titel „Nur eine Frau“ geschrieben hatte. Besonders seltsam kam es mir damals vor, dass das polyamouröse Paar eine eigene große Orgel hatte, die in dem großen Saal eingebaut war, in dem ich manchmal auf dem Flügel spielte, wenn niemand zuhörte.

Der Orgelsaal

Vieles von damals fiel mir erst jetzt wieder ein, als ich nach alten Fotos des Aufenthaltes suchte. Digital fotografierte damals noch kaum jemand und so fand ich nur einige meist unscharfe Analogfotos, die ein Freund, der mich dort besuchte, gemacht hatte und auf denen ich meist dieselben Kleider trug. Diese Kleider besitze ich heute nicht mehr. Kurz bevor die Kinder kommen sollten, flog ich nach Mexiko, um dort das Grab meines Onkels zu besuchen, der in Mexiko gelebt hatte und mein Lieblingsonkel gewesen war. Ich wollte diese Reise literarisch verarbeiten, habe es aber bis heute nicht getan.

Die Kinder sind dann übrigens doch nicht nach L.A. gekommen, weil sie am Flughafen in Köln/Bonn nicht mitgenommen wurden, angeblich waren ihre Ausweise nicht in Ordnung, was sich aber im Nachhinein als Falsch erwies, weshalb ich den Ticketpreis zurückbekam, was ihnen und der geplanten und lange ersehnten Reise zu ihrer Mutter aber auch nichts mehr nutzte. Ich hatte nämlich, als die Kinder nicht kamen, sofort meinen Aufenthalt abgebrochen und war vorzeitig zurückgeflogen. In Deutschland begann gerade der Hype um die Fußballweltmeisterschaft und überall wehten Deutschlandfahren. Als ich in Köln ankam, wehten dort aber auch mexikanische Fahnen und mir kam es so vor, als wäre ich nicht einige wenige Wochen, sondern Jahre fort  gewesen.

Vor der Villa Aurora

Ich fühlte mich in L.A. fremd und war bei meiner Rückkehr in mein Heimatland auch sehr befremdet. Die sehnsüchtigen Gedichte, die ich in der Villa Aurora schrieb, hielten zum größten Teil Einzug in meinen Gedichtband „dschinn“ (S. Fischer Verlage, 2007), einige wenige finden sich auch in „fremd gedanken“ (Horlemann Verlag, 2012).
Heute, fast 18 Jahre später, denke ich voller Dankbarkeit zurück an die so unglaublich luxuriöse und beschützende Wohnsituation in der Villa Aurora. Ich hoffe in diesen schrecklichen Tagen des Feuersturms, dass das Haus verschont geblieben ist, damit noch viele weitere Generationen von Künstler*innen dort sein und Vergangenheit und Gegenwart mit allen Sinnen aufnehmen und verarbeiten können, so wie ich es damals tat!

In der Fremde, aus: „dschinn“ (S. Fischer, 2007)

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