vonSabine Schiffner 02.06.2024

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Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Wir haben es klimaunfreundlich getrieben und sind per Flugzeug nach Palermo geflogen. Goethe machte es anders und besser: Er war auf dem Schiff unterwegs, einem Paketboot, das in Neapel ablegte und am 29. März losfuhr und drei Tage brauchte, in denen er sich seiner Seekrankheit wegen vor allem in der Kabine aufhielt. Nur selten ging er raus, um mit seinem Künstlerfreund Kniep zu sprechen, der ihn auf der Reise begleitete, viel malte und Goethe auch unterrichtete. Denn auch Goethe selber malte und zeichnete wie ein Besessener und tut in seinem Buch so, als sei er eher ein Zeichner als ein Schreibender. Wie seine Kunstwerke aussehen, kann ich aber in der wunderschönen Dünndruckausgabe mit Ledereinband und Goldprägung der „Italienischen Reise“, die ich mir mit auf den Weg nach Sizilien genommen habe, nicht sehen und muss es mir nur vorstellen. Mein Freund hat leider sein Malzeug zu Hause vergessen. So werden wir uns also in den nächsten Wochen mit dem Handy vergnügen, um abzubilden, was uns abbildenswert erscheint und was wohl nach Absenden per Whatsapp an diverse interessierte Familienangehörige und Freunde schnell wieder aus dem Kopf geht und wonach in zweihundertsechsundzwanzig Jahren (ein Jahr vor der Französischen Revolution trat Goethe seine Reise an, die allerdings erst vierzig Jahre danach als Buch herauskam) wohl kein Hahn/keine Henne mehr krähen wird.

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Die „Italienische Reise“ ist sehr lesenswert, wie ich während des Flugs feststelle und eigentlich ein Stückwerk aus Briefen und Tagebucheinträgen und Postkarten. Um mich auf die Insel vorzubereiten, kaufte ich mir auch eine italienische Ausgabe des „Leoparden“ von Guiseppe Tomasi de Lampedusa, der einer der bekanntesten Autoren Siziliens ist und den ich bisher nur wegen der Verfilmung von Luchino Visconti kannte. Außerdem lieh ich mir besagte „Italienische Reise“ von Goethe von einem Freund und nahm mir zuletzt aus meinem eigenem Bücherschrank Dantes „Göttliche Komödie“, Bd. 1, „Die Hölle“ mit. Und nun sitzen wir im Taxi und fahren vom Flughafen Palermo Richtung Zentrum und am Meer entlang, es ist Anfang Juli und ein nebliger Dunst liegt über den Wellen und dem Land und der Himmel ist grau bewölkt, als würde es gleich regnen. Und der Taxifahrer meint, es würde heute wohl nicht regnen, aber böig winden und erst morgen schön werden. Die Insel empfängt uns also mit eher schlechter Laune.

Ganz anders bei Goethe, der ja zwei Monate früher hier ankam: „Wie sie uns empfangen hat, habe ich keine Worte auszudrücken: mit frischgrünenden Maulbeerbäumen, immer grünendem Oleander, Zitronenhecken etc. In einem öffentlichen Garten stehn weite Beete von Ranunkeln und Anemonen. Die Luft ist mild, warm und wohlriechend, der Wind lau. Der Mond ging dazu voll hinter einem Vorgebirge herauf und schien ins Meer; und diesen Genuss, nachdem man vier Tage und Nächte auf den Wellen geschwebt!“

Das Taxi fährt just in diesem Moment, als ich an Goethe denke und daran, wie er hier wohl angekommen sein mag, an der Stelle vorüber, wo Giovanni Falcone, der Mafiajäger, ermordet wurde und an der heute ein großes rotes Denkmal daran erinnert. Wie oft schon habe ich über diesen Mord gelesen und denke jetzt, dass der Gedanke an Palermo/Sizilien bisher natürlich immer mit der Mafia verbunden ist und dass ich eine ganze Reihe von Menschen kenne, die sich gerade deshalb nie dahin aufmachen würden. Der größte und bekannteste Bürgermeister Palermos, Leoluca Orlando (was, wie ich seit heute weiß, der italienische Name für Roland ist), hat seit den 1990er Jahren versucht, der Mafia den Garaus zu machen. Anscheinend durchaus erfolgreich, lese ich im Reiseführer. Ich bin gespannt, welche Spuren/Begegnungen wir hier noch mit der Mafia haben werden. Jetzt fahren wir erst einmal durch ganz grauenvolle Wohnviertel voller heruntergekommener, billig hochgezogener Hochhäuser, an deren Balkonen die Wäsche hängt, ein Hinweis auf Armut. Allerdings werden auch hier ganz sicher einige Menschen sehr verdient haben am Elend.

Schon kommt mir Dantes dritter Höllenkreis in den Sinn: „Per me si va nella città dolente, per me si va nell`eterno dolore, per me si va tra la perduta gente“ (durch mich gehts ein zur beklagenswerten Stadt, hin zum unendlichen Schmerz, zu den verlorenen Menschen)

An den Straßenrändern sind erste mobile kleine Imbissstände, auch die Menschen, die dort entlanggehen, gehören ganz sicher zu den ärmeren Bewohnern Palermos. Die Einfahrt in die Stadt ist also überhaupt nicht einladend, lange fahren wir durch diese Art Viertel, die genausowenig einladend aussehen wie die Häuser in vielen Randgebieten der Großstädte Italiens. Erst als ockerfarbene alte dicke Gemäuer zu sehen sind, wird der Blick auf die Häuser erträglicher. Und schon sind wir mitten drin in der Altstadt, fahren vorüber an den Resten mittelalterlicher Stadtmauern, sehen Kuppeln von Kirchen, Säulen und Portale. Aber die Bevölkerung auf den Straßen wird doch noch immer ärmlicher, viele Menschen mit Migrationsvordergrund, sehr viele Menschen aus Pakistan, manche aus China und auch einige sehr ärmliche Angehörige der Roma sind auf der Straße zu sehen. Touristen jedoch weniger und dann liegt auch überall soviel Dreck auf den Straßen herum, dass ich feststellen muss: Palermo ist doch sehr viel schmutziger und heruntergekommener als Istanbul, das ich ja nun sehr gut kenne, weil ich erst vor kurzem fast ein Jahr dort war.

Ja, so ist es, auch die verfallenen und kaputten Häuser und Paläste, die zwischen einigen anscheinend inzwischen renovierten Häusern stehen, erinnern nur wenig an Istanbul, das inzwischen schon sehr gut renoviert ist. Und Palermo hat zwar einiges gemein mit Palma, das ich auch gut kenne, weil ich dort auch einmal ein paar Jahre gelebt habe und es ähnliche Straßen und Hausarchitektur gibt, weil dort auch so die Kabel aus, denn Wänden hängen und über die Straße gespannt sind. Aber in Palma ist es doch viel sauberer und ist ja inzwischen auch schon fast die letzte Ruine der Altstadt aufgemotzt und teuer verkauft und hat man die arme Bevölkerung der Altstadt gänzlich in Außenbezirke vertrieben. Dass es hier noch nicht so ist, gefällt mir dann eigentlich auch wieder ganz gut.

Der Bürgermeister von Palermo sagte in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel von 2019: „Machen sie sich keine Illusionen über Palermo. Palermo ist keine europäische Stadt. Es ist eine nahöstliche Stadt mitten in Europa. Es ist Beirut, Istanbul, Tripoli.“

Hier sieht es schmutzig und an vielen Stellen fast nach Krieg aus und nicht nur die Augen sondern auch die Nase wird übel maltraitiert, als wir endlich an unserem Haus angekommen sind und aus dem Taxi steigen. An allen Ecken liegt Schmutz und Abfall und es riecht nach verfaulten Orangen und nach Urin und ich muss wieder daran denken, was Goethe schrieb, als er das erste Mal durch Palermo ging:

»Bei allen Heiligen! sagt mir«, rief ich aus, »woher kommt die Unreinlichkeit eurer Stadt, und ist derselben denn nicht abzuhelfen? Diese Straße wetteifert an Länge und Schönheit mit dem Corso zu Rom. An beiden Seiten Schrittsteine, die jeder Laden- und Werkstattbesitzer mit unablässigem Kehren reinlich hält, indem er alles in die Mitte hinunterschiebt, welche dadurch nur immer unreinlicher wird und euch mit jedem Windshauch den Unrat zurücksendet, den ihr der Hauptstraße zugewiesen habt. In Neapel tragen geschäftige Esel jeden Tag das Kehricht nach Gärten und Feldern, sollte denn bei euch nicht irgendeine ähnliche Einrichtung entstehen oder getroffen werden?«

»Es ist bei uns nun einmal, wie es ist«, versetzte der Mann; »was wir aus dem Hause werfen, verfault gleich vor der Türe übereinander. Ihr seht hier Schichten von Stroh und Rohr, von Küchenabgängen und allerlei Unrat, das trocknet zusammen auf und kehrt als Staub zu uns zurück. Gegen den wehren wir uns den ganzen Tag. Aber seht, unsere schönen, geschäftigen, niedlichen Besen vermehren, zuletzt abgestumpft, nur den Unrat vor unsern Häusern.«

Und lustig genommen, war es wirklich an dem. Sie haben niedliche Beschen von Zwergpalmen, die man, mit weniger Abänderung, zum Fächerdienst eignen könnte, sie schleifen sich leicht ab, und die stumpfen liegen zu Tausenden in der Straße. Auf meine wiederholte Frage, ob dagegen keine Anstalt zu treffen sei, erwiderte er, die Rede gehe im Volke, dass gerade die, welche für Reinlichkeit zu sorgen hätten, wegen ihres großen Einflusses nicht genötigt werden könnten, die Gelder pflichtmäßig zu verwenden, und dabei sei noch der wunderliche Umstand, dass man fürchte, nach weggeschafftem misthaftem Geströhde werde erst deutlich zum Vorschein kommen, wie schlecht das Pflaster darunter beschaffen sei, wodurch denn abermals die unredliche Verwaltung einer andern Kasse zutage kommen würde. Das alles aber sei, setzte er mit possierlichem Ausdruck hinzu, nur Auslegung von Übelgesinnten, er aber von der Meinung derjenigen, welche behaupten, der Adel erhalte seinen Karossen diese weiche Unterlage, damit sie des Abends ihre herkömmliche Lustfahrt auf elastischem Boden bequem vollbringen könnten. Und da der Mann einmal im Zuge war, bescherzte er noch mehrere Polizeimissbräuche, mir zu tröstlichem Beweis, dass der Mensch noch immer Humor genug hat, sich über das Unabwendbare lustig zu machen.

Viel hat sich nicht geändert hier in dieser Stadt seit Goethes Zeiten, denke ich. Immer noch fühlt sich niemand verantwortlich für den Schmutz. Wir stehen vor einem großen alten Portal aus Eichenholz am Palazzo Maqueda in gleichnamiger Straße, die eine der zwei Hauptstraßen Palermos ist, die sich in der Altstadt genau in der Mitte kreuzen und die Piazza Bellini bilden. Beide Straßen sind verkehrsberuhigt, hier fahren fast nur Kutschen für Touristen und kleine Ape-Taxis, umgebaute Lastenautos, die jetzt Cabrios sind und auch Touristen kutschieren. Bevor das Tor zu unserem Palazzo sich öffnet, sehe ich auf der gegenüberliegenden Seite, auch an einem ehemaligen Palazzo, ein großes Schild: Orfeo-Kino. Aber das Kino ist ein Rotlichtkino und erst ab 18 Jahren hat man dort Zutritt. Wo sind wir hier gelandet?

Jetzt öffnet sich die Tür und ein junges Pärchen tritt heraus, unsere Gastgeber*innen bei Airbnb, Angelo und Zaira. Und wir treten ein in einen unglaublich wundervollen riesigen schattigen Patio mit uralten bauchigen Säulen, in dessen Mitte eine Palme wächst. Der Patio wird von anderen Hausbewohnern als Parkplatz benutzt, was ich aber kaum bemerke, so sehr geblendet bin ich von Alter und Schönheit des Innenraums, an dessen gegenüberliegendem Ende eine rotmarmorne Freitreppe in den Piano Nobile (die noble erste Etage, in der die adligen Hauserbauer einst gewohnt haben) führt. Jetzt aber führen uns unsere Gastgeber*innen die bei näherer Betrachtung doch auch ziemlich ausgetretene Treppe hinauf und zu unserer Wohnung. Und als wir dort sind, unsere Dinge abgestellt und uns erholt haben von den Eindrücken der Fahrt, schaue ich aus dem Fenster und sehe im gegenüberliegenden Fenster ein kleines Mädchen mit einem Spielzeugmaschinengewehr im Arm, mit dem sie auf die Straße zielt und leise schießt. Unten im Innenhof läuft der Kater mit Namen Napoleon, auf den uns unsere Vermieter eben schon hingewiesen haben. Und als ich darüber nachdenke, worüber ich schreiben könnte, gucke ich erst einmal nach, was es denn eigentlich mit unserem Haus auf sich hat, denn davon haben uns unsere Vermieter nichts erzählen können. Und stelle, nachdem ich ein wenig recherchiert habe, erstaunt fest, dass dieses prächtige riesige altmodische Haus von 1760, das einen ganzen Häuserblock einnimmt mit seinen Innenhöfen, von einem Principe Filangeri di Cutò erbaut wurde, der zwar nichts mit Goethe, aber einiges mit Giuseppe Tomasi di Lampedusa zu tun hat, dem Schreiber vom Gattopardo. Unter anderem beherbergte es seine riesige Bibliothek, die schon im 19. Jahrhundert den Grundstock für die Biblioteca Nazionale bildete. Na, so ein Zufall! Was ich noch herausgefunden habe, darüber werde ich auf meinem morgigen Blog berichten.

→ nächster Teil II

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