Es ist ja wirklich zu kurios, dass wir per Zufall über Airbnb ausgerechnet in den Palazzo Maqueda geraten sind. Er wurde nämlich erbaut von einem Vorfahren des hochadligen Autors Giuseppe Tomasi di Lampedusa, nach dem ich ja sowieso hier suchen wollte und zwar von einem seiner Ururugroßväter, im Jahr 1760, zu einer Zeit also, als es dem Adel in Sizilien noch gut ging. Dass es dem Adel schon ein Jahrhundert später gar nicht mehr gut ging hier in Palermo, dass er aber vorher in Saus und Braus gelebt haben muss, davon zeugen die unglaublich vielen Paläste und prächtigen Kirchen, die wir gestern Abend während eines ersten Spaziergangs durch die Stadt erleben durften. In der Altstadt, die an manchen Stellen so voller Schmutz und reicher Menschen und an anderen Stellen so voller Schmutz und armer Menschen ist und wo die Touristen sich auf wenige Straßen verteilen, wie in den meisten touristischen Zentren der Welt, sind viele der alten Paläste, aus denen die Altstadt fast ausschließlich besteht, verfallen. Sie stehen leer, sind voll blinder Fenster, die oft vernagelt sind, die riesigen prächtigen Holztore, durch die in früheren Zeiten die Kutschen Einzug hielten und die heute nur noch für Fiat 500 und Lancias geöffnet werden, sind oft für immer verschlossen, die Familienwappen über den von Säulen getragenen Portalen längst überflüssig und zerbröckelnd.
Die einst riesigen Gebäude, in denen wie in unserem bis zu 300 Personen an Dienstpersonal tätig waren, sind aufgeteilt worden in winzige Wohneinheiten, die Fassaden aufgerissen, mit Fenstern und wackligen Balkonen versehen. Außen und Innen gehen in der Altstadt nicht überein. Eine schäbige Tür kann sich zu einem paradiesischen Innenhof öffnen, hinter einer fantastischen Tür kann eine Ruine voller Wildwuchs sein. Ich glaube, ich war noch nie in einer Stadt mit soviel alten Palästen wie hier in Palermo und fast alle sind aus dem 17. und 18. Jhd. Gleich an zweiter Stelle an Anzahl, aber an erster Stelle was die äußere Pracht angeht, kommen die vielen Kirchen.
Wir besichtigten gestern Nacht noch die Kathedrale von Palermo, ein von außen sehr besonders wirkendes Gebäude, das einen orientalisch-fremdländischen Zauber hat, mit seinen Details einer Mischung aus normannischer, arabischer und Barockkunst, das von Innen aber auf mich eher langweilig wirkte, in klassizistischer Manier umgebaut worden ist vorerst wenigen Jahrhunderten. Eine steile Treppe, zu der man gelangte, indem man in einer kleinen Seitenkapelle hinter einen Altar trat, führte uns aufs Dach der Kathedrale, das etwas fast gaudi-artiges hat mit seinen runden mit Schindeln gedeckten Kuppeln und uns in 1001 Nacht entführte.
Am nächsten Morgen gingen wir in unserem Palazzo frühstücken. Oben ist in der ehemaligen Nobeletage ein kleines Hotel untergebracht, in dem es ein typisch italienisches Frühstück gab, süß und köstlich war das. Ganz besonders begeisterte mich die Cassatatorte, aber die Cannoli mit Pistazienfüllung und kleine fettgebackene süße Krapfen waren auch köstlich und versetzten uns in eine ganz besondere Stimmung, die zum herrlichen barocken Fresko passte, mit dem die Decke des Saales ausgemalt war. Ja, der Hausherr, jener Vorfahr von Giuseppe Tomasi de Lampedusa, muss ein besonderer Mensch gewesen sein, das berichteten schon seine Zeitgenossen. Er fiel durch seine Affinität für Kunst und Literatur auf. Dieses Gemälde hier oben an der Decke, das letzte Überbleibsel von Deckenmalerei im Hotel, lässt uns jetzt ein wenig so fühlen als seien wir in der sixtinischen Kapelle, etwas, was man nicht jeden Tag erleben kann.
Anschließend erwarben wir an der Rezeption zwei kleine Köpfe, einer weiß, einer schwarz, die aussehen wie Blumentöpfe und typische Keramik aus Sizilien sind, wie wir hörten. Sie werden „Testa di Moro“ (Maurenköpfe) genannt. Die Legende bezüglich der Köpfe geht so: Vor tausend Jahren liebte ein schwarzer Mann, der mit den Arabern gekommen war, eine Sizilianerin, die oft auf ihrem Balkon saß und Blumen pflanzte. Sie liebte ihn auch und als er zurück in seine Heimat gehen wollte, wo seine Frau wartete, wurde sie so eifersüchtig und wütend, dass sie ihn enthauptete und in seinen Kopf Basilikum pflanzte und ihn auf ihren Balkon stellte. Die Nachbarn sahen diesen Kopf und wollten auch solch einen Kopf für ihre Pflanzen. Manchmal sind Legenden hilfreich für den Verkauf….
Dann sind wir unterwegs und ich kaufe eine kleine rote Marionette. Es handelt sich um den Roland. Legendär ist die Puppenspieltradition hier in Palermo und die wichtigste Figur darin ist der Roland, der hier Orlando heißt, so wie der gute Bürgermeister Orlando, der die Mafia (fast) besiegt hat und der am Schluss immer alles zum Guten wendet. Als Bremerin muss man auch den sizilianischen Roland lieben!
Dann besichtigen wir noch die eine oder andere Kirche, manche byzantinisch, andere normannisch, dann wieder renaissancestilig, von den Theatinern, den Karmeliten, Franziskanern und allen anderen möglichen und unmöglichen katholischen Gruppierungen. In manchen Kirchen wie der von der hl. Katherina backen die Nonnen die köstlichsten Süßigkeiten, in anderen Kirchen sind nur philippinische Gläubige. Von manchen Sizilianern werden wir auf der Straße sehr freundlich begrüßt, aber in den Lokalen gibt es manche sehr unfreundliche Bedienung. Aber Fremdenfeindlichkeit soll es hier auf Palermo trotz oder gerade wegen eines sehr hohen Anteils von Menschen mit Migrationsanteil angeblich nicht geben, bekommen wir gesagt.
Am Mittag essen wir „Streetfood“, bei der es sich vor allem um Meeresfrüchte handelt, auf dem Ballaró-Markt, der sich in unserem Stadtviertel befindet und wo der Kellner mit jeder Frau, die gerade Lust hat, tanzt und alle Italiener anfangen zu singen, wenn ein Lied kommt, das ihnen zusagt. Dann lauschen wir einem italienischen Sänger, der zur Gitarre Schubertlieder singt, als er uns sieht und als Deutsche erkennt und gehen anschließend hinunter zum Hafen. Denn dort ist der Palast Tomasi di Lampedusa, in dem der Autor, mit dem ich diesen Blog begonnen habe, bis zuletzt gewohnt hat. Er konnte von ihm aus aufs Meer hinausschauen, sah die spitzen seltsamen Felsformationen, die die Bucht und die Stadt einrahmen und hat in diesem riesigen Haus sicher genauso viel Platz gehabt wie sein Vorfahre, in dessen Haus wir heute in einer winzigen Wohnung wohnen und mit uns noch mindestens 30 andere Parteien, denn das Haus ist längst zerstückelt und aufgeteilt. Ob Tomaso di Lampedusa sich diesen Luxus eines großen Palastes bis zu seinem Tode mit den Einnahmen als Autor erworben hat und mit seinem Buch, das weiß ich nicht. Der Film zum Buch wurde jedenfalls erst lange nach seinem Tode gedreht. Heute ist der Palast auch aufgeteilt in kleine Wohneinheiten, die u.a. an zahlungskräftige Touristen vermietet werden.
Als wir am Abend völlig erschöpft vom vielen Spazierengehen wieder nach Hause gekommen sind, nehme ich mir wieder meinen Goethe vor, der ja schon zu Lebzeiten und jung sehr erfolgreich war und seine „Italienische Reise“ im Alter veröffentlichte und sich trotzdem im nachfolgenden Bericht selber loben musste:
„Nachdem ich den Morgen zugebracht, die verschiedenen Kirchen zu besuchen und die Volksgesichter und Gestalten zu betrachten, fuhr ich zum Palast des Vizekönigs, welcher am oberen Ende der Stadt liegt. Weil ich etwas zu früh gekommen, fand ich die großen Säle noch leer, nur ein kleiner, munterer Mann ging auf mich zu, den ich sogleich für einen Malteser erkannte.
Als er vernahm, dass ich ein Deutscher sei, fragte er, ob ich ihm Nachricht von Erfurt zu geben wisse, er habe daselbst einige Zeit sehr angenehm zugebracht. Auf seine Erkundigungen nach der von Dachrödischen Familie, nach dem Koadjutor von Dalberg, konnte ich ihm hinreichende Auskunft geben, worüber er sehr vergnügt nach dem übrigen Thüringen fragte. Mit bedenklichem Anteil erkundigte er sich nach Weimar. »Wie steht es denn«, sagte er, »mit dem Manne, der, zu meiner Zeit jung und lebhaft, daselbst Regen und schönes Wetter machte? Ich habe seinen Namen vergessen, genug aber, es ist der Verfasser des ›Werthers‹.«
Nach einer kleinen Pause, als wenn ich mich bedächte, erwiderte ich: »Die Person, nach der Ihr Euch gefällig erkundigt, bin ich selbst!« – Mit dem sichtbarsten Zeichen des Erstaunens fuhr er zurück und rief aus: »Da muss sich viel verändert haben!« – »O ja!« versetzte ich, »zwischen Weimar und Palermo hab‘ ich manche Veränderung gehabt.«“
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