Schon früh morgens kommen die ersten murmelnden Gruppen an unserer Unterkunft vorüber. Schon wieder Amerikaner*innen! Im Urlaub kann man die verschiedenen Nationalitäten besonders gut beobachten, weil sie in Gruppen auftreten. Die Amerikaner*innen kommen mir dann immer irgendwie so exotisch vor. Sie haben sich in Kleinbussen auf den Weg nach Forza d`Agrò gemacht, um auf den Spuren des Paten zu wandeln. Immer wieder halten sie an der Kirche SS Trinitatis an, unserem Nachbarhaus. Dann hören wir, wie der Touristenführer erklärt, welche Szenen aus dem „Godfather „hier gedreht worden sind. Unter anderem nämlich die Hochzeit aus dem Paten III, bei der Al Pacino mit Diane Keaton tanzt. Anschließend gehen die Touristengruppen hinunter zur Pizzeria Antichi Muri an der Piazza, wo auch eine der Szenen aus dem Dorf „Corleone“ gedreht wurde und essen anschließend dort eine der Cine-Pizzen. Gestern Abend sind wir hier auch essen gegangen und haben „Il Padrino II“ (mit Pistazienpesto und Fenchelsalami) und „Il Padrino III (mit Mozarella da Bufala und Chilisalami) gegessen, die uns sehr gut mundeten. Wir hätten auch noch 18 weitere Cine-Pizzasorten essen können, denn hier in dem kleinen Ort, lesen wir nach, sind insgesamt schon mindestens 26 Filme gedreht worden! Davon merkt man aber abgesehen von der Pizzeria mit ihren Cinepizzen gar nichts, nirgendwo sind Hinweise oder Anmerkungen zu den Filmen zu finden. Die Amerikaner*innen haben sich ihre Reiseführer mitgebracht, die sich auskennen und außer Amerikaner*innen verirren sich hierhin nur wenig andere Touristen. Schon nachmittags ist außer uns beiden aber kaum noch jemand unterwegs auf den engen Straßen.
Obwohl der Ort klein ist, gibt es doch zwei Lebensmittelgeschäfte und eine Bäckerei. Besonders gut schmeckt hier auf Sizilien das Brot. Überall findet man kleine Bäckereien, die auch Vollkornbrot anbieten und selbst das Ciabatta und Paninis sind von ganz anderer Qualität als auf dem Festland. Der kleine Bäcker in Forza d`Agrò ist nur ein paar Stunden am Tag geöffnet, aber auch er backt selber, als wir morgens Brioche und Kekse kaufen, sind sie noch warm. Sizilien wurde immer schon die Kornkammer Italiens genannt, hat aber selber nichts von seiner Fruchtbarkeit gehabt, wurde immer ausgebeutet und musste alles abgeben. Das erinnert mich ein wenig an die Ukraine und deren jahrhundertelange Ausbeutung durch Russland.
850 Einwohner soll es hier im Ort noch geben. Die Dorfbevölkerung versammelt sich jeden Abend zur Messe im Dom SS Annunziata, der eigentlich viel zu groß zu sein scheint für dieses kleine Dorf, in dem es ja noch vier andere Kirchen gibt, die auch in Betrieb sind. Trotzdem sind die Reihen voll und es sitzen nicht nur alte Frauen dort, sondern auch junge Menschen und darunter auch einige Männer. Der Rosenkranz beginnt um halb sieben, die Messe um sieben Uhr und sie dauert fast eine Stunde. Anschließend gehen wir noch einmal durch das Dorf, in dem nichts mehr los ist, in dem nur noch einige halb verhungerte und kläglich aussehende Katzen und Kätzchen mit blinden Augen herumstreichen und ein einsamer Hund, der sich uns anschließen will. Die Amerikaner sind längst wieder unten an der Küste, die von hier oben so weit weg ist wie der immer rauchende Ätna. Und hier oben beginnt die Nacht, die von romantischen alten Straßenlaternen erleuchtet wird.
Das Dorf, das in den vergangenen Jahrhunderten immer mal wieder durch Erdbeben und Angriffe zerstört und an anderer Stelle neu aufgebaut wurde, besteht vor allem im hinteren Teil und in Richtung der normannischen Burg an der zweiten Bergspitze, an der es ganz früher gelegen hat, bis ein erstes Erdbeben im 15. Jhd. alles in Schutt und Asche legte, vor allem aus Geisterhäusern und zerfallenen Ruinen. Ich fühle mich ein wenig so wie während meines Spazierganges durch das von den Türkischen Militärs zerstörte Altstadtviertel im kurdischen Diyarbakir. Auch hier wohnen ganze Straßenzüge entlang keine Menschen mehr. Die Häuser sind so ruinös, dass man sie nicht mehr bewohnen kann, überall hängen die Stromleitungen von den Fassaden herunter und führen ins Nichts. Nur an manch herausgehobener Stelle, am Ende einer kleinen engen Treppe, die zu einer Stelle führt, wo der Berg steil nach unten abführt und der Blick ins Weite, zum Aetna und aufs Meer hin geht, ist dann plötzlich doch ein Haus bewohnt, haben die Fenster Glas und Fensterläden, steht eine gepflegte blühende Bougainvillea vor der Tür und eine Frau kehrt den Eingang. Möchtest Du hier wohnen, inmitten der zerstörten kaputten Häuser, fragen wir uns. Diese Umgebung ist ziemlich gruselig.
Aber nicht nur das Erdbeben, sondern auch die Mafia hat den Häusern hier den Garaus gemacht. Corleone war das Dorf mit der höchsten Mordrate in Sizilien, schreibt Mario Puzo, der gut recherchiert hat. Fast die gesamte männliche Bevölkerung wurde ermordet, heißt es im Film von Coppola, als Al Pacino als Michael Corleone durch diese Straßen geht. Die Gesetze der Vendetta (Blutrache) und der Omertà (Schweigegebots) galten sicher genauso auch hier in Forza d`Agrò, das Coppola so geeignet schien für die Bebilderung des Dorfes Corleone, das sich von der Lage her mehr im Zentrum der Insel befindet und nicht so nah am Wasser. Armut und Elend und die Mafia haben mehr Menschen von hier vertrieben als Erdbeben. Die Sizilianer von hier sind in alle Welt gegangen und sind offensichtlich nicht mehr zurückgekommen, sonst würde nicht das halbe Dorf leer stehen. Die Amerikaner*innen, die hierherkommen und die sich mittags die Cinepizzen schmecken lassen, haben vielleicht nicht nur cineastische Interessen, sondern auch italienische Wurzeln. Aber auch sie bleiben nur kurz hier und sind am Nachmittag schon wieder fort. Als wir gestern Abend essen gingen, war die Osteria Agostini, in der bis nachmittags nur amerikanische Reisegruppen sitzen, schon wieder nur voller Italiener*innen, die sich, anders als die Amerikaner*innen, die hier vor allem Pizza essen, riesige Portionen an Meeresfrüchten bestellten, ihre kleinen Kinder mitbrachten und genüßlich kauten und aßen.
Beim Lesen im Paten, der an mancher Stelle doch vom Film abweicht, obwohl Puzo am Drehbuch beteiligt war, fiel mir eine Stelle besonders auf, die mit der Beteiligung der Amerikaner an der Mafia in Sizilien zu tun hat und mit der ich diesen Blog beenden möchte:
„Darum auch hatte der von Mussolini eingesetzte Polizeichef, der Sizilien von der Mafia befreien sollte, als erstes befohlen, sämtliche Steinmauern auf der Insel bis zu einer Höhe von 1 Meter abzutragen. So sollte es den Mördern mit ihren Luparas unmöglich gemacht werden, sich dort in den Hinterhalt zu legen. Aber auch diese Maßnahme erwies sich als unwirksam und der POlizeiminister konnte seine Aufgabe erst lösen, nachdem er jeden Sizilianer, der in Verdacht stand, ein Mafiosi zu sein, verhaften und in eine Strafkolonie bringen ließ. Als dann Sizilien von den Alliierten befreit wurde, hielten die Beamten der amerikanischen Militärregierung jeden Gefangenen des faschistischen Regimes für einen Demokraten und viele Mafiosi wurden zu Dolmetschern oder Bürgermeistern der Militärregierung ernannt. Diese glückliche Wende ermöglichte es der Mafia, sich zu rekonstruieren und wieder so mächtig zu werden wie je zuvor.
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