vonSabine Schiffner 08.06.2024

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Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Der Ätna sah von unserer Wohnung in Forza d`Agrò aus wie ein mittelhoher Berg, um dessen Gipfel ständig ein paar kleine Wölkchen herumtanzen, als wollten sie ihn da oben nicht alleine lassen. Er ist kein explosiver Vulkan, bekomme ich erklärt, die Lava fließt, wenn sie denn mal fließt, aus diesem mit 3375 Metern höchsten Vulkan Europas, nur langsam heraus. Zuletzt gab es im Jahr 2021 eine größere Eruption. Heute werden wir uns ihm nähern, endlich den Berg mit unserem Mafianest, in dem wir, von Palermo über Messina kommend, uns vier Tage eingenistet haben wie Adler auf den Höhen, verlassen und die steilen Serpentinen wieder hinunterfahren, um uns in Richtung Syrakus aufzumachen.

Goethe hat es während seiner italienischen Reise genau andersherum gemacht. Er war auch nicht mit einem Fiat Panda unterwegs, sondern ritt auf Pferdesrücken von Palermo über Syrakus nach Messina, wo er sich dann wieder einschiffte, um nach Neapel zurückzukehren. Während wir gerade mit unserem Fiat Panda Kurve um Kurve nehmen, stelle ich mir vor, wie das so gewesen sein muss im Jahre 1788, auf sicherlich meist völlig unbefestigten Wegen, auf denen ihm und seinen Begleitern oft nichts anderes übrig blieb, als abzusteigen und die Pferde am Zügel zu führen. Die Gasthöfe waren auch eher als Pferderuhehöfe gedacht und zum Übernachten, Essen gab es meist nicht und wenn dann war es viel zu schlecht für Goethes verwöhnten Gaumen:

„In unserer Herberge befanden wir uns freilich sehr übel. Die Kost, wie sie der Maultierknecht bereiten konnte, war nicht die beste. Eine Henne, in Reis gekocht, wäre dennoch nicht zu verachten gewesen, hätte sie nicht ein unmäßiger Safran so gelb als ungenießbar gemacht. Das unbequemste Nachtlager hätte uns beinahe genötigt, Hackerts Juchtensack wieder hervorzuholen, deshalb sprachen wir morgens zeitig mit dem freundlichen Wirte. Er bedauerte, daß er uns nicht besser versorgen könne.“

Goethe und sein malender Begleiter Kniep mussten dauernd unterwegs Hühner kaufen und jemanden finden, auf dessen Herd sie dieselben zubereiten lassen konnten, denn selber kochen war damals unter Männern ihrer Schicht anscheinend noch nicht angesagt. Dass das sättigende Mahlzeiten gewesen sein müssen, kann ich mir vorstellen, weil ich am letzten Abend in Forza d`Agrò auf einem Spaziergang an einem Stall voller Hühner vorüber kam, die so riesig waren, wie ich noch nie welche gesehen habe. Aber nicht nur die Hühner sind riesig hier in Sizilien, auch die Steaks im Supermarkt sind von einer Größe, wie ich sie noch nie gesehen habe.

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Und wenn man hier richtig italienisch isst, d.h. ein Menü bestellt, bekommt man solche Riesenmengen an Essen, dass es erstaunlich ist, dass die Italiener*innen nicht alle völlig überfettet sind. In Forza d`Agrò haben wir an den letzten beiden Abenden, alleine unter lauter Italiener*innen, die sich auch daran labten, solche Essen genossen. Sie bestehen hier aus: 12 Vorspeisen (wovon eine jede ungefähr einen Kuchenteller füllt und nach und nach gebracht wird), erst kalte, dann warme: Oktopussalat, Garnelencocktail, Stockfischsalat, Muscheln mit Tomaten, Caponata mit Schwertfisch, mit Brotkrumen überbackene Miesmuscheln, geräucherter Lachs, gratinierte Venusmuscheln, frittierte Gambas, Tintenfischringe in Tomatensauce, geräucherte Scheiben von Stockfisch, Fischfrikadellen. Anschließend gab es den ersten Gang, diesmal „nur“ drei Teller: Spaghetti alla Vongole, Risotto mit Gambas und Gnocchi mit einer Fischfarce. Der zweite Gang war dann gegrillte Meeresfrüchtee, die auf einem sehr großen Teller gebracht wurden. Und zum Abschluss gab es noch Canoli, mit Creme gefüllt, ein Zitronensorbet, Kaffee und Likör. Hinzu kam, dass für dieses Gericht, das (nur mit erstem/zweiten Gang) 35 Euro kostete und mit zwei Gängen 45, alle alkoholischen/nichtalkoholischen Gtränke einbeschlossen waren. Das kann sich dann wohl nur lohnen, wenn die Räume so brechend voller italienischer Esser*innen sind wie wir es an den zwei Abenden erlebten, wo die Kellner*innen arge Mühe hatten, mit riesigen Stapeln voller voller und leerer Teller Richtung Küche zu gelangen.

Abendessen im Ristorante Souvenir

Dieses kulinarische Glück war Goethe nicht beschieden, der die Küche auf Sizilien als eher bescheiden beschreibt, was sie damals vielleicht auch noch war. Wir fahren von der Autobahn ab, als wir kurz vor dem Ätna sind. Ich will eigentlich nur von etwas näher auf ihn gucken, aber schon bald bemerke ich, dass der Weg sich wieder in steilen Serpentinenkurven nach oben hochschlängelt und dass es dann kein Zurück mehr gibt auf der engen Fahrstraße. Mein Freund, der diesen Weg schon einmal gefahren ist, bestätigt es mir. Da ich noch Nerven brauche für die weitere Fahrt, beschließen wir, anzuhalten und von Piedimonte di Etneo auf den Gipfel zu schauen und lesen noch einmal nach, wie es Goethe, der nicht solche Höhenangst hat wie ich und der sich auf der Reise ja mehr als Geologe denn als Poet gebärdete, ergangen ist, als er hier vorbeikam:

„Wir fuhren die Straßen hinaufwärts, wo die Lava, welche 1669 einen großen Teil dieser Stadt zerstörte, noch bis auf unsere Tage sichtbar blieb. Der starre Feuerstrom ward bearbeitet wie ein anderer Fels, selbst auf ihm waren Straßen vorgezeichnet und teilweise gebaut. Ich schlug ein unbezweifeltes Stück des Geschmolzenen herunter, bedenkend, daß vor meiner Abreise aus Deutschland schon der Streit über die Vulkanität der Basalte sich entzündet hatte. Und so tat ich’s an mehrern Stellen, um zu mancherlei Abänderungen zu gelangen.

Wären jedoch Einheimische nicht selbst Freunde ihrer Gegend, nicht selbst bemüht, entweder eines Vorteils oder der Wissenschaft willen, das, was in ihrem Revier merkwürdig ist, zusammenzustellen, so müßte der Reisende sich lang vergebens quälen. Schon in Neapel hatte mich der Lavenhändler sehr gefördert, hier in einem weit höheren Sinne der Ritter Gioeni. Ich fand in seiner reichen, sehr galant aufgestellten Sammlung die Laven des Ätna, die Basalte am Fuß desselben, verändertes Gestein, mehr oder weniger zu erkennen; alles wurde freundlichst vorgezeigt. Am meisten hatte ich Zeolithe zu bewundern aus den schroffen, im Meere stehenden Felsen unter Jaci.

Als wir den Ritter um die Mittel befragten, wie man sich benehmen müsse, um den Ätna zu besteigen, wollte er von einer Wagnis nach dem Gipfel, besonders in der gegenwärtigen Jahreszeit, gar nichts hören. »Überhaupt«, sagte er, nachdem er uns um Verzeihung gebeten, »die hier ankommenden Fremden sehen die Sache für allzu leicht an; wir andern Nachbarn des Berges sind schon zufrieden, wenn wir ein paarmal in unserm Leben die beste Gelegenheit abgepaßt und den Gipfel erreicht haben. Brydone, der zuerst durch seine Beschreibung die Lust nach diesem Feuergipfel entzündet, ist gar nicht hinaufgekommen; Graf Borch läßt den Leser in Ungewißheit, aber auch er ist nur bis auf eine gewisse Höhe gelangt, und so könnte ich von mehrern sagen. Für jetzt erstreckt sich der Schnee noch allzuweit herunter und breitet unüberwindliche Hindernisse entgegen. Wenn Sie meinem Rate folgen mögen, so reiten Sie morgen bei guter Zeit bis an den Fuß des Monte Rosso, besteigen Sie diese Höhe; Sie werden von da des herrlichsten Anblicks genießen und zugleich die alte Lava bemerken, welche dort, 1669 entsprungen, unglücklicherweise sich nach der Stadt hereinwälzte. Die Aussicht ist herrlich und deutlich; man tut besser, sich das übrige erzählen zu lassen.«

Catania, Sonnabend, den 5. Mai 1787.

Folgsam dem guten Rate, machten wir ans zeitig auf den Weg und erreichten, auf unsern Maultieren immer rückwärts schauend, die Region der durch die Zeit noch ungebändigten Laven. Zackige Klumpen und Tafeln starrten uns entgegen, durch welche nur ein zufälliger Pfad von den Tieren gefunden wurde. Auf der ersten bedeutenden Höhe hielten wir still. Kniep zeichnete mit großer Präzision, was hinaufwärts vor uns lag: die Lavenmassen im Vordergrunde, den Doppelgipfel des Monte Rosso links, gerade über uns die Wälder von Nicolosi, aus denen der beschneite, wenig rauchende Gipfel hervorstieg. Wir rückten dem roten Berge näher, ich stieg hinauf: er ist ganz aus rotem vulkanischem Grus, Asche und Steinen zusammengehäuft. Um die Mündung hätte sich bequem herumgehen lassen, hätte nicht ein gewaltsam stürmender Morgenwind jeden Schritt unsicher gemacht; wollte ich nur einigermaßen fortkommen, so mußte ich den Mantel ablegen, nun aber war der Hut jeden Augenblick in Gefahr, in den Krater getrieben zu werden und ich hintendrein. Deshalb setzte ich mich nieder, um mich zu fassen und die Gegend zu überschauen; aber auch diese Lage half mir nichts: der Sturm kam gerade von Osten her über das herrliche Land, das nah und fern bis ans Meer unter mir lag. Den ausgedehnten Strand von Messina bis Syrakus mit seinen Krümmungen und Buchten sah ich vor Augen, entweder ganz frei oder durch Felsen des Ufers nur wenig bedeckt. Als ich ganz betäubt wieder herunterkam, hatte Kniep im Schauer seine Zeit gut angewendet und mit zarten Linien auf dem Papier gesichert, was der wilde Sturm mich kaum sehen, viel weniger festhalten ließ.“

Wir machen Fotos und fahren weiter, bis nach Syakus, das man erreicht, ohne steile Gipfel erklimmen zu müssen. Hierhin hatte es schon den Apostel Paulus verschlagen „Und wir liefen in Syrakus ein und blieben drei Tage dort“ (Apg. 28:12). Goethe kam gar nicht bis hierher, wohl wegen schlechten Wetters und wir bleiben bei strahlendem Sonnenschein auch nur ein paar Stunden.

Die Lagune von Syrakus

Die Altstadt, Ortygia, liegt auf einer vorgelagerten Insel im Meer, das hier ganz türkisblau und still ist. Syrakus ist die alte ursprüngliche Hauptstadt Siziliens gewesen, lange bevor die Araber im 9. Jhd. Palermo dazu machten. In der Antike war Syrakus  einige Jahrhunderte lang sogar die wichtigste Stadt/Polis Italiens. Dichter wie Aischylos, Pindar und Simonides versammelten sich am Hof der Stadt, deren Tyrannen den Königstitel trugen. Auch Platon lehrte hier Philosophie und Archimedes entwickelte Kriegsmaschinen, die die Stadt verteidigen sollen. Ihr Alter spürt man immer noch auf Schritt und Tritt, wenn auch die Tempelanlagen von Apollo und alle andern römischen und griechischen Bauwerke auf der Insel Ortygia mit Kirchen überbaut wurden, die zumeist barocken Stiles sind. In der Festlandaltstadt von Syrakus befinden sich aber noch ein gut erhaltenes griechisches und ein römisches Amphitheater. Hier sind die Überbleibsel der Antike, die mich besonders faszinieren, besser zu sehen.

Apollontempel in Syrakus

Es wird langsam immer heißer und wir setzen uns in unser Auto und fahren weiter Richtung Marina di Ragusa, dem nächsten Ziel unserer Reise. Dort werden wir, wenn wir ankommen, etwas tun, wovon Goethe nie berichtet: Uns ins Meer stürzen!

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