vonDaniel Erk 27.06.2006

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Während Nazideutschland im historische Bewusstsein der Welt gerade in einem schwarz-rot-goldenen, ebenso sieges- wie bierestrunken wie fröhlichen und ungefährlich Farben- und Menschenmeer versinkt, erhebt es sich anderwo zu vollkommen neuen, ebenso dümmlichen wie befremdlichen Höhen.

Dass etwa in Fernost nicht nur das Hakenkreuz an sich, sondern auch der Führerhof von Busan seine Anhängerschaft findet, war bereits in verschiedenen, zumeist verwunderten Darlegungen nachzulesen. Dass aber Hakenkreuz und Hitler nun auch völlig losgelöst von Nazideutschland die asiatische Jugendkultur durchtreiben, das ist neu.

Wie man im fernöstlichen Animeblog The Battle Angel nachlesen kann, hat die Hitlerei nun auch in der Animekultur ihren kleinen, doch festen Platz gefunden – und zwar schlicht als Inbegriff des Bösen, auf Augenhöhe etwa mit dem „Teufel“, der hierzulande in früheren Zeiten durchaus ein konkretes Böses war, heutzutage jedoch lediglich noch in Wendungen und Bildern als Schlechtes schlechthin Verwendung findet. Konkret geht es um (auch dies: scheinbar banal, doch vor allem zentraler Bestandteil globaler Jugendkultur) die Charakterbildchen in Foren und Chats, unter denen sich vor allem in Japan nazi-esque Darstellungen steigender Beliebtheit erfreuen.

Das kann man bizarr und lächerlich finden, vielleicht auch gefährlich, wie man mag, für jede Sichtweise gibt es gute Gründe. Denn einerseits hat sich am grundsätzlichen Mechanismus seit dem Ego-Shooter-Urahn „Wolfenstein“ nichts geändert und eine explizit neue Qualität an verharmlosender Reduktion ist nicht zu erkennen. Vollkommen jenseits der politischen Inhalte und Dimension (und ja, die hat politische Symbolik und ja, auch, nein: gerade im Falle der Nazis) steht Nazismus für Gewalt und Macht und Kraft und Stärke.

Andererseits ist die Verfrachtung der Nazis ins Reich der Legende längst in Gange – mit offenem Ausgang. Eine (zugegebenermaßen bereits zwei Jahre alte) Studie aus Großbritannien belegt etwa, dass elf Prozent aller Briten Adolf Hitler für eine Erfindung halten. Gar 33 Prozent im Vereinigten Königreich halten Benito Mussolini für eine Figur, die jenseits der Imagination nicht existiert hat. Dagegen halten fünf Prozent der damals befragten 2.069 Erwachsenen „Conan der Barbar“ für eine historische Figur halten und ganze 60 Befragte die Schlacht von Helms Klamm aus „Der Herr der Ringe“ für ein historisches Faktum.

Für all dies gibt es Gründe und auch wenn der Geschichtsunterricht gerade in Deutschland in Sachen Drittes Reich mit Sicherheit eine andere, höhere Qualität aufweißt, sind diese Mechanismen auch hierzulande vorzufinden. Sowohl das Verständnis der Nazis als Verkörperung des absolut Bösen, des unerklärlichen, unnachvollziehbaren Horrors (auch seitens der Linken, etwa Antifa), als auch die Darstellung Nazideutschlands als Cliquenherrschaft von Wenigen, führen zu dem verschämt bewundernden Glaube, bei Hitler, Goebbels und den Ihrigen handele es sich um eine Art bösen Superhelden.

Aber auch die Insignien der Nazis, das Hakenkreuz, Hitler selbst, die architektonische Ästhetik und das Larger-than-life-große Scheitern des Dritten Reiches führen dazu, dass sich Nazideutschland immer näher an Avalon, Thule, Entenhausen, Mittelerde und Disneyland annähert, während es im Problembewusstsein, in der fröhlich fahnenschwenkenden Bundesrepublik, in den Geschichtsbüchern, in Pop- und Hochkultur zwar seinen festen Platz hat – doch zunehmend als betonsteinernes, vermehrt Unverständnis hervorrufendes Denkmal („Kranzabwurfstelle“), statt als ewig mahnender Dorn. In etwa wie in dieser Katz und Goldt- Karikatur, in der Jugendliche vor dem Fernseher auf der Couch hängen und fragen: Was sind das eigentlich für Menschen, was sind das eigentlich für Leiterwagen.

Nein, das ist nicht die große Verharmlosung, das ist kein aktiver, umfassender Revisionismus, der da schleichend voran geht. Vermutlich ist es nur der Weg, den alle irdische Geschichte geht. Bedenkenswert ist es aber doch. Bedenklich – vielleicht.

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