vonChristian Ihle 14.01.2009

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Von der Unmöglichkeit „Nein“ zu sagen und dabei jemand umzubringen.

Funny Games“ ist kein Film. „Funny Games“ ist ein Experiment, eine Versuchsanordnung. Sein Regisseur Michael Haneke trägt den Laborkittel, wir Zuschauer sind die weißen Mäuse, die sich seinem Versuch aussetzen müssen.

Funny Games US

Zwei adrette junge Männer klopfen bei einer Kleinfamilie, bitten um Eier. Einmal eingedrungen in das Innere des Hauses werden die beiden Mann, Frau, Kind und Hund foltern, ermorden. Warum wollen wir so etwas sehen? Weshalb gehen wir für einen derartigen Film ins Kino? Ist Gewalt an sich Unterhaltung? fragt Haneke.

Aus Hanekes Sicht können wir bei „Funny Games“, einer nichtkontextualisierten Gewaltorgie, die dem Zuschauer sowohl Katharsis als auch Begründungen verweigert und so die Gewalt an sich zum Thema werden lässt, nur verlieren. Entweder kapitulieren wir vor dem Inhalt des Films und verlassen den Kinosaal oder wir durchstehen „Funny Games“ und kapitulieren als Mensch, negieren das Grundsätzlichste unserer Werteordnung.

Die Grundfrage ist aber, ob es überhaupt möglich sein kann, mit dem Zeigen von Gewalt gegen Gewalt zu demonstrieren und wenn, ob der von Haneke mit „Funny Games“ bestrittene Weg gangbar ist.

Truffauts Spruch, dass es keine Antikriegsfilme gäbe, weil jedwede Darstellung – gewollt oder nicht – Krieg aufregend aussehen ließe, ist auch für „Funny Games“ gültig. Würde man Truffaut „Funny Games“ zeigen und Hanekes Intention erläutern, er würde den Kopf schütteln. Der Österreicher Haneke hat einen handwerklich großartigen, sehr geschickten Film geschaffen, der mit Sicherheit das Nachdenken und Einordnen von Gewalt im Film provoziert.
Haneke spielt mit seinem Publikum: mehr als einmal durchbricht er die „vierte Wand“ und lässt die beiden Darsteller direkt mit dem Publikum kommunizieren. Er lässt den Zuschauer nicht passiv konsumieren, er verdeutlicht immer wieder, dass wir zusehen, dass wir uns dadurch einverstanden erklären. Er verweigert Begründungen: keine schlechte Kindheit, keine Dekadenz darf als Entschuldigung für die Taten der Mörder gelten. Sie sind einfach da. Und er verweigert die Erlösung: niemand kommt hier lebend raus.

Funny Games

Als Haneke vor zehn Jahren die erste Version von „Funny Games“ gedreht hatte, war heftiges Kopfnicken in europäischen Arthouse-Kinos zu verzeichnen. Haneke hat Recht, wider die Gewalt! Haneke hatte gewonnen, aber war nur halb zufrieden, denn im Grunde war es ja doch nur preaching to the converted. Er wollte aber in das Herz des US-Kinos vorstoßen und seine Predigt in amerikanischen Multiplexen aufgeführt wissen. So verfilmt Haneke ein Jahrzehnt später „Funny Games“ exakt 1:1 noch einmal neu mit deutlich mehr Geld und viel größeren Namen in der Besetzungsriege (Naomi Watts und Tim Roth anstelle von Ulrich Mühe und Susanne Lothar) – und dieses Mal wird sein letztendliches Scheitern noch deutlicher. Doch zunächst zwei Gegenbeispiele.

“Funny Games“, „Salò“ und „Irréversible“

So Truffauts Ausspruch auch für „Funny Games“ zutreffen mag, gibt es doch zwei Filme, die tatsächlich Gewalt im Kino unerträglich werden ließen, dem Zuschauer kaum Eskapismus anboten und ihn so zwangsläufig dazu brachten, sich dem Gesehenen zu stellen anstatt es nur als Unterhaltungselement zu akzeptieren. In einem Interview nannte Haneke Pasolinis Meisterwerk „Salò oder die 120 Tage von Sodom“ (1975) als größte Inspiration, als bestes filmisches Statement gegen Gewalt, als unerträglichsten Film, den er je gesehen habe.

Salo

Und wie „Sodom“ soll auch „Funny Games“ dem Zuschauer den Unterhaltungswert verweigern. Du kämpfst dich durch „Sodom“ hindurch, du kannst niemals genießen, was du siehst. All die Gräuel sind in einer Kühle dargestellt, dass keinerlei Empathie möglich wird. Pasolinis „Salò“ ist ein politisches Statement, eine Anklage gegen Faschismus und die ihn unterstützenden Kreise, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt und damit den Zuschauer zwingt, Stellung zu beziehen. Ein Treppenwitz, dass „Salò“ einst in Deutschland verboten war und auch heute – immer noch auf dem Index stehend – schwer erhältlich ist, nur weil Pasolini Bilder findet, die das Schlimmstmögliche im Menschen zeigen. Als würde man mit dem Verbot eines Films das Problem des zügellosen Menschen im sanktionslosen Raum gleich mit entsorgen können!

irreversible

Einen anderen Weg gegen Gewalt zu demonstrieren bestreitet Gaspar Noés „Irréversible“ (2002): ein gewisser Unterhaltungswert ist „Irréversible“ nicht abzusprechen, aber Noé spielt mit dem Publikum auf eine viel raffiniertere Weise als Haneke, gerade weil er Motive für die Taten zulässt. Der Geniestreich Noés, den Film komplett von hinten zu erzählen, hat zur Folge, dass die erste (also letzte) Gewalteruption ohne jede Begründung ertragen werden muss – wir wissen noch nicht, warum diesem Mann der Kopf mit einem Feuerlöscher zu Brei geschlagen wird, sind aber von so viel Ekel und Widerwillen gefesselt, dass wir nicht anders können als zuzusehen. Im rückwärts schreitenden Film wird klar, dass es sich um eine Rachetat handelte, die Sühne einer Vergewaltigung. Die Gewalteruption wird also nachträglich begründet und der Zuschauer kann damit besser leben. Doch dann dreht Noé den Film ein weiteres Mal und zeigt die Vergewaltigungsszene in seiner ganzen Länge von neun Minuten, unerträglich, nicht enden wollend. Und noch etwas geschieht: wir Zuschauer sehen dass der Selbstjustizakt, den wir zuvor beobachtet und auf gewisse Weise abgenickt hatten, den Falschen erwischt hatte. Noé verweigert uns erst den Kontext, liefert dann eine Begründung, nur um uns erneut den Teppich unter den Füßen wegzuziehen, so dass wir nun mit uns selbst ins Gericht müssen, dass wir eine der brutalsten Szenen der Filmgeschichte und einen Akt der Selbstjustiz rechtfertigten. Wir müssen vor Noé kapitulieren.

„Funny Games“ funktioniert in Hanekes Sinn dagegen nur bei Zuschauern, die bereit sind, die Gewalt zu hinterfragen. Dank des Internets kann man dem Volk per imdb-user-comments aufs Maul schauen und seine Vermutung bestätigen lassen: wer „Funny Games“ anschaut weil der Film einen gewissen Ruf des schwer Erträglichen hat, also „Funny Games“ eben wegen der Gewalt ansieht, ist nicht bereit, Gewalt im Film zu verdiskutieren, sondern neigt im Gegenteil dazu – ausgerechnet! – „Funny Games“ über seinen Gore-Gehalt zu besprechen (der im Übrigen gering ist, Haneke zeigt wenig Gewalt tatsächlich). Die Reflexion, die Haneke erreichen will, findet bei diesem Kreis gar nicht statt. Der Film wird hier bestenfalls als langweilig (statt: quälend) abgetan – Haneke gelingt es zwar noch größtenteils den Gorehounds die Gratifikation zu verweigern, aber daraus erwächst kein Hinterfragen (Bsp: „The shock is never there as the production company clearly haven’t had the money to show us the actual physical torture“). Im schlimmsten Fall wird die Motivlosigkeit und das eiskalte Gebahren dann noch als cool abgefeiert (Bsp: „When this film was over I didn’t contemplate my complicity in media violence, I applauded the writer, director and actors in giving me a great ninety minutes of terror“).

Das Medium mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen ist nur ein Traum: in Interviews geriert sich Haneke aber mit der Hybris des großen Strippenziehers, der sein Publikum manipulieren kann, wie er nur möchte. Er übersieht dabei aber, dass er nur ein Publikum zum Nachdenken bringt, das sowieso meist schon zum Hinterfragen bereit ist. Das Publikum hingegen, das er treffen müsste, um nach seinen eigenen Zielen Erfolg zu haben, verfehlt er: es mag faszinierend sein, Haneke bei seinem Experiment zuzusehen aber letztlich bekommt er die weißen Mäuse in den Multiplexen eben doch nicht zu fassen.

Christian Ihle

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