vonChristian Ihle 12.06.2010

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Nachdem ich deutsche WM-Songs ausgiebig geschmäht und die britischen als rühmliche Ausnahmen gepriesen hatte, sollte ich doch noch einmal an deren größte Höhepunkte erinnern.

Zunächst ein zweiter, frischer Neuzugang – überraschende Besetzung, brillanter Song! Mark E. Smith geht wieder seiner zweiten Lieblingstätigkeit (nach „Bandmitglieder rauswerfen“) nach und featured bei einem Song, diesmal der Band Shuttleworth:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=fhLG-vZhF6o&feature=player_embedded[/youtube]
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Übersetzt man das auf Deutschland, wird einem schnell klar, wie bizarr diese Besetzung ist. Könnte man sich vorstellen, Schorsch Kamerun oder Peter Hein, Jochen Distelmeyer oder den Grafen einen deutschen WM-Song – mit ordentlich Fahneschwenken im Video! – singen zu hören?

Mark E. Smith Beitrag ist allerdings inoffizieller Art, da in diesem Jahr der englische Fußballverband die schöne alte Tradition des offiziellen WM-Songs gekippt hat.
Dabei wurde der sicherlich immer noch beste Fußball-Song aller Zeiten 1990 als offizieller WM-Song zu Englands Teilnahme bei der Weltmeisterschaft in Italien von New Order geschrieben. Die erste Hälfte des Songs ist klassisches End-80er-New-Order, in der zweiten Hälfte gesellen sich dann erstaunlich gut passende terrace chants der englischen Nationalmannschaft dazu – Höhepunkt ist aber ohne Zweifel der Rap von John Barnes, dem Mittelfeld-Genie des FC Liverpool mit jamaikanischen Wurzeln (ab 2.30):


New Order World in Motion – MyVideo

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(Der Typ, der im England-Trikot hinter John Barnes steht, ist übrigens der Mitautor des Songs, Keith Allen – Papa von Lily Allen. Aber zu dem Herrn später mehr…)

Sechs Jahre später zur Europameisterschaft 1996 sollte Ian Broudie aka The Lightning Seeds mit „Three Lions“ den zweiten unzerstörbaren Fußballsong schreiben. Wohl kein anderes Fußballlied, das sich so klar auf eine bestimmte Nation bezieht, konnte derart Grenzen überwinden. Auch wenn dank der nun bereits dritten Auflage (das grässliche „3 Lions 2010“ mit Robbie Williams und Russel Brand) und etlichen minderwertigen Coverversionen der Song überspielt wirkt, lohnt es dennoch, sich an den Originaltext zu erinnern, der so wunderbar das Sehnen und die Wehmut ausdrückt, das Fans von Vereinen, die zum ewigen Scheitern verurteilt sind, so gut nachvollziehen können. Viel zum Charme des Songs trug auch das gute Video bei:


Three Lions – Footballs Coming Home – MyVideo

Nachdem zunächst die Fehlschüsse der englischen Mannschaft gezeigt werden, besingen Broudie, Baddiel & Skinner Bobby Moore („but I still see that tackle by Moore„), Gary Lineker („and when Lineker scored„), Bobby Charlton („Bobby belting the ball„) und Nobby Stiles („and Nobby dancing„), wobei die Bobby Charlton – Stelle erst nachträglich auf Verlangen des englischen Fußballverbandes eingesetzt wurde, nachdem zunächst „Butcher ready for war“ im Text stand – Bezug nehmen auf die blutüberströmte Performance von Terry Butcher in einem WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden:

Terry Butcher

Als zwei Jahre später die Wahl auf „(How Does it Feel to Be) On Top of the World“ als offiziellen WM-Song fiel, der von der bizarren Kombination „Echo & the Bunnymen, Space + Spice Girls“ eingesungen wurde, entschied sich die britische Plattenkauföffentlichkeit für zwei andere Lieder:

„Three Lions 98“ – eine Neuaufnahme mit neuem (nicht ganz so gutem) Text und wieder brillantem Video, die erneut auf Platz 1 in den britischen Singlecharts landete:


Three Lions ( Its coming Home ) – MyVideo

Besonders amüsant am zweiten „3 Lions“ – Video ist das Parkplatz-Match zwischen englischen und deutschen Fans. Letztere tragen Rudi-Völler-Gedenkfrisuren auf und haben, das schönste Detail, den Namen des deutschen Stürmers Stefan Kuntz auf dem Trikot stehen. Der Wortwitz erschließt sich einem hier nur, wenn man im britischen Slang zumindest soweit bewandert ist, dass man weiß, welche Beleidigungssalve hier gegen Deutschland abgefeuert wird, wenn allen Deutschen „KUNTZ“ auf den Rücken geschrieben steht…

Doch nicht nur „3 Lions 98“ war in diesem Jahr deutlich erfolgreicher als das offizielle WM-Lied Englands, nein, auch „Vindaloo“ von Fat Les nahm die Massen im Sturm. Fat Les darf dabei als die wohl ungewöhnlichste Supergroup aller Zeiten gelten. Die Grundbesetzung bestand aus Alex James (Blur), Keith Allen (Papa von Lily) und – kein Scherz – Damien Hirst („The physical impossibility of death in the mind of someone living„). Das Video bezog sich auf den The-Verve-Hit „Bittersweet Symphony“ (was wiederum selbst ein Zitat von „Unfinished Sympathy“ von Massive Attack war):

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=0T1pXsJp_go[/youtube]
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„Vindaloo“ ist im Übrigen eine Bezeichnung für ein besonders scharfes Curry.

Der sensationelle Erfolg des Fat Les Songs führte dazu, dass im Jahr 2000 der englische Fußballverband Hirst/James/Allen mit einem EM-Song beauftragte. Mit der ihnen üblichen Unberechenbarkeit schufen die Drei nun aber das genaue Gegenteil ihres Hooligan-Songs „Vindaloo“: eine klassisch orchestrierte Vertonung des William Blake Gedichtes „And did those feet in ancient time„, „Jersualem“:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=kWZ2qT4N63I[/youtube]
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(wozu es – auch etwas kurios – dann noch einen Remix der Pet Shop Boys gab!)

Schade, dass nun die britische Fußball-WM-Song-Tradition enden musste – sie hat einen weiten Weg hinter sich, seit der Godfather of Skiffle, Lonnie Donnegan, im Jahr 1966 „World Cup Willie“ besang und so den Reigen eröffnete:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Vn1ocjcD-ZE[/youtube]
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(Christian Ihle)

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https://blogs.taz.de/fussball-wm-songs_we_are_singing_for_england_we_are_singing_this_song/

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