Als ich am vergangenen Pfingstsonntag gegen 19.30 Uhr auf dem Weg zum Kaffee Burger zu meinem allsonntäglichen Auftritt bei der Reformbühne Heim & Welt bin, sehe ich von Weitem auf der Torstraße vor der Kneipe „Baiz“ einen Haufen Bier trinkender, lauter Männer stehen. Nun ist die „Baiz“ an sich ein angenehmer und gastfreundlicher Laden und gilt zudem als linksorientierte Hochburg in einem zunehmend gentrifizierten Umfeld, aber meine grundsätzliche Aversion gegen Gruppen Bier trinkender, lauter Männer ist völlig unideologisch und pragmatisch: Ich wechsle die Straßenseite. Irgendwelche Fußballfans von irgendeinem Berliner Verein, Tennis Borussia, werde ich informiert. Aha. Mir sind Fußballfans samt ihrer Quatschvereine seit je so suspekt wie egal, also was soll’s. Die wiederum wundern sich womöglich, dass ich mich mit Klapperschlangen und Leguanen abgebe, als ob daran etwas seltsam wäre. Soll aber doch letztlich jeder seiner Leidenschaft nachgehen. Hauptsache: Leidenschaft.
In der Pause der Veranstaltung stehen wir vor dem Kaffee Burger und werden Zeuge eines respektablen – nun ja: Feuerwerk klingt so nett nach Silvesterraketen, hier sieht es eher ein bisschen aus wie ein Brandanschlag vor der Baiz. Es kracht jedenfalls ordentlich, ein durchaus eindrucksvoller Feuerschein steht autohoch in der Straße, es raucht gewaltig. Ich fühle mich bestätigt in meiner Aversion gegen Bier trinkende, laute Fußballmänner und ziehe es vor, wieder ins Kaffee Burger zu gehen, zumal die zweite Hälfte beginnen soll. Die Kollegen und Zuschauer kommen mit, einzig Freund und Mitvorleser Falko Hennig, ein manischer Sammler des örtlichen Zeitgeschehens und chronischer Chroniker wie Archivar, bleibt noch draußen und fotografiert das Spektakel auf der anderen Straßenseite, so wie er immer alles Ungewöhnliche und zudem auch erstaunlich viel Gewöhnliches fotografiert und filmt. Das gefällt auf der Baiz-Seite nicht jedem. Animalische Laute fliegen rüber, Bierflaschen ebenfalls. Was dann passiert, zeigt der aufgenommene Film: Plötzlich tauchen zwei Gestalten auf, einer zieht sich noch die Kapuze vors Gesicht, dann schlagen und treten sie zu, kurz bevor Falko sich hätte ins Burger retten können.
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Wir haben derweil bereits mit der zweiten Hälfte begonnen, als plötzlich Karl, einer der Betreiber des Kaffee Burger, in den Saal stürzt und ruft: „Kommt mal alle mit nach draußen und helft, Falko wird verprügelt.“ Die erheblich sportlicheren und schnelleren Kollegen, voran Ahne, sind im Nullkommanichts draußen. Als ich auf dem Gehsteig eintreffe, herrscht ein großer Tumult dort. Offenbar ist es den anderen gelungen, die Schlägerei aufzulösen, aber nicht vollständig. Etwas unbemerkt und abseits von der ratlosen Menschenmenge vor dem Burger-Eingang geht es direkt weiter: Die zwei Typen, die offenbar erst der Masse der aus dem Burger drängenden Helfer gewichen sind, drehen sich um und stürzen erneut auf Falko. Unser Musikgast Konrad Endler von den Surfpoeten wirft sich dazwischen, Falko will sich wehren und trotz sichtlicher Blessuren die Angreifer angehen, ich packe ihn von hinten am Kragen seines T-Shirts und will ihn wegziehen. „Lass die Arschlöcher“, versuche ich ihn zu besänftigen, „die sind es nicht wert.“
In genau diesem Moment, Falko ist eingekeilt zwischen Konrad und mir, schlägt der eine der beiden, ein kahlrasierter, etwa 20- bis 30-jähriger, sportlich-drahtiger Typ, mit voller Wucht mit der Faust zu, geradewegs auf Falkos Kopf. Einzig der ungünstige Einschlagwinkel dank Konrads Positionierung verhindert einen Frontal-Treffer, trotzdem klingt es nicht schön, als seine Faust mit ganzer Kraft auf Falkos Gesicht trifft.
Plötzlich brüllt jemand: „Halt, Polizei, stehen bleiben!“ Verwirrt drehe ich mich um, ein hünenhafter Polizist kommt angerannt und ist schon bei uns, die beiden Schläger flüchten rasch über die Torstraße Richtung Baiz, der Polizist aber hat nur Augen für Falko und Konrad, ebenso martialisch wie lautstark herrscht er sie an, sie sollen sich auf den Boden legen. Beide sind so irritiert, dass sie einen Moment nicht reagieren, da stürzt der Polizist, aufgeplustert wie ein Nandu beim Angriff, auf sie zu, beide ducken sich auf den Boden weg.
Ich scheine nicht als bedrohlich wahrgenommen zu werden. Das ist mein Schicksal. Vielleicht nicht das schlechteste. Wie dem auch sei, ich darf stehen bleiben. Nachdem ich die doppelte Schrecksekunde – das ganze Geschehen vom Faustschlag bis zum polizeilichen Zur-Streck-bringen der Kollegen hat keine halbe Minute gedauert – verwunden habe, schreie ich den Polizisten an, dass er da die Opfer gestellt habe, die Täter liefen hingegen unbehelligt da hinten über die Straße. Sie waren zu dem Zeitpunkt gerade erst am Mittelstreifen, kurz vor der Baiz, vor der immer noch ein ganzer Pulk an Leuten steht. Der Polizist beachtet mich gar nicht, sondern brüllt weiter auf Falko und Konrad ein, die auf dem Boden nur hocken, sie sollen sich aber flach auf den Bauch legen.
Ich weiß nicht mehr genau, was ich dann sagte, ich war außer mir vor Empörung und schrie auf den Polizisten ein. Nun kam auch eine Kollegin von ihm hinzu, die sich noch etwas an der schusssicheren Weste herumfriemelte, erstmals lässt der Polizist mit seinem Blick ab von Falko und Konrad und schaut zu mir. Erst denke ich, er will auf mich losgehen, dann scheint meine Gesamterscheinung ihm zu signalisieren, dass ich keine akute Gefahr darstelle, und er gibt die Drohhaltung auf. Nun stellt Falko den Sachverhalt noch einmal dar und kann immerhin auf blutende Wunden verweisen, der Polizist wirkt unsicher, aber er will noch nicht klein beigeben, noch einmal blafft er uns an: „So? Und wo sind dann die Täter?“ Die aufgebrachten Hinweise von uns, dass die in der Zwischenzeit, in der er hier die Opfer zur Strecke gebracht habe, natürlich längst über alle Berge sind, scheinen ihm doch zu denken zu geben, er signalisiert Falko und Konrad, dass sie wieder aufstehen können, und ringt sich ein wenig später zu fast so etwas wie einer Entschuldigung durch: „Von da hinten konnte man nichts genau sehen.“ Nun werden die Personalien aufgenommen. Von Falko. Nicht etwa von einem von uns, die wir alles gesehen haben. Ich weise die Polizisten auf meine Zeugenschaft hin. Sie ignorieren mich. Konrad und ich gehen schließlich wieder ins Burger, Falko geht mit den Polizisten noch in die Baiz. Wenig überraschend ist dort keiner der Angreifer mehr auszumachen.
Inzwischen sind diverse Mails hin und hergegangen, Gespräche geführt und Forumseinträge geschrieben worden. In der Baiz feierten an diesem Abend Fans von TeBe, so nennen die sich, ihre Niederlage. Die gelten eigentlich als politisch OK und eher freundlich „humanistisch“, wie ich erfahre. Sie wollen mit dem Angriff „definitv“ nichts zu tun haben, bedauern ihn gar „außerordentlich“, es ist die Rede davon, irgendwelche aus irgendwelchen Gründen mitgereiste Fans „aus der Vorstadt unseres Nachbarbundeslandes“, die aber „nicht namentlich bekannt und auf Grund ihres stereotypen Erscheinungsbildes nicht identifizierbar“ seien, wären die Täter gewesen, so jedenfalls in einer Mail der Fanbeauftragte von Tennis Borussia Berlin.
Die Sache ist für Falko physisch glimpflich ausgegangen. Angesichts meiner eigenen Verstörung möchte ich davon ausgehen, dass er mental mehr Kratzer eingesteckt hat als die paar Schürfwunden, Striemen, Prellungen, die man sieht. Ein nachsorgender Arzttermin, das war’s. Blanker Zufall. Allein der Schlag, den ich auf Zentimeterdistanz erlebt habe, hätte zweifellos auch anders wirken können.
Der Vorfall taucht im Polizeibericht nicht einmal auf. Zu bedeutungslos, wahrscheinlich.