vonsaveourseeds 09.07.2009

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Der „Gute Laune Gipfel“ der G8 (Bild von heute), den Silvio Berlusconi gegenwärtig auf den Trümmern von L’Aquila inszeniert, ist stolz darauf, sich auf Emissionsziele bis 2050 geeinigt zu haben, die die Beteiligten in ihren Amtszeiten zwar zu wenig verpflichten, aber immehin eine gemeinsame Perspektive beinhalten.In Bezug auf den Hunger in der Welt, der in diesem Jahr den historischen Höchststand von über 1 Milliarde Menschen erreichte, haben sie allerdings nur heisse Luft produziert. Heute sitzen sie den G5 Regierungschefs (China, Indien, Brasilien, Mexiko, Südafrika) gegenüber. Die regieren nicht nur mehr als die Hälfte der Menschheit, sondern auch fast die Hälfte aller Hungernden dieser Welt, obwohl sie durchaus in der Lage wären, ihre Bevölkerung zu ernähren.

Ciro FuscoNachhaltiges Wirtschaftswachstum“, Produktionssteigerung und liberalisierter Welthandel gelten den G8 Führern in ihrer Erklärung nach wie vor als die probatesten Mittel zur Bekämpfung von Hunger und Armut. Die Geschichte straft sie Lügen: Das Wirtschaftswachstum, die Expansion des Welthandels und die massive Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion der vergangenen zehn Jahre ging einher mit einem kontinuierlichen und seit 2005 exponentiellen Wachstum des Hungers. Die Rekordernte des letzten Jahres (+5,3%) führte zu gerade einmal 0,1% mehr an verfügbaren Lebensmitteln. Denn weniger als die Hälfte der  weltweiten Getreideernte wird mittlerweile noch als Lebensmittel verarbeitet. Das Gros der Steigerungen floss in Futtermittel und Agrar-Sprit. Die energieintensiven Monokulturen dieser Welt ernähren nicht Menschen, sondern Vieh und Tanks und vertreiben zudem Millionen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von ihrer kleinen Scholle. Hunger ist in erster Linie ein ländliches Problem. Nicht nur Misereor forderte deshalb von der G8  deshalb eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft als einzig geraden Schritt zur Überwindung der Misere.

Mehr als 70 Prozent aller Hungernden leben „an der Quelle“ auf dem Lande. In Lateinamerika beispielsweise, das dreimal soviel Kalorien produziert wie seine Bevölkerung verbraucht, leben neben gentechnischen Soja-Monokulturen, die bis an den Horizont reichen, Landlose und verarmte Kleinbauern, die am Rande des Roundup-Regens aus den Flugzeugen der Grossbauern nicht in der Lage sind, genug für sich und ihre Familien zu ernten. In Indien begehen Tausende von Bauern Selbstmord, weil sie die Kredite für Baumwoll- und anderes Saatgut und die dazugehörigen Pestizide mit den sinkenden cash-crop Erträgen nicht bezahlen können. In China, wo Mao’s „eiserne Reisschale“ längst abgeschafft ist, kehren derzeit Millionen von Wanderarbeitern, die in der kriselnden Export-Industrie nicht mehr gebraucht werden, in Dörfer zurück, die ihren Bewohnern nicht mehr das Existenzminimum an Lebensmittelerträgen garantieren können. Beide Länder exportieren enorme Mengen an Agrarprodukten während ihre eigene Bevölkerung hungert. Kaum anzunehmen, dass derart eklatante Verletzungen des Menschenrechts auf Nahrung in L’Aqulia zur Sprache kommen. Dass der Hunger in der Welt, vHungerkarte der Weltielleicht mit wenigen Ausnahmen im südlichen Afrika, in erster Linie deshalb existiert, weil die Regierenden der betroffenen Länder dies sichtlich für akzeptabel halten und ihre Prioritäten anderweitig setzen, ist nach wie vor ein internationales Tabu-Thema. Stattdessen wird das Problem in stiller Komplizenschaft mit führenden Hilfsorganisationen und dem Ton ihrer Spendenwerbung vorzugsweise als Wohltätigkeitsveranstaltung präsentiert.

Dazu ein Gedankenspiel: Würden Agrar-Exporte aus Ländern, in denen Hunger herrscht weltweit geächtet und nicht mehr akzeptiert, würden vermutlich zwei Drittel aller Hungernden weltweit innerhalb kürzester Zeit zumindest notdürftig versorgt, um die Einnahmen der Regierungen und Profite der Agrarindustrie nicht zu gefährden.

Hungerverteilung weltweit

Es gehört, auch bei der G8 Erklärung, zwar mittlerweile zum guten Ton, darauf hinzuweisen, dass die Bekämpfung des Hungers vor allem eine Unterstützung der Kleinbäuerinnen dieser Welt und ihrer Männer erfordert. 2,6 Milliarden Menschen leben auf dem Lande und von der Landwirtschaft und ihre Zahl nimmt auch in Zeiten zunehmender Verstädterung weiter zu. Doch wie das v.a. in Zusammenarbeit mit den vielfach korrupten städtischen Regierungen der betroffenen Länder, die in erster Linie an Deviseneinnahmen aus Exportgütern interessiert sind, zu bewerkstelligen ist, darüber schweigen sich die Erklärungen aus und auch die Hunger-Bürokratien in New York, Washington und Rom mit ihrer wachsenden Zahl an „Task-Forces“ und Institutionen und ihren grotesken internen Machtkämpfen um die Verwaltung der wenigen Millarden zur Hungerbekämpfung.

Gerade da wo sie durch eine Änderung ihrer eigenen Agrar- und Handelspolitik unmittelbar zur Linderung der Nöte der rund 500 Millionen Kleinbauernhöfe, die weltweit weniger als 2 Hektar bewirtschaften und 85% aller Bauern ausmachen, beitragen könnten, versagen die G8 eklatant: Die EU führte vor wenigen Monaten neue Exportsubventionen – anerkanntermassen die übelste Form der Benachteiligung und Behinderung ländlicher Entwicklung im Süden – ein, beispielsweise für Milchprodukte. Die USA folgten auf dem Fusse.

Auch das „World Food Programme„, das sich auf die aufwendige und nicht immer effektive Verteilung von Soforthilfen in Krisengebieten spezialisiert hat, erreicht nur einen kleinen Teil der Hungernden. Doch selbst da wo seine Notmassnahmen ankommen, kann es angesichts zu geringer finanzieller Beiträge v.a. der G8 Staaten nicht das leisten was möglich wäre. Die Versprechen der Regierungschefs, ihre Soforthilfen auszustocken, werden von Entwicklungsorganisationen als „Recycling“ bereits zuvor gemachter und nicht einmal eingehaltener Finanzversprechen kritisiert. Die Organisation One rechnet auch Deutschland vor, dass es nur ein Drittel seiner von 2005 bis 2010 versprochenen Beiträge tatsächlich bezahlt hat. Gastgeber Berlusconi, wen wunderts, habe gar nur 3% der von Italien versprochenen Hilfen eingelöst.

Die Explosion der Lebensmittelpreise des vergangenen Jahres, die zwar auf dem Weltmarkt, nicht unbedingt jedoch in den ärmsten Ländern in den letzten Monaten wieder etwas zurückging, hat allerdings auch Millionen von Armen in den Städten, die dort gerade zu Einkommen knapp über der Hungerschwelle gekommen waren, an den Rand ihrer Existenz gebracht. Der neueste Bericht der FAO zeigt, dass die höchste Steigerungsrate der vom Hunger Betroffenen im letzten Jahr in den Städten, auch der Industrieländer zu verzeichnen ist.

Das Versagen in L’Aqulia wurde bereits im April absehbar, als die Landwirtschaftsminister der G8 zum Thema Hunger nichts Wesentliches zustande brachten. Sie schwiegen nicht nur zur real existierenden Überproduktion an Agrargütern, die schon heute bei effizientem Einsatz und Vermeidung grotesker Verschwendung (30 – 50 Prozent der Lebensmittel, die in den G8 Staaten hergestellt werden, landen beispielsweise auf dem Müll, fast ein Drittel der Ernte in Indien verrottet andererseits bevor sie verarbeitet werden kann) ausreichen würde um selbst 9 Milliarden Menschen zu ernähren. Sie forderten vielmehr eine weitere Steigerung der globalen Produktion nach dem gleichen industriellen Wachstumsmodell, das uns das heutige Desaster beschert hat und von dem wir wissen, dass es die natürlichen Ressourcen dieses Planeten grob übernutzt und zerstört.

Hier schließt sich auch der Kreis zu den Klimaversprechen: Eine Reduzierung der Emissionen um weltweit 50 und sogar 80 Prozent in den G8 Ländern, ist ohne eine radikale Wende in der Landwirtschaft überhaupt nicht denkbar: Fast 40% aller menschlichen Klimagas-Emissionen (einschließlich Methan und Lachgas) stammen aus der Landwirtschaft, der von ihr betriebenen Waldvernichtung und der nachgelagerten Verarbeitung, Verpackung, Verteilung und Entsorgung unserer Lebensmittel.

Die Zeltstadtbewohner von L’Aqulia („yes we camp“) fanden die Trümmer-Operette ihres Capo sichtlich weniger witzig als er selbst. Der Hintergrund ist für die Hungerfrage dennoch gut gewählt: Keep smiling im Untergangs-Szenario. Für das kommende Jahr wird ein weiterer Anstieg der Hungernden um mindestens 50 Millionen Menschen prognostiziert.

P.S.

Wie Hunger, Umweltzerstörung und die Verödung ländlicher Regionen und Gemeinschaften tatsächlich zu bekämpfen wären, beschreibt am besten der Weltagrarbericht, den die Weltbank und die Vereinten Nationen Anfang diesen Jahres publizierten. Unter den 58 Regierungen, die ihn unterzeichneten sind leider nur zwei G8-Mitglieder (Frankreich und Grossbritannien), aber immerhin 3 G5-Staaten (China, Indien, Brasilien). Der Vorschlag von Heidemarie Wiczoreck-Zeul, dass Deutschland ihn wenigstens im Nachhinein unterzeichnen und anerkennen sollte, wurde von der Agrarlobby des Landwirtschaftsministeriums unlängst vereitelt.

UPDATE: Hier das gemeinsame „L’Aquila Statement on Global Food Security“ vom 10. Juli, zu dem wir leider schon gestern alles gesagt haben.

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https://blogs.taz.de/g8-truemmergipfel_die_welt_kann_weiter_hungern/

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