Cap Finisterre, Fisterra – das ist der äußerste nordwestliche Zipfel Spaniens, wo das Land aufhört und das Meer beginnt. An der Costa de Morte, der wilden, von Teer geplagten „Todesküste“ Galiciens, an der Hunderte von Schiffen zerschellten, herrscht der Mythos, dass die Sonne, wenn sie im Meer versinkt, bis zum nächsten Tag im Reich der Toten verweilt. Doch Galicien bedeutet nicht nur Mythen und zahlreiche Kilometer Küste. Es bedeutet auch hübsche Badebuchten, moderne Großstädte, ländlichen Tourismus, Sporthäfen und Golfhotels. Und es bedeutet Santiago de Compostela, Ziel zahlreicher Wallfahrer auf dem Jakobsweg, das über die Jahrhunderte sein vielfältiges Gesicht bewahrt hat.
Galicien ist ein Land der Gegensätze. Neben den höchsten Steilküsten des Kontinents befinden sich hier einzigartige Flussmündungen, die fruchtbaren Rías, in denen der Atlantik zur Ruhe kommt. An ihren Ufern entsteht neues Leben; hier gewinnt man dem Meer seine besten Früchte ab. Doch Galicien lebt nicht von der Küste allein, es lebt auch vom Land. Kartoffel- und Rübenacker werden ebenso kultiviert wie Austern- und Muschelzuchten –, um die man heute nicht nur wegen immer wiederkehrender Öltanker-Havarien bangt. Man beackert den Boden und das Meer, sät Kartoffeln und Almejas (Venusmuscheln), Steckrüben und Navajas (Schwertmuscheln), man hütet Hühner im Freiland und Miesmuscheln auf ihren Bänken. Ochsen (bueys) sind sowohl auf der Weide wie als Taschenkrebs im Meer (bueys del mar). Man reißt den Gliederfüßler Percebe vom Felsen und hält ihn trotz einer Ölpest für nicht verseucht. Und man schwärmt wie eh und je vom Seehecht, obwohl es fast keinen mehr gibt.
In Galicien, das von verheerenden Hungersnöten heimgesucht wurde, isst man ohne Eile. Dort versteht man etwas von Suppen – und von Weißwein. Galicische Suppen können dünn wie Spülwasser sein oder gehaltvoll wie für Wöchnerinnen gemacht, mit zarten Rübenblättern und Kohl. Zum Beispiel die Königin der Eintöpfe, der populäre Pote oder Caldo gallego – Traum aller Galicier in der Diaspora – mit Steckrüben, einem herben Gemüse, das ein bisschen von der Traurigkeit und Schwermut des Landes in sich birgt. Seine Ursubstanz ist das Fett – von einem Schwein, das oft genug durch Abwesenheit glänzt, auch wenn man noch so oft unter die Kartoffeln schaut. Das Galicien von heute hat das Gestern nicht vergessen. Ein durch Emigration ausgedünntes Land mit vier Provinzen – A (oder span. La) Coruña, Lugo, Ourense (oder Orense) und Pontevedra –, das versucht, alle Erwartungen zu erfüllen.
Seine Bewohner, die Gallegos, sind große Traditionalisten. Ein Markenzeichen der Region ist die berühmte Empanada gallega, eine mit Fleisch oder Fisch, Zwiebeln und Paprikaschoten gefüllte Pastete, die zweifellos schon die ersten Pilger auf dem Jakobsweg ernährt hat, wenn man nach Skulpturen und Abbildungen in Monumenten Santiago de Compostelas aus dem 12. Jahrhundert geht.
Kastanien und Honig waren einst ein Fall für die Klosterküchen. Dort wurden sie zu einzigartigen Süß- und Backwaren verarbeitet. Bis heute sind die alten Rezepte überliefert.
Natürlich ist Galicien auch ein Paradies für Liebhaber von exquisitem Fisch und Meeresfrüchten: Unter anderem Austern, Pilgermuscheln, Hummer, Langusten, Percebe (Entenmuschel) und Cigalas (Scampi) sind aufzuzählen sowie die großartigen Miesmuscheln aus Carril und vor allem der Oktopus, der auf der Beliebtheitsskala ganz weit oben steht.
Auch alle Arten Obst und Gemüse werden von alters her kultiviert – darunter die kleinen, nur manchmal scharfen Paprikaschoten Pimientos de Padrón.
Berühmt sind die Kartoffeln Galiciens – ein probates Mittel gegen den Hunger –, die im regenreichen Klima ausgezeichnet gedeihen. Cachelos werden sie genannt und mit Schale gebraten oder gekocht; eines der traditionellsten und populärsten Gerichte sind „Cachelos con sardinas“, Sardinen mit Kartoffeln. Bekannteste Kartoffelsorte ist die gelbschalige, weißfleischige Kennebec, heute ein geschütztes Produkt des Landes.
Das Klima Galiciens schafft aber auch extrem saftige grüne Weiden für die einheimischen Rinder. Da bietet sich die Gewinnung von Käse geradezu an. Über die spanischen Grenzen hinaus bekannt ist der helle, cremige, milde, aus pasteurisierter Milch hergestellte Tetilla aus der Gegend um Lugo. Seine unverwechselbare Form gleicht einer „Teta“ – daher der Name –, einer weiblichen Brust. Der Tetilla eignet sich perfekt zum Schmelzen und Füllen und harmoniert gut mit Obst oder mit einem Stück Membrillo, dem beliebten Quittengelee. Der Arzúa-Ulloa wird aus frischer Kuhmilch gemacht; ein klassischer, traditioneller Käse aus Galicien, der sehr cremig, mild und fett ist – sodass man ihn sogar aufs Brot streichen kann. Der birnenförmige San Simón da Costa ist zwar mild, aber mit pikanten Tönen. Der Käse ist aus Frischmilch hergestellt, wenig fett, enthält wenig Salz und besitzt eine unverwechselbare Räuchernote – ein Käse mit Geschichte. Queso do Cebreiro nennt sich ein rustikaler, klassischer Käse aus Kuhmilch, manchmal stammt er auch von der Ziege.
Zum Käse passt dann vorzüglich das knusprige, im Holzofen gebackene galicische Brot, das dem Land immerhin eine eigene Ursprungsbezeichnung wert war, um diese Tradition zu bewahren.
Fünf geschützte Weinanbaugebiete gibt es in Galicien, wobei die Rías Baixas im Südwesten der Provinz Pontevedra am bekanntesten sind. Nicht zuletzt wegen der prestigereichen Rebsorte Albariño, denn man kultiviert auch andere autochthone Sorten wie die Treixadura, Loureira, Caiño oder Espadeiro. In der Hauptsache produziert man junge reinsortige Weißweine aus der Albariño-Traube, die mit intensiven Frucht- und Blumenaromen, einem durchschnittlichen Alkoholgehalt von 12º und ausgeglichener Säure bestechen.
Ribeiro ist übrigens keine Rebsorte, sondern ein Anbaugebiet im Westen der Provinz Ourense. Die Weine des Ribeiro sind jung und leicht, mit feiner Säure und ausgezeichneten Frucht- und blumigen Aromen, die immer wieder überraschen. Sie sind aus den traditionellen einheimischen Sorten gemacht (Torrontés, Brancellao, Sousón, Albariño) und besitzen eine ausgeprägte Persönlichkeit.
Valdeorras im Osten der Provinz Ourense bildet das Tor zu Galicien – durch das römische Legionen, französische und englische Truppen marschierten, die ebenso ihre Kultur hinterließen wie die Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Charakteristisch ist die Rebsorte Godello, die fruchtige Weißweine von feinem Aroma und guter Struktur liefert. Aber auch Tintos werden hergestellt, aus der Mencía; sie sind leicht mit elegantem Fruchtaroma und ausgeglichen.
Die D.O. Ribeiro Sacra existiert noch nicht so lange, obwohl man hier immer schon gute Tintos hergestellt hat, die auch heute noch Tradition haben. Das Anbaugebiet liegt in einer unvergleichlichen Landschaft zwischen Kirchen und Klöstern an den Ufern des Miño und Sil, wo hauptsächlich Weinbau betrieben wird. Mit den Rebsorten Godello, Mencía und Albariño macht man aromatische Weine von ausgezeichneter Qualität.
Im Südosten der Provinz Ourense, an der Grenze zu Portugal, liegt die D.O. Monterrei, wo unter anderem die Rebsorten Verdello, Tinta Fina, Mencía, Monstruosa und Bastardo kultiviert werden. Die Weißweine des Monterrei-Tals sind leicht und aromatisch, die Rotweine ebenfalls leicht mit angenehmem Fruchtaroma.
Pulpo auf galicische Art
Der Oktopus (pulpo) ist ein sensibles Tier. Wenn er sich im Kampf gegen Feinde verloren sieht, ziehen sich seine Muskeln zusammen und bleiben gespannt. Grund für – wenn unsachgemäß zubereitet – gummiartige Fleischstücke auf dem Teller. Damit er zart wird, werden die Muskeln des Tintenfischs deshalb häufig mit einem Holzklopfer gelockert. Bequemer wäre allerdings – wenn man die Zeit hat –, den Pulpo ein paar Tage ins Gefrierfach zu packen, das hat den gleichen Effekt. Oder man kauft gleich gefrorenen Fisch.
Einen Topf mit Salzwasser und ein paar Lorbeerblättern aufsetzen. Wenn es kocht, den Pulpo drei- bis fünfmal ins Wasser werfen, um ihn zu „erschrecken“. Beim ersten Mal auf eins zählen, herausholen, dann auf eins-zwei, wieder herausholen, eins-zwei-drei usw. Danach wird er richtig gekocht. Man rechnet ca. 45 Min. Kochzeit pro Kilo Pulpo. Die galicische Hausfrau gibt übrigens manchmal einen Weinkorken ins Kochwasser, das soll das Fleisch auch zart machen. Der Test erfolgt mit einem einfachen Zahnstocher.
Danach muss man den Tintenfisch abtropfen lassen. Die Tentakeln (der Kopf wird verschmäht) in einen Zentimeter dicke Stücke schneiden. Auf einen runden Holzteller geben, mit grobem Salz und scharfem Paprikapulver bestreuen und großzügig mit feinstem Olivenöl begießen.
Diese typisch galicische Zubereitungsart nennt sich „a feira“ und sollte lauwarm serviert werden. Begleitet werden kann der Pulpo von in seinem Kochwasser gegarten Kartoffeln.
Bon profit!