Der Wahltag beginnt in Österreich am Vorabend, sobald das dominante Massenblatt „Kronenzeitung“ die Schlagzeile ihrer Sonntagsausgabe veröffentlicht. „Schicksalstage für Österreich“ lautet sie heute und das Hauptthema gilt der eigenen Sache. Um die „Krone“ tobt wieder einmal ein Machtkampf, die Hälfte der Eigentümer will Herausgeber Christoph Dichand absetzen. Da kommen ihm die dummdreisten Sprüche des H.C. Strache, der auf Ibiza von einer zukünftigen Einflussnahme träumte, sehr gelegen.
Der „Kampf um die Verteidigung der Pressefreiheit“ wird seitenlang ausgerufen und dem Noch-Kanzler Sebastian Kurz vor dem am Montag anstehenden Misstrauensvotum der Rücken gestärkt. Und so sieht auch das Wahlergebnis aus: Die ÖVP legt nach den Prognosen gegenüber der EU-Wahl 2014 um 7,5 Prozent auf vermutlich 34,5 Prozent zu. Damit gewinnt sie sogar gegenüber der Nationalratswahl 2017 noch einmal mehr als drei Prozent dazu.
„Da halt ma zsamm“, lautete die Parole unter FPÖ-Wählern, wie es etwa die bekannte Gastwirtin Johanna Enzinger in Zell am Moos am oberösterreichischen Irrsee beobachtete. So hielt sich der Stimmenrückgang in bescheidenen Grenzen. Dafür grassieren allüberall Verschwörungstheorien. H.C. Strache spricht so vielen aus der Seele, wenn er sich als Opfer eines „politischen Attentats“ sieht, es aber, wie er auf Facebook schrieb, überlebt habe.
Damit spielt er auf so populäre Gerüchte an, wonach Jörg Haider 2008 ermordet worden sei.
Zielsicher eröffnete H.-C. Strache ja bereits seine Rücktrittsrede mit dem Satz: “Das Gerücht lag schon länger in der Luft, dass über das Ausland wahlbeeinflussendes Dirty campaigning oder geheimdienstlich gesteuerte Aktionen zu befürchten sind.“
Damit traf er viele Österreicher ins Herz. Ausland und geheime Mächte, jawohl. Und immer Opfer.
Gerade „die Deitschn“ reizen besonders, erst recht, wenn Medien mit imageschädigenden Enthüllungen die vermeintliche Alpenidylle ins internationale Rampenlicht rücken. Im sogenannten Fremdenverkehr werden die Urlauber zwar umhegt, doch gleichzeitig hinterrücks gemeuchelt. Die Abhängigkeit des eigenen Wohlstands vom ausländischen Gast schmerzt.
Deutschland zählt nicht nur zehn Mal mehr Einwohner und glänzt als Exportweltmeister. Neben der schieren Größe und dem volkswirtschaftlichen Reichtum, der den österreichischen Nachbarn insbesondere beim Ankauf von Zweitwohnungen und Ferienvillen in die Augen sticht, ist es die zumeist präzisere Ausdrucksweise, die reflexartig das Bild des übermächtigen und arroganten Deutschen heraufbeschwört. Das deutsche Wirtschaftswunder fand in Österreich seine Werkbank, wer auf Basis eigener Leistung den großen Aufstieg schaffen wollte, wanderte aus. Jahrzehntelang blieb die Alpenrepublik in den meisten Bereichen dem Mittelmaß verhaftet.
Bei Aufnahmeprüfungen für die Universitäten dominierten deutsche Bewerber in geradezu erdrückender Weise. Nur mit enormer gesetzgeberischer Kreativität konnte der „teutonische Ansturm“ EU-konform eingedämmt werden. Das schürte jedoch die Ablehnung weiter und fütterte den allgegenwärtigen, doch nur so selten eingestandenen Minderwertigkeitskomplex. Verdrängung statt realistischer Einschätzung, beschönigen statt reformieren, auch dies pflastert den österreichischen Weg durch die Zeiten. Sigmund Freud entwickelte seine Psychoanalyse nicht ohne Grund in der Wiener Berggasse auf dem so reichhaltigen Nährboden der österreichischen Seele.
„Jetzt erst recht“ lautet nun der FPÖ-Kampfruf, der auch schon den ehemaligen UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim 1986 in dessen Bundespräsidentenwahlkampf als ÖVP-Kandidat gegen Angriffe aus dem Ausland immunisierte. Dieser Abwehrreflex könnte erneut greifen. Die ersten Umfragen nach dem Strache-Gau verorten die FPÖ immer noch bei 18 Prozent Wählerzustimmung, lediglich fünf Prozent haben der Rechtsaußenpartei bislang den Rücken gekehrt. Auf Facebook verlor Strache zwar binnen Stunden 112.000 Likes, doch dann registrierte er wieder Zuwachs. Am Sonntag hielten ihm schon wieder 800.456 Nutzer die Treue.
Verschwörungstheorien spielen dabei eine zentrale Rolle, sie sind in Österreich verblüffend gesellschaftsfähig, ebenfalls eine Folge von Geschichtsvergessenheit und mangelnder Genauigkeit. 71 Prozent waren über die Videos nicht einmal überrascht. Politiker sind eben so, glauben viele. H.C. Strache nennt seine Aussagen inzwischen „Gedankenspiele“.
Folgenschwerer Fehler bei „“Spiegel“ und „Süddeutschen“
Den Journalisten vom „Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“ muss man vorhalten, dass sie mit der Art und Weise, wie sie das Ibiza-Video veröffentlichten, diesen Verschwörungstheorien neue Nahrung gegeben haben. Denn die Aufnahmen stammen ja keineswegs von Enthüllungsjournalisten und sind ja auch das Ergebnis einer großen Falle. Da wäre es schlichtweg notwendig gewesen, zum Zeitpunkt der Publikation auch Recherchen zu den Machern des Videos zu veröffentlichen. So spielte man denen in die Hände, die doch eigentlich bloßgestellt werden sollten.
Zusätzlich wurden ständig pikante Details aus dem Video durchgesteckt. Doch kann man Neonationalisten wie den FPÖ-EU-Spitzenmann Harald Vilimsky noch anprangern, der sich über die Trinkgewohnheiten des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker lustig macht („.J.C.Trunker“), wenn man selbst Privatestes preisgibt?
„Angriff aus der linken Medienszene“, „Angriff aus Deutschland“, „Drahtzieher im Hintergrund“, sagt jetzt Vilimsky am Wahlabend. Das wirkt.
Und die FPÖ ist zusehends eine Themenpartei mit einer inzwischen sehr belastbaren Wählerbasis. „Wir haben da Stabilität hineingebracht“, sagt der Beinahe-Staatspräsident Österreichs und designierte neue FPÖ-Parteichef, Norbert Hofer. „Es werden im Herbst (beim nationalen Urnengang) noch viel, viel mehr Wähler sein.“
Agent provocateurs sind darauf nur sehr bedingt eine Antwort.