vonImma Luise Harms 24.12.2008

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Bei Menschen ohne Fantasie, Zeit oder Risikobereitschaft hat es sich eingebürgert, zu Weihnachten Gutscheine zu schenken. Ich falle noch einen Schritt dahinter zurück: Ich schenke dir hier den Vordruck zu einem Gutschein.
Im Sommer habe ich versucht, eine eigene Währung in Umlauf zu bringen. Es handelt sich um eine Art „Quellgeld“, das überall dort entstehen kann, wo es gebraucht wird und als „Rübel-Gutschein“ an allen Ecken und Enden im Umlauf gebracht werden kann. Gedacht hatte ich an ein gefaltetes Kärtchen, dessen Titelseite so aussieht:


Die Idee ist einfach. A hilft B einen Tag lang Kartoffeln ernten. Sie vereinbaren einen Rübel-Wert dafür, der sich ungefähr am Euro-Wert orientiert. B bietet A dafür zum Beispiel an, Visitenkarten zu machen, wenn sie sie braucht, oder zwei Eimer Sauerkirschen, wenn sie reif sind, oder eine Nacht Babysitten, wenn A mal in der Stadt bleiben will. B trägt ihre Tauschleistungen in die Karte ein und verpflichtet sich, sie auch einzulösen, wenn jemand anderes damit zu ihr kommt. Sie kann die Karte innerhalb des vereinbarten Zeitraumes selbst bei B einlösen oder dem Nachbarn die Karte anbieten, wenn er ihr hilft, eine Regenrinne anzubringen. Oder einer Freundin für ein halbes Schaf. Oder dem Sohn, wenn der ihr einen Crash Kurs im Internet-Seiten-bauen gibt.
Der Sohn braucht weder einen Babysitter noch Sauerkirschen, aber er hat eine Bekannte, die bei seiner Examensarbeit Korrektur liest, der kann er dafür den Rübelschein für Sauerkirschen geben. Weil ihm das einfällt, lässt er sich auf das Rübelgeschäft mit A ein.
Jeder kann sich diesen Schein selbst drucken und ausstellen. Die Version, die ich entworfen und bei ein paar Gelegenheiten auch in Umlauf gebracht habe, ist nur ein Vorschlag. Entscheidend ist, dass die jeweiligen VertragspartnerInnen sich einigen und sich vertrauen. In der gleichen Weise müssen sich A und derdie nächste Rübelschein-Empfängerin, sagen wir: C, vertrauen, d.h. C muss von der „Kaufkraft“ des ausgestellten Rübelscheins, sprich: von der Einlösebereitschaft der Ausstellerin übezeugt sein. So entsteht eine Kette des Vertrauens: Wenn A B vertraut, und B vertraut C, dann kann auch A C vertrauen. Die Rübelunion entsteht also durch verschiedene ineinandergreifende Ketten des Vertrauens, jeweils ausgelöst von und gestützt auf einen zirkulierenden Rübelschein.
Mit Absicht zeigt der Schein bei seiner Zirkulation Gebrauchsspuren. Auf der Innenseite der gefalteten Karten können die Zwischennutzer des Rübelscheins ihre eigenen Hilfeleistungsangebote eintragen. Sie sieht so aus:

Wenn man die Karte als Tauschmittel akzeptiert, sieht man, was es sonst noch so zu tauschen gibt. Dadurch erhöht sich die Tauschnachfrage und immer neue Rübelscheine kommen im Umlauf. Weil ja jedeR seineihre Karte selbst ausstellt, kann man z.B. einen 200-Rübelschein auch wechseln: man gibt einfach einen neu ausgestellen 100-Rübelschein zurück und schickt ihn in die umgekehrte Richtung. Man könnte auch zwei gleichwertige Rübelscheine tauschen, nur um sie in Umlauf zu bringen.
Die ganze Sache ist auch deswegen so einfach und einleuchtend, weil es keinerlei zentrale Organisation voraussetzt, keine Stelle, die das ganze überwacht. Lediglich zum Sammeln der Information schien mir eine Anlaufstelle sinnvoll. Auf der Rückseite der Karte steht dazu die Bitte, die eingelösten und damit entwerteten Rübelscheine an eine Sammelstelle zu schicken. Aus den Eintragungen der Zwischennutzer könnte dann ein ganzes Netzwerk von möglichen Hilfeleistungen entstehen, eine Art regionales Branchenverzeichnis.

Mir ist klar, dass dieses System von Schuldscheinen anfällig gegen Missbrauch ist, wenn z.B. jemand mehr Hilfeleistungen verspricht, als ersie einlösen kann. Deshalb ist dieses Tauschsystem nicht ohne Vertrauen in die Fairness der Teilnehmenden denkbar, d.h., es ist regional und möglicherweise auch soziokulturell begrenzt. In der Praxis ist es aber auf ganz andere Schwierigkeiten gestoßen. Die Rübelscheine kommen nämlich gar nicht zum Zirkulieren. Eine Hilfeleistung oder ein Produkt wird umgehend mit einem anderen Produkt oder einen anderen Hilfeleistung erwidert. Das ist das Prinzip der Nachbarschaftshilfe. C hat von mir 12 Sack Mais bekommen. Ich kriege von ihr nach und nach Eier im gleichen Wert zurück. Die kann ich gut brauchen, warum sollen wir darüber einen Rübelschein ausstellen? Das Schaf wird gegen Holzhacken getauscht, das DVD-Brennen gegen eine Massage, ein Topf mit selbst gemachter Salbe wird gegen eine Stadtfahrt getauscht. Eigentlich hat jedeR etwas, was derdie andere brauchen kann. Das ist konkret und die Nützlichkeit liegt auf der Hand. Die Rübel müssen sich gar nicht dazwischen schalten. Aber auf diese Weise können sich die Tausch- und Hilfebeziehungen auch nicht über den bestehenden Rahmen ausweiten.
Ist schade, aber isso.
Vielleicht hat ja jemand eine Idee, wie man Einlöseverzögerungen und –umwege in die Nachbarschaftshilfe einbauen kann, um größere Netzwerke zu schaffen.

Schöne Weihnachten!

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