vonsaveourseeds 25.01.2010

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Ein neuer Streit um die Gentechnik tobt dieser Tage um die Milch: Wird „ohne Gentechnik“ bald zur Selbstverständlichkeit bei Frischmilch, Käse, Joghurt und Quark? Freunde der Gentechnik laufen dagegen Sturm. Denn es geht dabei um mehr als nur die Frage, was die Kuh gefressen hat oder gar um Spitzfindigkeiten was wirklich gentechnikfrei ist oder nicht. Hinter dem was Grosskonzerne wie Lidl, Friesland/Campina, ReWe und andere als „heissen trend“ entdeckt haben, stecken Fragen nach Klimaschutz, regionaler und globaler Gerechtigkeit und der Verantwortung und Macht der Verbraucherinnen, taucht eine faire Milch am Horizont auf und wird eine andere Agrarpolitik sichtbar, die wir alle gestalten könnten.

Zuletzt haben die Milchwerke Berchtesgadener Land letzte Woche auf Milch „ohne Gentechnik“ umgeschaltet. Sie folgen damit einem Trend, der kaum noch aufzuhalten scheint. Nicht auszuschließen, dass Milch, bei deren Produktion Kraftfutter aus Gentechnik eingesetzt wird, bald zu einem Nischenprodukt auf dem umkämpften Deutschen Markt und „ohne Gentechnik“ zum Standard auf der Milchtüte wird.

Das Label, das den Verzicht auf Gentechnik-Futter bei tierischen Produkten signalisiert, vom damaligen Verbraucher- und Landwirtschaftsminister Seehofer 2008 aus der Taufe gehoben und seiner Nachfolgerin Ilse Aigner weiter beworben, erfreut sich seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit. Sehr zum Ärger hartgesottener Freunde der Gentechnik wie der FDP und des Bundesverbands der Lebensmittelhersteller (BLL); aber auch des Deutschen Bauernverbandes und seines Raiffeisenverbandes, der nicht müde wird zu behaupten, gentechnikfreies Futter sei erstens kaum noch zu bekommen und werde zweitens auch nicht nachgefragt. Auch der Verband der Deutschen Milchindustrie (übrigens das grösste Segment der deutschen Lebensmittelverarbeitung) hält Gentechnik grundsätzlich für unbedenklich und gibt „ohne Gentechnik“ offiziell keine Chance während seine Mitglieder ihm langsam von der Fahne gehen.

Unehrlich sei das Kennzeichen, behaupten jene, die am liebsten überhaupt keine Gentechnik-Kennzeichnung auf Produkten sähen. Denn das Label macht nicht (wie etwa die Bio-Verordnung) zur Bedingung, auf Zutaten wie Vitamine, Enzyme oder Impfstoffe zu verzichten, die mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen hergestellt werden, sondern nur auf gentechnisch veränderte Pflanzen, die in die Natur freigesetzt werden. Seit Jahren ist das Argument „es ist doch sowieso schon überall drin“ die wichtigste Kommunikations-Strategie der Gentechnik-Freunde; so erfolgreich, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher heute mehr Gentechnik in ihrem Essen vermuten als tatsächlich drin ist. Echte und kennzeichnungspflichtige Gentechnik-Produkte sind nach wie vor praktisch nicht auf dem europäischen Markt. Lebensmittel-Giganten und Supermärkte scheuen den möglichen Image-Schaden wie der Teufel das Weihwasser und liessen sich weder mit Charme noch mit Druck bisher von den globalen Chemie-Giganten zu einem Sinneswandel überreden. Denn im Gegensatz zu Monsanto und Syngenta, aber auch zu Raifeissen und Cargill, haben Nestlé und Danone, Unilever, Lidl, Aldi oder ReWe es mit EndverbraucherInnen zu tun, deren Marken-Vertrauen ihr heiligstes Gut ist.

Unter den „hot trends“, auf die VerbraucherInnen beim Einkauf häufig oder immer achten, hat sich die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ nach einer Untersuchung der Marktforschungsgruppe IPSOS (siehe Grafik) mittlerweile mit 42% auf Platz 10 unter 25 Kriterien hochgearbeitet (top war ohne Konservierungsstoffe mit 55%). Mit einem harten Kern von 18%, die „immer“ darauf achten liegt es sogar an erster Stelle und kann auf eine verlässliche Fan-Gemeinde hoffen.

Weil nur Endprodukte aus gentechnisch manipulierten Pflanzen (theoretisch auch Tieren) kennzeichnungspflichtig sind, nicht aber tierische Produkte auf Basis von  Gentechnikfutter, werden dennoch Millionen Tonnen gentechnisch veränderter Soja und gentechnisch veränderter Mais importiert und in der Tierfütterung eingesetzt. Denn Europa und insbesondere auch Deutschland sind bei der sogenannten Veredelung, vor allem seiner Überproduktion von Fleisch- und Milchproduktion, von billigen Rohstoff-Importen aus Übersee abhängig.

Das ist keineswegs nur ein Problem der Gentechnik, sondern auch der Zerstörung von Regenwäldern, die dafür in Brasilien gerodet werden, der Landvertreibung und „grünen Wüsten“ in Argentinien und der industriellen Agrarproduktion in Monokulturen weltweit. Die billigen Rostoffe sind für die Export-Länder zwar ein wichtiger Posten in ihrer Aussenhandelsbilanz (in Argentinien ein Viertel), ruinieren aber gleichzeitig die regionale Landwirtschaft und gehören zu den klimaschädlichsten und chemieintensivsten Anbaubauformen. Dass die Gentechnik sich gerade hier durchsetzt, ist kein Zufall. Gesichtslose, für die Verarbeiter global verfügbare und austauschbare Massenware, deren Herkunft und Produktionsbedingungen den Verbrauchern unbekannt bleiben, sind der ideale Einstieg in die Gentechnik. Die mit Abstand wichtigste Sorte, Monsanto’s „Roundup-Ready“ Produkte, die gegen das umstrittene Pestizid „Roundup“ resistent sind, haben beim Soja-Anbau einen Marktanteil von über 90% in den USA und Argentinien und dominieren mittlerweile auch den Anbau in Brasilien und Paraguay.

Weil der Zusatz von Kraftfutter in der Milchproduktion eine vergleichsweise geringere Rolle als etwa bei der Fleischproduktion in Schweine-, Hähnchen- und Eier-Fabriken spielt, setzt sich jetzt das „ohne Gentechnik“ label hier am schnellsten durch. Für Marken- und Verkaufsstrategen spielt dabei ein weiterer Trend, die Nachfrage nach regionalen Produkten, eine wesentliche Rolle. Das zeigt das Beispiel der vielleicht umsatzrelevantesten Umstellung der letzten Zeit: Die zunächst in Bayern und demnächst auch anderswo erhältliche Lidl-Milchproduktreihe „Ein gutes Stück Heimat“ macht Gentechnikfreiheit zwar zur Bedingung bei den Lieferanten, weist sie aber auf der Packung nicht mal aus, vermutlich um andere Lidl-Billigprodukte nicht in Erklärungsnot zu bringen. Dumm gelaufen für die Gentechnikfreunde: „Gentechnik aus der Region“ können sie bei besten Willen nicht liefern.

Auch der europäische Milchmarktführer Friesland/Campina, der seine „Landliebe“ Produkte („die einzige deutsche Milchmarke, die ihre Kühe ausschließlich mit traditionellen Pflanzen füttert. Das tut nicht nur den Kühen gut, sondern auch Ihnen.“) gentechnikfrei hält und kennzeichnet, stellt in erster Linie regionale und traditionelle Fütterung in der Vordergrund.

Und was kommt als Nächstes? Die faire Milch, die das Europäische Milkboard und der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter auf der Grünen Woche ankündigten und die ab sofort bei ReWe und Tegut in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen erhältlich ist. Selbstverständlich ohne Gentechnik; aber zudem fair gegenüber den Erzeugern, im Preis (40 Cent!) und auch in der Verlässlichkeit, bienenfreundlich und mit begrenztem Kraftfutter-Einsatz aus der Region.

Vor 2000 BDM Mitgliedern präsentierte der „Gegenpräsident“, Romuald Schaber, hinter dem mittlerweile mehr als ein Drittel aller Milchbauern in Deutschland stehen, am vergangenen Samstag das Konzept und seine Hintergründe. Weil das Projekt von den Bauern selbst betrieben und auch kontrolliert wird, läuft es hoffentlich nicht Gefahr, als kurzfristiger Discounter-Werbe-Gag bei nächster Gelegenheit wieder unter die Räder zu kommen. Vor allem aber zeichnet sich ab was in Zukunft Schule machen und die Agrar-Landschaft nachhaltig verändern könnte: Statt Einzel-Aspekten und -Versprechen zu einer tatsächlich ganzheitlichen Veränderung der Qualität zu kommen, mit Hilfe der VerbraucherInnen und notfalls auch gegen die mächtigen Interessen der Lebensmittel-Industrie und der Discounter und gegen Milch- und Gentechnikpolitiker in Berlin und Brüssel, die nur darauf warten, dass mißliebige „hot trends“ bei Königin Kundschaft sich erledigen lassen. Bei „landlive“, dem Internet-Diskussionsforum des bauernverbandsnahen Deutschen Landwirtschaftsverlags tobt die Debatte unter den Bauern auf lesenswerte Weise.

Die Diskussion, die von der fairen Milch und dem BDM angestossen wird, ist zukunftsweisend. Denn erstmals fordern Bauern weder zusätzliche Subventionen noch blindes Wachstum, sondern eine Orientierung am Bedarf, sowohl in Bezug auf die Menge (deren Begrenzung und flexible Steuerung die ruinösen Preissprünge überwinden soll) als auch in Bezug auf die Qualität und die globale Verantwortung der europäischen Agrarpolitik (siehe dazu auch „die Milch machts“) für eine soziale, umwelt- und klimagerechte globale Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik. Die kleine Schar der 120 Milchbauern und ihre Partner, die jetzt die „faire Milch“ aus der Taufe hoben, könnten so gesehen einmal als Pioniere einer neuen Agrarpolitik in die jüngere Geschichte eingehen, wenn sie von den Verbraucherinnen und der Politik nachhaltig unterstützt und damit nicht nur ein paar Gentechnik-Freaks, sondern dem ganzen Agrarwahnsinn gefairlich werden.

Keine Frage: Es tut sich was und dabei wächst mancherlei zusammen, was in der Tat zusammen gehört.

Alles Müller oder was?

P.S.

Fragen Sie doch schon mal in Ihrem Supermarkt nach ob Sie denn auch schon faire Milch haben und falls nicht ab wann damit zu rechnen ist.

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https://blogs.taz.de/gefairliche_milch_fuer_die_gentechnik/

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