vonEva C. Schweitzer 17.03.2010

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Eigentlich dachte ich, die Roadkill-Debatte sei endlich ausgestanden, aber nein, anlässlich der Leipziger Buchmesse ist die wieder aufgeflackert. Offenbar ist sich die Fachwelt nicht einig, was ein Plagiat ist und was eine Neuschöpfung durch Zitierung bekannter Vorbilder. Heute lese ich in der WELT (okay, seien wir ehrlich, im Perlentaucher), dass es legitim ist, ohne Quelle zu zitieren, wenn daraus ein eigenes Werk erwächst. Beispielsweise habe Christa Wolf in “Kindheitsmuster” das bekannte Zitat von William Faulkner übernommen, The past is not dead. In fact, it’s not even past.

Ähnlich ging es mir einmal, ich hatte ebendasgleiche Zitat in eines meiner Bücher eingearbeitet, daraufhin warf mir ein Kritiker vor — ich glaube, es war Helmut Höge — nicht etwa, ich habe das abgeschrieben, sondern es sei kitschig. Wenn ich Faulkner mal treffe, werde ich ihm das erzählen. Ich war mal in einer von Geistern heimgesuchten Bar in New Orleans, wo Faulker mal gewohnt hat, die Chancen stehen also nicht schlecht.

Zurück zum Roadkill, (nebenbei, die Debatte hat schon die USA erreicht), also, ich habe eine Methode entwickelt, wie man ein schnödes Plagiat von einer künstlerisch wertvollen Weiterentwicklung unterscheidet: Wenn es ein Plagiat ist, spekuliert der Autor darauf, dass es keiner merkt, wg. komplett unbekannt. Wenn es aber künstlerisch wertvoll ist, funktioniert es unabhängig davon, ob das Vorbild bekannt ist (oder manchmal nur, weil das Vorbild bekannt ist). Im Falle von Hegemann, stellen wir uns einfach mal vor, sie hätte nicht zwölf oder zwanzig Seiten von einem anonymen Blogger repurposed, wie wir Amerikaner sagen, sondern die einem Bestseller entnommen, sagen wir mal, Feuchtgebiete von Charlotte Roche.

Statt “Als ich im Berghain kotzen musste, lief mir die Magensäure über die Oberschenkel” hätte sie also geschrieben, “Als ich im Berghain ficken musste, lief mir das Sperma über die Unterschenkel” (oder wie Roche halt so schreibt). Das passt irgendwie auch, aber ich vermute mal, dass wenigstens der ein oder andere Kritiker das gemerkt hätte. Wäre Hegemann dann immer noch eine talentierte Neuentdeckung? Kritiker, geht in euch und denkt darüber nach. Ich gehe solange mal einen Mojito a la Faulker trinken. Oder war der von Hemingway?

Eva C. Schweitzer, Manhattan  Moments. Geschichten aus New York, erschienen bei Droemer-Knaur, Juni 2009, Taschenbuch, 9,95 €

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/geister_und_grosse_fische/

aktuell auf taz.de

kommentare