Nur durch Poller lassen sich Klassenkämpfe verhindern
Am Samstag fand im „Festsaal Kreuzberg“ im Rahmen der „Marx Herbstschule“ eine Diskussion mit Stefanie Hürtgen, Robert Kurz und Ricardo Bellofiore statt – zum Thema: “ Klasse und Krise: Wie geht es weiter“ Kurz ging von der Kapitallogik aus und setzt weiterhin auf die Krise, er erwartet in absehbarer Zeit eine neue – weltweite: „Wer nicht mehr an die objektive innere Schranke des Kapitals und seiner Akkumulation glaubt, der kapriziert sich nur noch auf die Widersprüche in der Zirkulationssphäre“. In diesem Zusammenhang kritisierte er die „Restlinke“, dass sie nach dem Zusammenbruch des Sozialismus keine systemüberschreitenden Perspektiven mehr wage (zu denken). Stefanie Hürtgen dachte demgegenüber von der Arbeit aus: die „Kontinuitätserfahrung“ der Menschen sei aufgrund der anhaltenden Prekarisierungstendenzen in eine Krise geraten und die Linke befände sich in einer Situation der Schwäche, „noch schwächer als vor der Krise“. Es gelte, Ansatzpunkte von Veränderung zu denken.
Man kann solche auch einfach suchen und finden. Darum ging es am Sonntag im Kreuzberger „Kartoffel-Café“, wo ein Teil der internationalen Allmende-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung sich mit Vertretern der „Nicht-kommerziellen Landwirtschaft ‚Karlshof'“ traf. Letztere bewirtschaften einen Hof bei Templin wie ein Allgemeingut. Er gehört neben zwei anderen Höfen der Stiftung „Dissidente Subsistenz“, die als „Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit“ (PaG) auftritt, zu der auch die 15 Leute auf dem Karlshof zählen. Es geht dabei um Kommunismus: Sie produzieren keine Tausch- sondern Gebrauchswerte, die verteilt werden. Für ihre Investitionen, Lebenshaltungskosten etc. werben sie umgekehrt mittels „Kampagnen“ Geld ein. Das ist an einem kleinen Punkt – in Brandenburg – eine systemüberwindende Maßnahme (1).
Ob und wann „das System“ zurückschlägt, und ob von innen oder von außen, weiß man nicht. Klar ist jedoch, wenn das „Projekt ‚Nicht-kommerzielle Landwirtschaft (NKL)'“ sich spaltet oder nicht mehr weiter weiß, übergibt die PaG den Hof an ein anderes Kollektiv zur antikapitalistischen Bewirtschaftung. Ein solches (Projekt-) Ende sei mitunter sogar besser, als immer verbissener weiter zu wurschteln, fügte die PaG-Vertreterin Imma Harms hinzu. Die italienische Allmendeforscherin Giovanna Ricoveri gab ihr da recht.
Chinesische Pollerreihe auf dem Weg nach Tibet
Chinesische Pollerreihe in Tibet
Wenn man so will, dann war diese „Commonismus“-Diskussion am Sonntag die Antwort auf die Marx-Debatte am Samstag, insofern sie zum Einen dessen Forderung einlöste, das zu denken, was nach dem Kapitalismus kommt, und zum anderen, indem sie implizit die Idee einer weiteren großen Erzählung zurückwies, in der die Teilnehmer nur noch dem Weltgeist die Kastanien aus dem Feuer holen (müssen). Es geht fortan bloß noch um (selbstorganisierte) kleine Geschichten – um ein „Klein-Werden“ – das allerdings weltweit. Was auf dem NKL-Hof versucht wird, findet ja überall statt – in Indien, Argentinien, Sibirien, in der Wüste Gobi, am Rand der Sahara und sonstwo. Manchmal autoritärer und entbehrungsreicher, oder feministischer, sektiererischer, oder viel weniger deutsch und dafür deutlicher.
Der Begriff „dissidentische Subsistenz“ deutet es bereits an: die kollektive Reduktion auf das Wesentliche – als eine transzendierende Aktivität, schon allein im Hinblick auf eine versuchsweise Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit. Im „CommonsBlog“ heißt es an einer Stelle: „Die Idee der Commons ist besser ausgedrückt mit dem ‚commoning‘, also nicht mit einem Subjekt, sondern mit einem Verb“. Dieses neue Tuwort wurde auch in der Diskussion im „Kartoffel-Café“ immer wieder benutzt – im Sinne von „Werden“? Konkret war damit gemeint: alles aushandeln, eine Konfliktkultur schaffen. Das Verb stammt vom Historiker Peter Linebaugh, der am Londoner „Mute Magazine“ mitarbeitet. Die „Mute“-Herausgeber diskutierten am Freitag in der Kreuzberger Galerie „Basso“ – zusammen mit den Herausgebern des Hamburger Magazins „Kultur & Gespenster“. Hierbei handelt es sich um zwei Kollektivprojekte, die Kunst und Politik zusammenbringen. Ähnliche Experimente finden derzeit in Rumänien, der Ukraine und Polen statt, wobei das polnische Netzwerk „krytyka polityczna“ sich bereits zu einer halben sozialen Bewegung entwickelt hat – mit Läden und Foren in mehreren Städten… Es besteht also kein Grund zum Pessismismus, auch wenn das, wogegen man kämpft, scheußlich ist. Worin besteht aber nun diese Scheußlichkeit konkret?
Einsamer Poller an einem Wasserfall
Für den marxistischen Erkenntnistheoretiker Alfred Sohn-Rethel ist es zuförderst der „abstrakte Wert“ des alles und alle durchdringenden Tauschwerts: „Der Tauschwert ist einzig quantitativer Differenzierung fähig, und die Quantifizierung, die hier vorliegt, ist wiederum abstrakter Natur im Vergleich zur Mengenbestimmung von Gebrauchswerten. Selbst die Arbeit…wird als Bestimmungsgrund der Wertgröße und Wertsubstanz zu ‚abstrakt menschlicher Arbeit‘, menschlicher Arbeit als solcher nur überhaupt. Die Form, in der der Warenwert sinnfällig in Erscheinung tritt, nämlich das Geld,…ist abstraktes Ding und in dieser Eigenschaft, genaugenommen, ein Widerspruch in sich. Im Geld wird auch der Reichtum zum abstrakten Reichtum, dem keine Grenzen mehr gesetzt sind. Als Besitzer solchen Reichtums wird der Mensch selbst zum abstrakten Menschen, seine Individualität zum abstrakten Wesen des Privateigentümers. Schließlich ist eine Gesellschaft, in der der Warenverkehr den nexus rerum bildet, ein rein abstrakter Zusammenhang, bei dem alles Konkrete sich in privaten Händen befindet.“
Die geschichtliche Vorform des Warentauschs ist der Geschenk- oder Gabentausch. Er ist gekennzeichnet durch die Verpflichtung der Reziprokation der empfangenen Gabe, der Warentausch dagegen durch das Postulat der Äquivalenz der getauschten Objekte. Hier herrscht „Gegenseitigkeit“ – dort „Gleichwertigkeit“, könnte man vielleicht auch sagen. Ersteres bezieht sich auf Personen, letzteres auf Dinge. Im Gabentausch wird Gesellschaft direkt zwischen Personen hergestellt, im Warentausch abstrakt – über den Wert (der Dinge). Ersteres eignet den sogenannten primitiven Gesellschaften, letzteres unseren – kapitalistischen. Aber auch hier herrscht – meist unterschwellig – (noch?) ein ununterdrückbarer Hang und Drang zum Gabentausch. Dazu zählen nicht nur die vielen ausdrücklichen Projekte der „sozialen und solidarischen Ökonomie“, von denen es allein in Ostberlin fast 1000 gibt – mit bis zu 500 Mitarbeitern. Auch nicht die etwa 300 „Tauschringe“ deutschlandweit. Oder die millionenfache unbezahlte Hausarbeit und das Großziehen von Kindern bzw. Enkeln, sowie die Nachbarschaftshilfe und die ehrenamtliche Tätigkeit, die von fast jedem dritten Deutschen ausgeübt wird (die Süddeutsche Zeitung nennt sie den „Kitt der Gesellschaft“).
Fast alle unsere Lebensäußerungen heben auf Gaben- statt Warentausch ab. Und zwar auf eine ebenso subtile wie nachhaltige Weise. Beispiel: Ich frage einen im Ausland lebenden Freund am Telefon „Soll ich dir das neue Buch schicken?“. Dabei erwarte ich nicht die Antwort „Nein, bloß nicht!“, sondern ein „Ja, wenn es dir nicht zu viele Umstände macht,“ was ich dann verneine, wobei ich ab da hoffe, dass er mir ggf. auch mal einen interessanten Text zukommen läßt. Damit wäre schon der Reziprozität Genüge getan, d.h. der Erweiterung und Festigung eines sozialen Netzes – durch die Erwiderung einer Gabe. Auch im Büro: Wenn ich drei Mal runtergehe, um mir einen Kaffee zu holen und dabei dem Kollegen einen mitbringe, dann hoffe/erwarte ich, dass er mir umgekehrt auch mal einen mitbringt. Ständig versuchen wir dergestalt andere in unsere Schuld zu bringen und umgekehrt passiert mit uns das selbe. Wir fühlen uns den alt und klapprig werdenden Eltern, die uns großzogen, verpflichtet. Wir haben ein schlechtes Gewissen, weil wir einen alten Freund nicht oft genug im Krankenhaus besuchen. Oder weil wir uns kein angemessenes Geschenk zur „Feier“ einer guten Freundin überlegt haben usw. . Das selbe unberechenbare Reziprozitäts-Gesetz ist beim Wohnungsumzug und Wohnungsrenovieren am Werk – in bezug auf die Hilfe von Freunden dabei. Ja sogar schon bei der Freundlichkeit und Höflichkeit gegenüber Kellnern: Nach einer gewissen Zeit darf man erwarten, dass sie diese erwidern – und einen „persönlich“ behandeln. Aber wie leicht droht ein Gaben- in Warentausch umzukippen?! Wenn z.B. ein Mann eine Frau zum Essen einlädt – und sie damit „rumkriegen“ will. Dann ist das keine Gabe mehr, eher ein Danaergeschenk. Der Gabentausch webt am Sozialen und umgekehrt. Wenn man aus diesen „Verbindungen“ einen „Deal“ macht, reißen die Fäden. Deswegen kann der Philosoph des Judentums Emmanuel Lévinas sagen, vom „Anderen“ geradezu „besessen“ zu sein. Der andere Philosoph Jacques Derrida hat daraus eine ganze „Politik der Freundschaft“ entworfen. Wohingegen der Marxist André Gorz sich auf all jene „Initiativen und Projekte“ konzentrierte, bei denen der Gabentausch als bewußte „ökonomische Praktik“ im Zentrum stand. Gorz begriff diese Selbstorganisationen, im Maße sie sich verbinden, als Alternative zur kapitalistischen Wirtschaftsweise. Man könnte sie aber auch als ihre bloß konkretistische Negation abtun, denn die primär Gaben tauschenden Gesellschaften werden im strengen Sinne von gar keiner „Ökonomie“ beherrscht. Eine empirische Studie kam zu dem Ergebnis, dass auch in Frankreich „die Sphäre der Gabe“ bereits Dreiviertel des Bruttosozialprodukts ausmache. Dazu zählten die Forscher u.a. die vielen „Schnapsrunden“ in den Kneipen. Viele Marxisten lächelten darüber, einige grinsten aber auch nur.
Mann geht auf Poller zu und bekommt einen Anruf
Ich war dagegen umgekehrt erstaunt, als eine amerikanische Freundin meinte: Wenn du mir jetzt nicht hilfst, dann unterstütze ich dich auch nicht, wenn du mal alt bist. Das war mir eine zu sehr vom Wertgesetz zersetzte Reziprozität. Wie ebenso ihre stete Sorge, der sie – nachdem sie mit mir eine Idee für einen Text, den zu schreiben sie beabsichtigte, diskutiert hatte – hinzufügen ließ: „Aber erzähl niemandem davon!“ Sie hatte – völlig unbegründet – Angst, jemand könnte sie einer Idee berauben – bevor sie diese noch selbst ausgearbeitet und veröffentlicht hatte. Während ich darin einen Freundschaftsbeweis sehe, wenn jemand einen ausgedruckten Gedanken von mir übernimmt. Fortan steht derjenige wenn auch unbekannterweise ein bißchen in meiner Schuld. Aber ich wunderte mich nicht lange über meine amerikanische Freundin, denn ein solches Verhalten „ist am entwickelsten in der modernen Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaft – den Vereinigten Staaten. Hier also wird die Abstraktion der Kategorie ‚Arbeit‘, ‚Arbeit überhaupt‘, Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr,“ schrieb Karl Marx ( MEW 42/39). Vielleicht stammt dieses Verhalten aber auch, noch ganz vormodern, aus den alten Pionierzeiten, als man dort im Westen sein Eigentum noch ängstlich und vor allem ganz buchstäblich „hüten“ mußte. Dennoch organisierte meine amerikanische Freundin 2007 bereits eine Diskussion über die „Allmende“, das Gemeineigentum, in den USA auch „Open Source“- Bewegung genannt. Was „Gemeineigentum“ ist, kann man eigentlich nicht klauen, sondern nur persönlich nutzen, das soll man ja auch – aber es dann unerwidert lassen. Dadurch wird zwar das Reziprozitätsgesetz verletzt – aber kein bürgerliches Recht.
Grüne Poller-Doppelreihe mit irritierenden Schuhabdrücken
Alfred Sohn-Rethel begreift den Unterschied zwischen dem einen und dem anderen historisch als Übergang vom „klassischen Gemeinwesen“ zur „Einzelwirtschaft“: „Vor diesem Hintergrund ist auf die Bereitschaft zur Erwiderung beim Gabentausch kein Verlaß mehr, und der Austausch muß eine tiefgreifende Umformung erfahren, eben die Umformung zum Warentausch, d.h. die zuvor im zeitlichen Abstand zur Gabe lose erfolgende Erwiderung verkoppelt sich jetzt strikt mit ihr zur prompten Bezahlung der Gabe an Ort und Stelle, so daß die beiden Akte des Austauschs wechselseitige Bedingung füreinander werden und zur Einheit und Gleichzeitigkeit eines Tauschgeschäfts zusammengekettet sind. Die Partner dieses Verhältnisses stehen nun als Käufer und Verkäufer erst eigentlich in vollem Sinne der Tauschhandlung und Tauschverhandlung sich gegenüber. Keiner der beiderseitigen Akte des Gebens und Nehmens ist für sich der Tauschakt. Der Tauschakt ist das komplexe Verhältnis, in dem die beiderseitigen Handlungen sich zur Einheit des Austausches aufwiegen. Das ist keine physische Einheit, sondern ein Rechtsverhältnis. Das Mengenverhältnis ihrer Warenposten, auf das die Tauschpartner sich einigen, hat Vertragscharakter, schriftlichen oder mündlichen. Im Warentausch ist der Akt gesellschaftlich, aber die beiden Mentalitäten sind privat; das sagt sich bündiger und klarer auf englisch: In commodity exchange the act is social, the minds are private.“
Weil dieser Warentausch, indem er sich durchsetzt, die Gemeinschaften zersetzt, zu atomisieren droht, wird der Gabentausch als Gegengewicht institutionalisiert, indem man ihn sakralisiert. D.h. er dient fortan der Pflege der Götterkulte und der sakralen Opferdienste durch eine Priesterschaft – bis hin zum „Ablaßhandel“, gegen den zu Beginn der Moderne dann Martin Luther die abstrakte Schuld eines jeden setzte. So konnten die protestantischen Gemeinden, besonders in den USA, zu Enklaven des Gabentauschs werden. Meine amerikanische Freundin hegt eine besondere Vorliebe für die „Brüdergemeinen“, die dieses Prinzip hierzulande noch am ausgeprägtesten „vorleben“ – dank ihrer glorreichen hussitischen Vergangenheit.
Wiener Friedhofspoller
Noch ein Konferenzbericht:
Kropotkin predigte es bereits um 1900: Gemeineigentum (auch Allmende oder Common genannt) geht vor Privat- und Staatseigentum – als Basis eines dem Menschen gemäßeren Wirtschaftens: kooperativ statt konkurrent. Seit den Initiativen für „Open Sources“ und „freier Software“ ist daraus eine fast schon globale „Commons“-Bewegung geworden. Dazu trug nicht zuletzt die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an die „Allmende“-Forscherin Elinor Ostrom bei.
Ende Oktober lud die Heinrich Böll Stiftung zu einer internationalen Konferenz: „Constructing a Commons-Based Policy Platform“. Am 12. November folgt dieser eine Konferenz in Amsterdam: „economies of the commons“, wo es um das Bewirtschaften von „on-line public domain and open access cultural resources“ geht. Und danach ab 10. Januar eine Konferenz in Hyderabad, Indien, auf der es eher lebenspraktisch um „Sustaining Commons – Sustaining our Future“ geht.
Die Vorständlerin der grünen Stiftung, Barbara Unmüßig, kam in ihrer Eröffnungsrede auf den Kampf um die Berliner Wasserwerke und auf einen Wald bei Templin zu sprechen, der gerade von der Treuhand an eine Privatperson verkauft wurde, obwohl die dortige Gemeinde mitgeboten hatte: „Solche Kontroversen finden derzeit überall auf der Welt statt“.
Bevor sie ihre „Statements“ bzw. „Keynotes“ abgaben, besuchten die Konferenzteilnehmer drei Berliner „Commons“-Projekte: die „Ambulante Krankenpflege“ (AKB) in Schöneberg, die Kreuzberger Genossinnenschaft „Schokofabrik“ und die „Nicht-Kommerzielle Landwirtschaft ‚Karlshof'“ (NKL) in ihrem Kreuzberger „Kartoffel-Café“. Das sind an einem kleinen Punkt – in Berlin und Brandenburg – drei marktwirtschaftssystemüberwindende Maßnahmen.
Die Kongreß-Organisatorin Silke Helfrich ist optimistisch, dass solche und ähnliche „Projekte“ gewinnen werden: „Die Commons bieten die Chance, den ökonomischen, sozialen und zivilisatorischen Krisen sowie der Umwelt-Krise entgegen zu treten“. Nicht wenige Konferenzredner sprachen von einem „Transformationsparadigma“, einem „Paradigmenwechsel“ und einem „New Narrative“. Ein Sprecher der „Commons Strategies Group“, David Bollier aus Amherst, äußerte die Hoffnung, dass die Berliner „Commons“-Konferenz rückblickend als der „historische Moment“ gelten werde, da „diverse global corps of commoners“ sich eine neue Weltsicht wiedereroberten – indem sie ein reicheres, komplexeres „Set von Bedeutungen“ entwickelten.
Silke Helfrich strich die Attraktivität des „Common“-Begriffs heraus: „Er bietet jedem etwas – den Liberalen die individuelle Freiheit, den Konservativen die Bewahrung des Vorhandenen und den Anarchisten die Selbstorganisation“. Die 150 angereisten „Commoners“ waren sich erst einmal noch über die Beziehungen der Allmende zum Staat und zur Marktwirtschaft uneinig, ebenso über die Frage, ob das Gemeineigentum feste „Rules and Regulations“ brauche oder diese immer wieder neu verhandeln – „commonizieren“ – solle. Immer mehr US-Universitäten, auch Wirtschaftsfakultäten und sogar UNO-Organisationen bieten unterdes „Commons“-Kurse an. Es gibt ferner eine wachsende Zahl von „Commons“-Forscher und -Berater sowie -Publikationen. Hierzulande versprechen die Grünen, sich für die „Common“-Idee stark zu machen. James Bernhard Quilligan vom „Global Commons Trust“ und Mitarbeiter des unbescheidenen US-„journal for world citizens creating the new civilisation: Kosmos“ wies darauf hin, dass bisher alle großen Ökonomen – einschließlich Marx – „das Gemeineigentum ignoriert“ hätten.
Marx war jedoch gar kein Ökonom und hat sich deswegen auch ausgiebig mit der Allmende beschäftigt, dafür sogar extra Russisch gelernt, denn in Russland gab es jahrhundertelang dörfliches Gemeineigentum. Die „Obschtschinas“, wie sie hießen, könnten laut Marx quasi direkt vom Urkomunismus in den Komunismus springen, wenn eine proletarische Revolution ihnen rechtzeitig entgegenkomme – bevor sich die Dorfgemeinschaften infolge ihrer kapitalistischen Durchdringung wie in Europa zersetzen, d.h. in immer weniger werdende Privateigentümer zerfallen. Die „Obschtschinas“ wurden erst nach der Russischen Revolution zerstört, indem der Staat sie durch Kolchosen ersetzte. Nach Auflösung der Sowjetunion enstanden jedoch jede Menge neue von unten. Die „Heinrich Böll Stiftung“ setzte nun jedoch bei ihrer Konferenzplanung eher auf westliche „Commons“, wobei zwischen „indigenen“, „urbanen“ und „digitalen“ unterschieden wurde. Der südafrikanische Aktivist Richard Pithouse fügte hinzu: „Wir müssen auch die einst durch die Auflösung qua Einhegung der Allmende Verarmten mobilisieren, d.h. die Konfrontation mit Staat und Kapital wagen“. Silke Helfrich erinnerte daran, dass auch der Widerstand der Bürger gegen „Stuttgart 21“ ein Kampf gegen „die Erosion der Commons“ sei. Und auch schon, so darf man vielleicht ergänzen, das Abernten der Obstbäume an den Landstraßen sowie das Bepflanzen der Baumscheiben in der Stadt, wie es massenhaft in und um Berlin geschieht.
Pollerreihe auf Kuba. Alle Photos: Peter Grosse
Anmerkung:
(1) Sie geht auf die „68er“ zurück: „Der Nihilismus hat dem ganzen Leben der gebildeten Klassen einen neuen Ausdruck verschafft“, schrieb der Anarchist Fürst Kropotkin Ende des letzten Jahrhunderts. Wenn wir uns dieser Bewegung, die mit den russischen Studentenunruhen 1868 anhub und bald tausende und abertausende junger Leute erfaßte, erneut zuwenden, sind wir erstaunt über ihre Aktualität. Nicht nur erlebte dieser russische Nihilismus hundert Jahre später eine exakte Neuauflage – bis hin zu seinen Ausläufern im Terrorismus, zudem er erfaßte auch die jungen Leute in Ost und West gleichermaßen, d.h. sie zogen aufs Land, erlernten handwerkliche Berufe, bildeten Gruppen und bemühten sich um einen anderen Umgang miteinander – in Kreuzberg wie im Prenzlauer Berg, um nur die zwei Ausläufer in Berlin zu nennen. Bevor diese Bewegung hierzulande weiter anschwellen konnte, wurde die Mauer geöffnet und alles ging nach einem kurzen Frequenztaumel unter. Ich erinnere mich noch, wie die nomadische Nihilisten-Gruppe „Feeling B“ Gregor Gysi vor laufender Kamera bestürmte, die Mauer wieder zu zu machen, sonst sei alles zu spät – zu Ende. Und recht hatten sie! Das nach wie vor Aktuelle am Nihilismus sind seine Werte, die Rechte des Individuums, die nichts mit Amerikanismus zu tun haben, im Gegenteil: Es geht dabei nicht um Selbstverwirklichung, sondern um Auslöschung. „Zuvörderst erklärte der Nihilist den Krieg gegen alles, was man ‚die konventionellen Lügen der zivilisierten Gesellschaft‘ nennen kann“ – das hieß unbedingte Aufrichtigkeit, bis zur äußeren Rauheit (wenn man z.B. jemanden nicht leiden kann, lächelt man ihn auch nicht an!), Ablehnung jeder Heuchelei und Sentimentalität, die sich so gut mit allen unmittelbaren Alltags-Sauereien um einen herum verträgt, Verachtung des ganzen Kunstgeschwätzes („Ein paar Stiefel ist mehr wert als alle eure Websites!“), Verachtung jeder Schauspielerei, keine Ehe ohne Liebe, keine Vertrautheit ohne Freundschaft, unbedingte Wahrheitsliebe usw. Und was die Ökonomie – das Herzstück – der Bewegung betrifft: „Mit Erstaunen erfuhr das ganze Rußland aus der Anklageschrift gegen Dmitry Karakosov und seine Freunde, daß diese jungen Männer, die über ein beträchtliches Vermögen verfügten, zu dreien oder vieren in einem Zimmer wohnten, mit je zehn Rubeln monatlich ihren ganzen Unterhalt bestritten und dabei ihr Vermögen für kooperative Genossenschaften, kooperative Werkstätten, in denen sie selbst mitarbeiteten, hergaben“.
Die meisten jungen Leute gingen als Ärzte, Hebammen, Heilgehilfen, Lehrer, Dorfschreiber, selbst als landwirtschaftliche Arbeiter, Schmiede, Holzfäller etc. – ins Volk („V narod“). Gleichzeitig bildeten sie überall kleine autonome Gruppen – zum Selbstunterricht. „Das geringste Anzeichen von Unaufrichtigkeit oder Ehrgeiz hätte die Aufnahme (darin) unmöglich gemacht…Sie theoretisierten nicht über den Sozialismus, sondern waren Sozialisten geworden, indem sie dasselbe dürftige Leben wie die Arbeiter und Bauern führten, indem sie in ihren Kreisen keinen Unterschied zwischen ‚mein und dein‘ machten..“ Schon bald wurden sie allesamt als „Staatsfeinde“ verfolgt – ein Mädchen brauchte bloß kurzgeschnittene Haare tragen und eine blaue Brille oder ein Student im Winter ein schottisches Plaid – schon galten sie als „politisch unzuverlässig“. Abgesehen von den Gefängniserfahrungen, die sie zu tausenden machten, galt es auch – Kropotkin selbst ist dafür das beste Beispiel – jeden Karrieransatz im entscheidenden Augenblick nach unten (!) zu knicken – also seine Chancen gerade nicht zu ergreifen, alle glänzende Gelegenheiten zu ignorieren, kurzum: das biographisch-zivilisatorisch Naheliegende stets auszuschlagen. Wobei den Frauen hier eine herausragende Bedeutung zukam. Es ist gesagt worden, daß man allein mit den Grabsteinen der im Verlaufe der Bewegung ins Volk durch polizeiliche Verfolgung umgekommenen jüdischen jungen Frauen die Straße von Petersburg nach Paris hätte pflastern können. Im Endeffekt unterschied sich das russische Verständnis von Ehe und Mann-Frau-Verhältnis von allen anderen europäischen, wie bereits Turgenjew und Kropotkin bemerkten.
Im Zuge der neuerlichen „68er-Bewegung“ im 20.Jhd., diesmal vor allem im Westen, haben Philosophen wie Foucault, Barthes und Blanchot erneut das in Russland einst vorgedachte und -experimentierte Konzept der „Freundschaft“ diskutiert, wobei sie sich von George Bataille inspirieren ließen, der die Freundschaft im Anschluss an Marcel Mauss als eine Beziehungsform der Gabe begriff, die die „begrenzte Ökonomie“ des Vertrages überwindet. 2008 hat der Soziologe Heinz Bude in der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung ihre Diskussion unter dem Titel „Die Aktualität der Freundschaft“ zusammengefaßt.
Brunnen der Freundschaft, Moskau. Auf 16 Pollern stehend repräsentieren Frauen in Landestracht die Sowjetrepubliken