vonHans Cousto 14.10.2010

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Im Juni 2009 rief die EU-Kommission dazu auf, bis zum Jahr 2012 ein rauchfreies Europa zu schaffen.  Die Europäische Kommission hatte nach ausführlichen Konsultationen am 30. Juni 2009 einen Vorschlag für eine Empfehlung des Rates angenommen, in der alle Mitgliedstaaten dazu aufgerufen wurden, bis zum Jahr 2012 Gesetze zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger vor Tabakrauch zu erlassen. Rauchen verursacht gemäß Angaben der damals zuständigen EU-Kommissarin Androulla Vassiliou für Gesundheit die meisten vorzeitigen Todesfälle und Krankheiten in der Europäischen Union.  Konservativen Schätzungen zufolge starben 2002 in der EU 79.000 Erwachsene, darunter 19.000 Nichtraucher, aufgrund der Belastung durch Tabakrauch zu Hause (72.000) oder am Arbeitsplatz (7.300). Die für Gesundheitsfragen zuständige EU-Kommissarin Androulla Vassiliou erklärte seinerzeit in einer Pressemitteilung von 30. Juni 2009: »Ich bin fest davon überzeugt, dass jede Europäerin und jeder Europäer umfassend vor Tabakrauch geschützt werden muss. Es gibt massive Unterstützung durch die Öffentlichkeit, und wir werden mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um dies Wirklichkeit werden zu lassen.«

Im Oktober 2010 kam das Rauchverbot wieder auf dem Präsentierteller europäischer Medien daher. Die EU-Kommission macht sich Sorgen um die Gesundheit seiner europäischen Bürger, die sie überwacht und bestimmt. Sie will das EU-Rauchverbot verstärken. Die EU will im kommenden Jahr die Gesetze bezüglich des rauchens massiv verschärfen. »Ziel der neuen Gesetzgebung für Tabakprodukte wird sein, Rauchen in allen EU-Ländern weniger attraktiv und weniger gesundheitsschädlich zu machen«, sagte der zuständige EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, John Dalli, 62, der WELT am 11. Oktober 2010. »Wir müssen unsere Bemühungen im Kampf gegen das Rauchen verstärken. Das Ideal ist ein rauchfreies Europa«, sagte der konservative Politiker aus Malta.

Selbstverständlich haben die EU-Kommissare mit diesem Gesetz die Kostenexplosion im Krankensystem vor Augen. Den Angaben des Kommissars zufolge sterben jährlich 650.000 Europäer an den Folgen des Rauchens. Außerdem produzierten Raucher erhebliche Kosten: »Rauchen kostet die Wirtschaft wegen höherer Krankenstände Produktivität und belastet die Gesundheitssysteme jedes Jahr mit Milliarden-Beträgen.« Besonders besorgt zeigte er sich über den Tabakkonsum jüngerer Menschen, »35 Prozent der Jugendlichen in der EU rauchen.«

Gemäß John Dalli ist die Zahl der durch das Rauchen bedingten Todesfälle in der EU mehr als achtmal so groß wie gemäß den Angaben seiner Vorgängerin im Amt, Androulla Vassiliou. Hier scheinen wohl eher spekulative als real erwiesene Zahlen im propagandistischen Programm zu sein. Doch wenn die Zahlen von John Dalli stimmig sein sollten und wenn es den Tatsachen entspricht, dass Raucher im Schnitt zehn Jahre früher sterben als Nichtraucher, wie man oft in den Massenmedien vernehmen kann, dann würden in zehn Jahren, wenn es keine Raucher gäbe, 6,5 Millionen EU-Bürger zusätzlich eine Rente oder Pension beziehen. Bei einer Rente und/oder Pension in Höhe von 833,33 Euro pro Monat respektive 10.000 Euro pro Jahr, müßten die Rentenkassen und Pensionsfonds pro Jahr 65 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen. Andererseits würden für den Fiskus die Tabaksteuern wegfallen. Allein in Deutschland müßte der Fiskus mit Mindereinnahmen von 13 Milliarden Euro pro Jahr rechnen. Ob ein Rauchverbot für die Kassenlage in den EU-Ländern wirklich günstig sein wird, scheint äußerst fraglich zu sein.

Krieg, Ostfront und Antiraucherkampagnen

Anti-Tabak-Bewegungen entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern, hatten aber mit Ausnahme Deutschlands, wo die Kampagne von der Regierung unterstützt wurde, wenig Erfolg. Die Bewegung gegen das Rauchen in Deutschland respektive die Maßnahmen gegen das Rauchen im NS-Staat waren in den 1930ern und 1940ern die stärksten der Welt. Die nationalsozialistische Führung missbilligte den Tabakkonsum und mehrere Mitglieder der Staatsführung kritisierten öffentlich den Konsum von Tabak. Untersuchungen der Wirkung des Rauchens auf die Gesundheit wurden zur Zeit des Nationalsozialismus gefördert und waren zu der Zeit die bedeutendsten ihrer Art.

Am 22. April 1939 wurde Dr. Leonardo Conti von Adolf Hitler zum Reichsgesundheitsführer ernannt. Conti reorganisierte die nationalsozialistische Drogenpolitik neu. Am 12. Juli 1939 rief er bei einer Tagung im Berliner Ärztehaus die neue »Reichsstelle gegen die Alkohol- und Tabakgefahren« ins Leben. Conti unterstrich bei seiner Eröffnungsrede vor der Reichsstelle die »Schädlichkeit der Genußgifte« Alkohol und Tabak. Er verneinte das »Recht auf den eigenen Körper« und betonte stattdessen für den Einzelnen, die »Pflicht, soviel es an ihm liegt, alles zu tun, gesund zu sein und zu bleiben.« Darüberhinaus forderte er ein Rauchverbot für Jugendliche. Am 26. Mai 1939 setzte Conti eine »freiwillige Selbstbeschränkung« für die Werbewirtschaft betreff Alkohl und Tabak durch, wobei er auch die Tabakautomaten ins Visier nahm. Anfang Januar 1941, nachdem bereits Tabakwerbung in den Textteilen von Zeitungen und Zeitschriften und die Filmreklame verboten worden waren, wurde die Tabakwerbung in Verkehrsmitteln stark eingeschränkt und in der Folge ganz verboten. In der Hitlerjugend wurde die Abgabe von Tabak an Jugendliche unter 18 Jahren untersagt.

Kurz vor dem 2. Weltkrieg wurde die Antiraucherkampagne ins Leben gerufen und je weiter die Ostfront gen Osten rückte, umso stärker wurde sie intensiviert. Gegen Kriegsende hatte man andere Sorgen und man hörte kaum noch was von der Antiraucherkampagne. Die Kampagne war jedoch gut geeignet, um die Aufmerksamkeit der Leute vom Kriegsgeschehen abzulenken und das Interesse auf die Volksgesundheit zu konzentrieren. Nach dem Krieg war Rauchen wieder »normal« und gesellschaftlich akzeptiert. Dies galt bis zur Regierungszeit von Dr. Helmut Kohl (CDU), der mehrfach versicherte, es heiße nicht »Germans to the front«. Als Rot-Grün Ende der 90er Jahre die Regierungsgeschäfte übernahmen, hieß es auf einmal weider »Germans to the front« und gleichzeitig wurden wieder Antiraucherkampagnen gestartet. Derzeit verläuft die Ostfront am Hindukusch und die Kampagne wird mit einer zuvor noch nicht gekannten Vehemenz geführt. Da drängt sich die Frage auf, ob der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, John Dalli, sich hat instrumentalisieren lassen, um mit der Kampagne die Aufmerksamkeit der Leute vom Kriegsgeschehen abzulenken und auf die Aspekte der Volksgesundheit zu bündeln. Neu in der Geschichte wäre diese Phänomen nicht.

Vergl. hierzu: Tilmann Holzer: Die Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene, Mannheim 2007, ISBN: 978-3833490149

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/generelles_rauchverbot_in_der_eu/

aktuell auf taz.de

kommentare