Im kleinen „Le Grand Magasin“ werden u.a. auch Schuhe verkauft, z.B. leichte Damenschuhe für 17 Euro von der slowakischen Genossenschaft Cil in Prostejov. Es geht der Genossenschaft angeblich nicht gut, der Absatz ihrer Produkte ist nicht so, wie er sein müßte.
Das hat auch etwas damit zu tun, dass vor allem Turnschuhe gekauft werden.
Hier folgen die letzten Schuhgeschichten:
Historischer Schuhwurf
Der Journalist Muntaser el Saidi machte Geschichte, als er den US-Präsidenten George Bush Jr. auf einer Pressekonferenz in Bagdad mit einem Paar Schuhe bewarf und ihn als „Hund“ beschimpfte. Er wurde verhaftet. Seine Berufskollegen sind sich nicht einig: Während die einen ihn danach beglückwünschten und seine Freilassung forderten, bezeichneten andere sein Verhalten als „unprofessionell“. „Der Schuh ist auf dem besten Weg, das Symbol antiamerikanischen Ressentiments im Irak zu werden,“ schreibt dazu die FAZ, und fügt, ebenso wie die SZ, hinzu: „Die Schuhsohle ist für Muslime unrein, deshalb eine beliebte moralische Waffe. Im April 2003 wurden bereits die Denkmäler Saddam Husseins mit Schuhen behängt.“
Berliner Schuster
Die Schuhmacher gehörten immer zu den Radikalsten; aus diesem Beruf gingen die meisten Philosophen, Agitatoren und Terroristen hervor. Daher auch die obrigkeitliche Warnung: „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ Doch die industrielle Revolution drängte den Schuster langsam an den Rand der Arbeiterbewegung, und all die exproletarischen Men-in-Sportswear-Banden, im Verein mit dem bundesdeutschen Turnschuhminister und der „Sneakergeneration“, ließen ihn fast verstummen. Zwar gibt es noch immer 146 Schuster in Berlin. Aber in der einst berüchtigten Innung, die bereits 1284 gegründet worden war, sind nur noch 58 Mitglieder. Noch weniger, nämlich 40 Mitglieder, hat heute die Innung für Orthopädie und Schuhtechnik, die sich 1950 abspaltete. Damals sorgten die vor Stalingrad abgefrorenen Zehen für einen Orthopädieboom, den die Krankenkassen finanzierten. Auch heute gibt es wieder vermehrt Fußkranke. Der Grund dafür liege jedoch bei den miesen Modeschuhen und den Plateausohlen, wie mir der computergestützte Orthopäde Herr Friedrich erklärte, dessen Kreuzberger Geschäft in der Skalitzerstraße untergebracht ist. Schräg gegenüber betreiben zwei Frauen eine Schusterei: „Meier und Schöpf“. Ein Paar Maßschuhe kostet bei ihnen ab 1.600 Mark. Die Großmutter der Meisterin kam aus Weißrussland und sie weiß, dass sich in Berlin zunehmend weißrussische Flickschuster niederlassen. Das weiß auch die Innung, die dazu erklärt, dass es für diese Emigranten „der einfachste Weg ist, sich selbstständig zu machen. Von den jungen Leuten will das ja heute keiner mehr machen.“
Der Schusterberuf ist nicht mehr attraktiv. Einst übten ihn auf dem Land oft körperlich schwache oder verkrüppelte Männer aus. Bei dieser geräuscharmen, sitzenden Tätigkeit konnten sie diskutieren und sich weiterbilden. Manche Schuster beschäftigten sogar Vorleser, und oft waren sie noch nebenbei Dorfschreiber. Ende des 18. Jahrhunderts scheinen sie „eine regelrechte innere Berufung zur Revolution gehabt zu haben“, wie der Historiker Richard Cobb meint, und nicht wenige wurden berühmt: John Adams, Thomas Dunning, John Brant . . .
Karl Marx lobte wiederholt Wilhelm Weitling und Stalin den gelernten Schuster Ceauscescu. Die DDR setzte einigen von ihnen ein Denkmal, als sie ihre Produktionsgenossenschaften nach berühmten Schustern benannte: Hans Sachs und Jakob Böhme zum Beispiel. Erstere ging in der Wende pleite, Letztere ist dafür heute eine große GmbH mit zentraler Reparaturstätte – und 85 Mitarbeitern. In Odessa sind die Schuster alle Griechen und in Moskau Tartaren. In Berlin werden jetzt die Schustereien in der Zeitung Russkij Berlin vor allem Weißrussen angeboten. Davor hatten die in Rente gehenden deutschen Schuster ihre Läden meist Türken übergeben. Letztere brauchten keine Meisterprüfung abzulegen, wenn sie sich auf die Reparatur der Außenschuhe beschränkten. Von dieser Regelung profitierten dann auch und vor allem die „Mister Minit“-Läden und ihre Subunternehmer, die neben der „Absatzbar“ noch einen Schlüsseldienst betreiben – und hauptsächlich mit Superexpresskleber arbeiten, wie Frau Schöpf abschätzig meint. Im Übrigen befürchtet sie, dass wegen der vielen irreparablen „Schuhe aus einem Guss“ in nächster Zeit noch viel mehr Schuster eingehen werden. Die Kunden von „Meier und Schöpf“ kommen inzwischen aus ganz Berlin. Inklusive Leistenbauen brauchen die beiden Frauen für ein Paar Schuhe 80 bis 100 Stunden; die Materialkosten machen etwa 15 Prozent bei der Herstellung aus. Die Lederpreise sollen demnächst steigen: wegen des Rinderwahnsinns, lautet seltsamerweise die Begründung. Andererseits kommt das meiste Leder aus Asien, und deswegen argumentiert man auch gerne mit den großen Überschwemmungen dort.
Es gibt drei Lederhändler in Berlin, dazu noch drei Großhändler für Schusterbedarf. Erwähnt seien noch die ganzen Verkäuferinnen in den Schuhläden, die sich an manchen Tagen schon die Füße in den Bauch stehen. Mitte der Neunziger gab es bereits eine erste große Fusionswelle, die zur Entlassung vieler älterer blonder Schuhverkäuferinnen führte, von denen eine Gruppe nun nebenbei anschaffen geht. Mit den steigenden Schuh- und Taschenpreisen wird es zu weiteren Ladenschließungen kommen, meinte gerade Innungsmeister Jacubowsky in der BZ: „Die Situation hat sich verschärft.“ Regelmäßig versammelt sich dessen ungeachtet die gesamte Branche im „ARD-Hauptstadtstudio“, wo die Preisträger eines Wettbewerbs der Schusterinnung geehrt und ihre Werke vorgeführt werden. So hoch wie zur 700-Jahrfeier 1984 geht es dort aber seitdem nicht mehr her. Der Schuster ist schon lange nicht mehr die „Schlüsselfigur“ des intellektuellen und politischen Lebens auf dem Land – viel weniger in der Stadt, wie Eric Hobsbawm schreibt, der den Beruf in seiner schönen Aufsatzsammlung „Ungewöhnliche Menschen“ ehrte.
Die Schuhe im Posttotalitarismus
Als Aushilfshausmeister ist man u.a. auch für die Ordnung und Sauberkeit auf dem Hof zuständig, wo acht Müllcontainer stehen, aber manchmal doch was danebengeworfen wird. Gestern fand ich – bereits zum vierten Mal – ein Paar Schuhe dort: Damenschuhe. Auf solche stößt man auch bei Spaziergängen im Wald oder in Parkanlagen immer wieder. Eigentlich gibt es nur eine Erklärung dafür: Da wurde eine Frau bedrängt – und um sich dem schneller, durch Flucht, zu entziehen, entledigte sie sich ihrer unbequemen Stöckelschuhe.
Apropos: An anderer Stelle hatte ich bereits erwähnt, dass die kollektiv zusammenarbeitenden Rinderzüchterinnen in der Wüste Gobi mich wegen ihres selbstbewußten Auftretens kürzlich außerordentlich beeindruckten. Man hätte am Liebsten sofort mit ihnen Pferde stehlen mögen. Was ich nicht erwähnte, war, dass die Frauen dort fast alle vornehme hochhackige Damenschuhe trugen auf denen sie durch die Wüste stakelten – zu ihren Meetings in der „Community-Jurte“. Später besuchte unsere Reisegruppe eine Frauen-Genossenschaft, die u.a. Filzstiefel herstellt.
Wieder zurück in der Heimat stellte ich fest: Es gibt nun immer mehr Schuhmuseen: in Weißenfels, in Hauenstein, in Offenbach (das zuletzt die Schuhe von Guido Westerwelle erwarb); ferner eins in Florenz vom Schuhfabrikanten Ferragamo, in Zlin von der Bata-Dynastie, in Schönenwerd von Bally, und auf der Vogelinsel vor Neuwerk sammelt der Vogelwart alle angeschwemmten Badelatschen.
Daneben werden auch noch in den diversen „Museen des Kommunismus“, „der Okkupation“ und den „Gedenkstätten des „Totalitarismus“ bzw. „Faschismus“ gerne Schuhe ausgestellt: Im Warschauer Museum des Kommunismus ist es ein Paar linke Schuhe. Dazu wird erklärt, dass es sich dabei um eine Prämie handelt, mit denen in den Fünfzigerjahren Arbeiter des Stahlwerks „Warszawa“ ausgezeichnet wurden.
Im Eisenhüttenstädter Zentrum für DDR-Alltagskultur ist es ein Paar rote Damenschuhe, die in der DDR für den westdeutschen Konzern Salamander produziert wurden: So wie heute fast alle Schuhe in Billiglohnländern gefertigt werden.
Im Okkupationsmuseum von Tallin ist es ein Paar zerfetzte Schuhe – mit denen ein einst nach Deutschland verschleppter Este wieder in seine Heimat zurückkehrte.
In Riga ist es ein paar rote Filzstiefel – mit denen ein nach Sibirien verbannter Lette sich wieder nach Hause schleppte.
Im Moskauer Weltraummuseum sind die silbernen Kosmosstiefel von Juri Gagarin ausgestellt und im dortigen Revolutionsmuseum ein Paar Bastschuhe, das zeigen soll, wie arm die Bauern vor der Kollektivierung waren.
Im Gulag-Museum von Perm-36 ist es ein mit Draht zusammengehaltenes Paar Halbstiefel, das von einem Häftling getragen wurde.
Im Marikina Museum von Manila sind dreihundert edle Damenschuh-Paare ausgestellt, die der Diktatorengattin Imelda Marcos gehörten. Sie hat das Museum sogar selber eingeweiht. In Amerika sagt man angesichts einer solchen Sammelmacke bereits: „that’s imeldas!“.
Im Revolutionsmuseum von Havanna sind die Schuhe und Socken, die Ché Guevara zuletzt trug, aufbewahrt.
Im Saigoner Museum für Ho Chin Minh sind dessen aus Autoreifen geschnittene Sandalen ausgestellt.
Ähnliche gibt es dutzendweise auch im Foltermuseum von Pnom Penh zu sehen – ohne Kommentar.
In Auschwitz hat man gar einen Haufen mit tausenden von Schuhen ausgestellt, die von ermordeten KZ-Häftlingen stammen: Im Internet gibt es allein dazu inzwischen 39.000 Eintragungen.
Die meisten dieser Gedenkstätten mit Schuhexponaten sind in einer „Internationalen Koalition der Gewissens-Museen“ zusammengeschlossen. Der postkommunistische kroatische Philosoph Boris Buden hält all das für eine bedenkliche postmoderne Verkultivierung von Geschichte, Ökonomie und Politik, die bloß anzeigt, dass die Zeit zum Stillstand gekommen ist. Die Betrachtung der Schuhe in den Museen des Kommunismus, mindestens der zwei linken in Warschau, mündet dafür aber für Buden am Ende immerhin in eine Moral: „Frag nie: Wer ist diese unterdrückte, hilflose, bemitleidenswerte Kreatur, die in den Schuhen des Kommunismus herumirrte? Du bist es! Du schreitest, hier und jetzt, in den Schuhen des Kommunismus!“ – Obwohl man damit, wie gesagt, eigentlich gar nicht richtig vom Fleck kommt!
Fuß und Schuh – eine Einheit
Stellen Sie sich vor, dass Sie sich ein paar neue Schuhe kaufen und anfangen, diese wieder und wieder zu tragen. Ein Jahr später werden sich Ihre Füße und der Zustand Ihrer Schuhe unvermeidlich verändert haben, sie sind nicht mehr dieselben; die Schuhe sind viel bequemer geworden und haben sich doch nicht in irgendeiner Weise mit ihren Füßen vermischt, sondern Schuhe und Füße sind nach wie vor als getrennte und geschlossene Entitäten existent. Sie besitzen eine klar erkennbare Grenze, sind keineswegs füreinander durchlässig geworden. Die Bequemlichkeit, die sich aus der fortwährenden Benutzung der Schuhe ergeben hat, resultiert nicht aus einer Öffnung der Systeme, sondern ereignet sich schlicht und einfach in einem anderen Bereich.
Zentral ist, dass Fuß und Schuh eine plastische, eine veränderbare Struktur besitzen. Sie transformiert sich in Abhängigkeit von den rekurenten und rekursiven Interaktionen – und ebendeshalb können sich Fuß und Schuh gemeinsam und in wechselseitiger Übereinstimmung im Laufe der Zeit verwandeln. Der Grad der Kongruenz nimmt zu. Allerdings setzt diese wechselseitige Veränderung voraus, dass man die Schuhe mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit benutzt und sich ein Gefühl der Bequemlichkeit einstellt, das einen dazu einlädt, sie immer wieder anzuziehen. Ich behaupte nun, dass man nicht nur die Interaktion von Fuß und Schuh, sondern auch die Begegnung von Menschen oder anderen Lebewesen in dieser Weise beschreiben kann. Die kongruenten Verwandlungen sind – das ist das ganze Geheimnis – das schlichte Resultat von rekurrenten oder rekursiven Interaktionen von Systemen; diese Interaktionen lösen wechselseitig strukturelle Veränderungen aus, die jedoch mit einem Erhalt der Organisation der Systeme einhergeht. (Humberto R. Maturana in: „Vom Sein zum Tun“, Gespräche mit Bernhard Pörksen)
Mail aus Manila
3.000 Paar Schuhe? 4.000 Paar Schuhe? Je länger das Marcos-Regime zurückliegt, desto sagenhafter wird die Zahl der Schuhe, die Imelda Marcos besessen haben soll. Selbst wenn man sonst überhaupt nichts über die Philippinen weiß, eines weiß man auf jeden Fall: Die Frau des ehemaligen Diktators hatte un-glaublich viele Schuhe. In dem Film „Imelda“ von Ramona Diaz fährt die Kamera an Vitrinen voller Pumps entlang, die alle auf der Innensohle den Namen der ehemaligen First Lady der Philippinen in goldenen Buchstaben eingeprägt haben. Sie stehen heute in einem Museum in Manila. Die Dokumentation, die im vergangenen Jahr beim amerikanischen Sundance-Filmfestival ausgezeichnet wurde, ist nun auf den Philippinen gestartet und hat eine heftige Diskussion ausgelöst. Imelda Marcos versuchte, den Film gerichtlich verbieten zu lassen. Verschwörungstheoretiker – mit denen die Philippinen reich gesegnet sind – glauben allerdings, dass sie den Konflikt nur suchte, um Vorab-PR für ihre Autobiografie zu generieren, die demnächst in England erscheinen soll. Denn schnell kapitulierte die Marcos mit der süffisanten Bemerkung, jeder habe eben das Recht auf seine eigene Weltsicht.
Und die darf sie in dem Film ausführlich und unwidersprochen ausbreiten. Imelda Marcos darf reden. Und reden und reden und reden. Über ihre Version des Marcos-Regimes (Es hat keine politischen Gefangenen gegeben, und sie selbst wollte sowieso immer nur das Beste für alle. Folter? Nie gehört!). Über den Anschlag, den sie mit elf Messerschnitten am ganzen Körper überlebte („Wenn ich schon mit so einem hässlichen Bolo-Messer erstochen werde, dann hätten sie wenigstens ein gelbes Taschentuch darumbinden können.“). Oder ihre Ansichten über Schönheit: „It is easy to be beautiful, because it is natural.“ Makellos geschminkt und frisiert und immer mit einem über die Schulter geworfenen Seidenschal angetan, sitzt sie vor der Kamera und erzählt mit Grandezza aus ihrem Leben. Das Publikum amüsiert sich über ihre ehemalige First Lady königlich. Die Journalisten, die im Film von der Folter unter Marcos‘ berichten, wirken gegen sie irgendwie sauertöpfisch. Mit ihrer Vorliebe für großes Pathos, Melodrama und Talmi appelliert Imelda Marcos an ein unausgesprochenes Einverständnis mit ihren Landsleuten, an die „Imelda in uns allen“, wie es die Zeitung Philippine Star nannte.
Diese Mentalität bringt bis heute allerhand schillernde Gestalten zu politischen Ämtern. Überdurchschnittlich viele philippinische Politiker sind ehemalige Schauspieler – zum Beispiel der frisch in den Senat gewählte Schauspieler Lito Lapid. Der möchte allerdings sein Amt gar nicht erst antreten. Lieber will der Actionstar die Hauptrolle in einem Biopic über Angelo de la Cruz, den im Irak entführten und mit Enthauptung bedrohten philippinischen Lastwagenfahrer, spielen. Von ähnlich bizarrem Kaliber ist der Parteilose Elly Pamatong, der im Wahlkampf mit dem Versprechen antrat, die Philippinen zum 51. Staat der USA zu machen. Jetzt hat er angeboten, 50 seiner Bodyguards in den Irak zu schicken, um das abgezogene philippinische Kontingent zu ersetzen.
Von Imelda können sie sich freilich alle noch etwas abschauen. Wenn sie im Mausoleum neben dem einbalsamierten, blau angestrahlten Leichnam ihres Mannes schluchzt, dann herrscht im Publikum betroffenes Schweigen. Solche Szenen kommen an in einem Land, in dem das Fernsehprogramm zu einem großen Teil aus Klatschsendungen besteht, in denen Schlagersänger und Showsternchen coram publico ihre schmutzige Wäsche waschen. Gefragt, was auf ihrem Grabstein stehen soll, antwortet sie: „Here lies love.“ Dann sind ihre Verbrechen und die 150 Gerichtsverfahren, die noch gegen sie laufen, vergessen. Vergessen auch die Steuerschulden in Dollarmillionenhöhe, die sie dem Finanzamt schuldet und die sie angeblich nicht von den 90 Peso Rente bezahlen kann, die sie als Witwe eines Kriegsveteranen monatlich bekommt.
Und die Schuhe? Laut Imelda waren es nur 2.000. Hinter vorgehaltener Hand erzählt die Wärterin des Museums, in dem die Schuhe heute sind, heimlich habe sie auch schon ein Paar anprobiert. Sie holt die beiden Schuhe aus dem Regal, streichelt über das silberne Leder und lächelt wehrlos in die Kamera. (von Tilman Baumgärtel in der taz)
Schuh and the City
„Verrückt nach Clara“ dreht sich um eine Thirtysomething-Journalistin mit Schuhtick. Und alles, alles ist geklaut.
Eine moderne Frau Ende 20 ist meist Single, kauft für ihr Leben gerne Schuhe und vergreift sich bei Kummer an überdimensionalen Double-Chocolate-Brownies. Ihr Liebesleben – es geht natürlich um die Suche nach dem perfekten Mann – ist äußerst kompliziert und chaotisch und wird wahlweise mit der besten Freundin oder dem schwulen besten Freund besprochen.
Klingt irgendwie bekannt? So nach US-Kultserien wie „Sex and the City“ oder der schon 2005 versendeten ProSieben-Adaption „Alles außer Sex“, die ziemlich floppte? Stimmt. Doch beim „We love to entertain you“-Kanal (ProSieben-Eigenwerbung) haben sie weiteren Bedarf an sexy Liebesgeschichten mit weiblicher, unter Schuh-Fetisch-leidender Protagonistin in bezaubernder Großstadtkulisse ausgemacht. Heute Abend läuft also „Verrückt nach Clara“. In acht Teilen wird das bewegte Leben der 29-jährigen Journalistin Clara Scheller geschildert. Clara (Julia-Maria Köhler) ist jung, attraktiv und lebt in der zumindest im Fernsehen überaus glamourösen Metropole Berlin. Sie teilt sich ihre Wohnung – klischeesicher ein Altbau in Berlin-Mitte – mit dem gut aussehenden Paul (Sascha Göpel). Der ist schwul, und beide arbeiten bei demselben hippen Hochglanzmagazin, für das die modebewusste Großstädterin Clara eine wöchentliche Gesellschaftskolumne schreibt. Bei den Kollegen geben sie vor, ein Paar zu sein: Clara, damit nicht jeder ahnt, dass sie Single ist. Und Paul, weil niemand wissen soll, dass er auf Männer steht. Doch eigentlich sind beide nur auf der Suche nach Mr. Right, „einem testosterongesteuerten Prachtexemplar“, wie es die verträumte Clara in einem ihrer forscheren Momente formuliert.
Wenn Clara nicht gerade arbeitet, sitzt sie also in gestylten Cafés und beobachtet Männerpos, schaut Popcorn-essend Liebesfilme mit Paul, heult sich bei ihrer besten Freundin über ihr Liebesleben aus oder frönt ihrer wahren Leidenschaft, der Jagd nach Schuhen. Erzählt wird all das als innerer Monolog im Stil eines Tagebuches, wie ihn schon „Sex and the City“-Kolumnistin Carrie pflegte. Dabei kommen allerdings derart erhellende Offenbarungen heraus, dass das amerikanische Vorbild nicht mithalten kann: „Für ein Stadtmädchen wie mich sind zwei lila Wildledersandalen, die man aus ihrem Seidenpapier befreit, wie die ersten Schmetterlinge, die man im Frühjahr sieht.“ Dass bei so viel TV-Lyrik auch der Serientitel eher schlicht aus der Filmwelt USA („Verrückt nach Mary“) geklaut ist, wundert da kaum. Eher schon, dass „Verrückt nach Clara“ so etwas wie die Adaption der Adaption darstellt. Denn Vorbild für die ProSieben-Produktion ist die französische Erfolgsserie „Clara Sheller“, die 2005 beim öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehsender France 2 zu sehen war. Und jene Kolumnistin Clara Sheller war natürlich die Paris-Version der New Yorker Kolumnistin Carrie. Natürlich ist es erfreulich, dass sich ProSieben wieder stärker deutschen Eigenproduktionen zuwendet. Doch zeigt sich wieder einmal, dass die hinter „Verrückt nach Clara“ stehende Produktionsfirma Teamworx bei Serien kein ganz so glückliches Händchen hat. Denn das vermeintlich Eigene erweist sich eben als eine Aneinanderreihung von Zitaten und Klischees aus Serien-Vorbildern, bei der selbst Hintergrundmusik und Outfits der Darsteller kopiert werden. (von Katharina Söchting in der taz)
Joachim Pielka verarztet Lieblingsschuhe…
auch wenn davon nicht mehr viel übrig ist. Den Stand teilt er sich mit Hans Mix, dem Türöffner in der Not. (Von Hans W. Korfmann in der taz)
Manchmal muss Joachim Pielka den Kopf schütteln und sagen: „Tut mir leid, da ist nichts mehr zu machen!“ Der Patient blickt ihm entsetzt in die Augen. Pielka hat immer helfen können. Aber jetzt schüttelt Pielka traurig den Kopf und sagt: „Wenn nix mehr is, dann geht auch nix mehr!“ „Aber, Sie haben es doch immer noch hingekriegt, Herr Pielka …, so viele Jahre jetzt schon!“ Und dann bekommt Herr Pielka doch ein wenig Mitleid mit den alten Dingern und eine Stimme wie ein Hausarzt. Und eigentlich fühlt er sich auch so, obwohl es doch nur um ein paar ausgelatschte Schuhe geht.
„Die Lieblingsschuhe, das ist das größte Thema!“, sagt Pielka. „Die Leute können sich einfach nicht trennen!“ In der Regel kann Pielka auch alles noch einmal so zusammenflicken, dass der Mensch sich wieder fühlt wie neugeboren. Er neigt eben dazu, mit seinen Schuhen regelrecht zusammenzuwachsen, der Mensch, und ein neuer Schuh kommt ihm vor wie ein neuer Fuß. Deshalb wechselt Pielka so gut wie alles an einem Schuh, Laufsohle, Absatzsohle, Brandsohle, Decksohle, Innenfutter, Hackenfutter, Absatzaufbau und Schnürsenkel. Alles außer dem geliebten Oberleder. „Vor allem Männer sind äußerst pingelig“ mit ihren Schuhen. Manchmal sind Schuhe dabei, die haben 300 Euro gekostet. Da kommen dann auch echte Altgerber Ledersohlen drauf, mit Goldstempel, für 20 Euro. Oder eine Elchenloher Grubengerbung, die ein Jahr lang in einer bestialisch stinkenden Grube reift, bis sie dann bei Pielka in der Markthalle landet. „Die Kaufkraft ist da, nach wie vor!“, sagt Pielka. „Es kommen zwar weniger als früher, aber die wenigen haben mehr Geld.“ So spürt auch ein Schuster, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Bei den Frauen ist das beste Geschäft noch immer der brechende Absatz. Zwar sind die schmalen Sockel schon um einiges stabiler geworden, doch gegen Gitterroste und verhängnisvolle Spalten zwischen Gehwegplatten ist noch kein Leim gewachsen. Auch Hunde knabbern offensichtlich gern an Weibchens Absatz. Aber auch Männerabsätze sollen hoch sein. „Zum Beispiel dieser Musiker von Rammstein, der am Abend ’nen Auftritt hatte“, aber irgendwie zehn Zentimeter kleiner war als seine Kollegen. Also hat er den Schuh eben ein bisschen aufgebaut. Pielka sieht die Dinge pragmatisch. Er ist zu lange im Geschäft, um romantisch zu sein – egal wie hoch die Absätze sind. „Bald 40 Jahre ist das her, in ’ner Kneipe in Moabit“, da fragte ihn der Hans Mix, der bei Petri am Wurststand arbeitete, ob er nicht mit ihm einen Schuh- und Schlüsseldienst aufmachen wolle. Da würde gerade ein Stand frei in der Halle, und samstags stünden die Leute dort Schlange. Es gab allerdings ein Problem: Pielka war Schlosser, aber Mix war kein Schuster. Also holten sich die Jungunternehmer noch den Meister Ruge mit ins Boot. Ruge war einer von der alten Schule, streng und ordentlich. Da haben die beiden Herren dann auch einiges gelernt über die Schuhflickerei.
Über dreißig Jahre haben sie sich jetzt die paar Quadratmeter des Hallenstandes geteilt und Schuhe geklebt und Schlüssel gefeilt. „Es gibt Schuhe, die kommen regelmäßig, alle ein, zwei Jahre …“ Es gibt aber auch regelrechte und regelmäßige „Schlüsselverlierer und -verleger“. Wenn so ein Schlüsselverlierer den Gang entlangkommt, dann sieht Pielka „schon von weitem“, dass der gleich zu ihm sagt: „Meine Tür ist schon wieder zugefallen!“ Als ob die von alleine zufallen würden, die Türen. Und wenn das so ein alter Stammkunde mit einem alten Schloss ist, dann hat Pielka den unverkäuflichen Dietrich schon in der Hand. Denn der Dietrich ist laut Papier ein Einbruchswerkzeug. Aber verleihen darf er ihn, zumindest an seine bekannten Stammkunden und chronischen Schlüsselverleger. Wenn es sich aber um ein Sicherheitsschloss handelt, dann muss der Schlosser Pielka den Herrn Schölzel rufen, den ehemaligen Briefträger, der ein Spezialist im Türenöffnen ist. Der macht sich dann mit seinem Spezialwerkzeug im Auftrag des Schlossers Pielka auf den Weg und kümmert sich um die traurigen Menschen, die sich vor den verschlossenen Türen fühlen, als hätten sie ihr Zuhause verloren. Mit den Schlössern und den Schlüsseln, das ist nämlich eine ernste Angelegenheit. Viel ernster noch als die Lieblingsschuhe. Die Schlüssel öffnen die Tür ins Heim, wo noch viele andere Lieblingssachen stehen. Deshalb deponieren vorsichtige Menschen stets einen Zweitschlüssel bei einem Menschen ihres Vertrauens, vorzugsweise bei der Nachbarin. Für den Fall, dass die Wohnungstür wieder mal zufällt, aber der Schlüssel noch drinnen liegt. Für den viel selteneren Fall aber, dass sie ihn nicht drinnen haben liegen lassen, sondern tatsächlich draußen verloren haben, müssen sie schnellstens zu Herrn Pielka selbst, um einen Zweitschlüssel anfertigen zu lassen. Dann sieht sich Herr Pielka den Schlüssel kurz an, geht zu den Rohlingen und guckt sich einen aus und sagt dann: „Iss gut, kommen Sie in ’ner Viertelstunde wieder!“ – Darauf die Kundin: „Nee, den Schlüssel geb ich nicht aus der Hand!“ Dann muss Pielka den Schlüssel, argwöhnisch von den Blicken der Hausdame verfolgt, vor ihren Augen schleifen und darf das wertvolle Original nicht eine Sekunde aus der Hand legen. Es könnte schließlich verloren gehen. Und in falsche Hände geraten. Niemand außer den Schlossern weiß so gut, wie wichtig den Menschen ein Schlüssel ist. Kein verlorener Ausweis, kein verlorenes Portemonnaie versetzt den Menschen so in Unruhe wie der verwehrte Zugang zur eigenen Wohnung. Dabei sind die Schlüssel im Vergleich zu den Schuhen „eine leichte Arbeit“. Abgesehen von den alten Kellerschlüsseln, die noch immer mit der Hand gefeilt werden müssen. Und wenn es so ein Doppelbartschlüssel ist, dann fallen schon einige Späne. Oder bei den Durchsteckschlüsseln – „so ’ne Berliner Spezialität, gibt’s immer noch!“ Bei den Sicherheitsschlössern dagegen hat er leichtes Spiel, da greift er sich den nummerierten Rohling heraus und hält ihn kurz unter die Maschine. An die 3.000 Rohlinge werden es schon sein, die Pielka hier in der Markthalle „zu hängen hat“, die Sicherheitsschlüssel, Autoschlüssel, Motorradschlüssel, Steckschlüssel, Fensterschlüssel, Schrankschlüssel, Vierkantschlüssel und was es sonst noch gibt auf der Welt an Schlüsseln. „Ich geh hier wieder rein nach der Sanierung“, sagt Pielka. Es ist zwar nicht mehr so wie in den Siebzigern, „da standen die Samstagmorgens vor den Eingängen zur Halle in der Schlange“, und da konnte man auch noch richtig was verdienen. Aber Schlüssel verliert man immer mal wieder, und Schuhsohlen laufen sich durch. Es sieht so aus, als wäre die Idee vom Hans Mix keine schlechte gewesen. Auch wenn er selbst erst mal nicht mit ins Containerdorf ziehen wird, das für die Händler während der Renovierung der Halle errichtet wird. Nächstes Jahr wird er wohl wieder dabei sein. Auch wenn dann alles ein bisschen anders sein wird als die letzten 30 Jahre.
Der Schuster vom Kotti
Seit 20 Jahren betreibt Ibrahim Contur seine Schusterei „Abgelaufen“ am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Dabei ist er erst 32 Jahre alt. (Von Jenni Zylka in der taz)
Zwischen einem Eisladen und einer türkischen Imbissbude ist die Schleuse in die zweite Reihe der Kotti-Geschäfte. Weil es hier stinkt, hetzt man schnell hindurch, auf dem Weg zum Babylon-Kino, zur Möbel-Olfe-Bar, zum Kita-Spielplatz an der Dresdner Straße. Oder zum Schuster. Der Schuster, für viele Frauen und einige Männer fast der wichtigste Mann im Leben – seinen Schuster sollte man sich gut aussuchen. Ibrahim Contur ist ein Bottentüftler, dessentwegen man auch noch Kreuzbergs schwelendsten sozialen Brennpunkt aufsucht, wenn man längst mit Mann und Maus ins lahme, sichere Zehlendorf geflüchtet ist. Oder anderswohin. Conturs Schusterei „Abgelaufen“ gehört zum Neuen Kreuzberger Zentrum, jenem ehrgeizigen, inzwischen etwas maroden Projekt, das Schluss machen sollte mit Siff, Drogenhandel, Ghetto und Gewalt am Kottbusser Tor. Sein kleiner Laden ist schnell voll: Mehr als vier KundInnen passen nicht in den schmalen Bereich zwischen Theke und den vor Schuhcremes und Einlagen platzenden Regalen. Die Tür ist geöffnet, an der Wand stehen zwei Stühle, und meistens sitzt dort jemand, oft nicht um auf Schuhe zu warten, sondern um sich zu unterhalten: Contur ist einer, dem man gerne beim Arbeiten zuguckt und mit dem man ins Reden kommt, auch wenn man eigentlich nur „Neue Sohle bitte“ nuscheln wollte.
Auf die kleine, staubige Schaufensterscheibe ist eine Einladung gepinselt: Am Samstag wird er feiern – 20-jähriges Dienstjubiläum. Schuhreparatur und Schlüsseldienst. Dabei ist Contur erst 32 Jahre alt. 1974 wurde er im Wedding geboren. Mit 12 lernte er das Schusterhandwerk, nebenbei, nach der Schule, im Kreuzberger Laden, den sein Vater 1986 eröffnet hatte. Mit 17 hatten seine Eltern für ihn die Verlobung arrangiert, holten das Mädchen aus der Türkei. Er heiratete mit 18, ging zur Armee, zwei Töchter kamen in den 90ern, Ende 2003 die Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen. „Wir mussten uns in der ersten Zeit erst mal kennen lernen“, sagt Contur über seine Ehe. Er ist klein, wendig, dunkelhaarig und rotwangig, sein Lachen ansteckend, er reißt mit hauchzartem Akzent trockene Witze, auch über sich selbst. Das Phänomen Contur lässt sich beobachten, wenn man Zeit mitbringt. Eine Kreuzberger Kneipenhockerin mit Stiefeltick gibt ein Paar aus braunem Wildleder ab. Man kennt sich schon lange. „Mit mir wirst du immerhin nicht arm“, sagt sie. „Reich aber auch nicht“, kontert Contur knapp. Ein Fahrradsportler, ein junger Hiphopper, eine ältere Hippiebraut kommen zum Abholen. „Die Weißen, die Nikes, die Braunen“, sagt der Schuster, und nickt den KundInnen nacheinander zu – er hat ein Schuhgedächtnis wie Imelda Marcus.
Eine eigentlich vasenförmige, raffiniert eingeschnürte junge Frau will das zarte Fesselriemchen ihrer gefährlich spitzen Stilettos verlängern lassen, sie beschwert sich, dass es nicht um ihre eindrucksvollen Waden reicht. Ein älterer Herr kommt und redet auf Türkisch auf Contur ein. Er zeigt auf seinen Mantel und die Knöpfe, Contur überlegt eine Weile, schlägt dem Mann etwas vor, der nickt und verschwindet. „Er wollte spezielle Knebelknöpfe für die Reise nach Mekka, weil man nur Handgefertigtes dabei tragen darf, nichts maschinell Hergestelltes“, erklärt Contur den KundInnen muslimische Rituale, während er in seinem kleinen Arbeitsbereich herumwirbelt, eine bedrohliche Pressmaschine bedient, eine Sohle mit Klebstoff behandelt, eine Geschichte erzählt, einem Kind einen Lolli schenkt, einem wartenden Kunden Zeitungen oder Bücher oder ein Paar Stofflatschen anbietet, falls der die Zeit zum Bummeln nutzen möchte. Wenn der Schuster größer wäre, würde er ständig überall anstoßen. Conturs Laden wird von Deutschen und Migrationshintergründlern gleichermaßen frequentiert. „Die Deutschen schätzen das Handwerk höher, sie hängen mehr an ihren alten Sachen“, findet Contur. Die Türken, „meine Landsleute“, sagt Contur, wollten eher angeben und kauften darum ständig neu.
„Ich bin Türke“, sagt der Weddinger, dessen Familie aus Denizli in der Nähe von Antalya kommt und der keinen deutschen Pass besitzt, weil er noch nie einen brauchte. Apropos Angeben: In den 80ern fing er an, seinem Vater, eigentlich Konfektionsschneider, im damals gerade eröffneten Laden zu helfen, Botengänge zu machen. „Plötzlich hatte ich ein bisschen Geld. Davon hat er sich als erstes eine Witboy-Hose gekauft. „Die hatten den gleichen Schnitt wie die Levi’s. Wir haben uns dazu Original-Levi’s-Etikette besorgt, das Witboy-Ding rausgerissen und Levi’s reingenäht“, er und seine Schulkumpel, genäht hat Contur, auf der Schuhnähmaschine im Laden. „Damit waren wir die Coolsten“, sagt er und lacht. Die KundInnen sind bedient, ein junger Mann bringt ein Paar Leder-Schnürschuhe zurück, die Contur vergangene Woche repariert hatte – eine Naht ist wieder aufgeplatzt. Contur vernäht neu, umsonst, selbstverständlich. „Das muss für die Ewigkeit halten, wenn ich das mache“, erklärt er. Berufsehre. Seine Frau hat keinen Beruf erlernt, sie konnte anfangs nicht mal Deutsch. Die Töchter sollen etwas lernen, bevor sie sich verheiraten. „Soweit es in meiner Macht steht“, sagt Contur, „sollen sie eine Ausbildung fertig machen, vielleicht sogar schon gearbeitet haben.“ Denn wenn es nicht klappt mit dem Ehemann, können sie auf eigenen Füßen stehen. Etwas verändert sich in der türkischen, der sunnitischen Gesellschaft, findet er, langsam, aber es geht voran. Dass die Töchter auf jeden Fall heiraten werden, ist für ihn aber klar. „Kann ich mir nicht anders vorstellen.“ Und seine eigenen Pläne? In drei Jahren, mit 35, will er nicht mehr von früh bis spätabends im Laden stehen, unterbrochen nur von Betpausen – ein „Komme gleich wieder!“-Schild hängt dann in der Tür -, sondern samstags geschlossen lassen, um sich seiner Familie widmen zu können.
Contur ist der einzige Verdiener, seine Frau hat mit den Kindern zu tun, die Kleinen kommen im Sommer in einen Kindergarten. Einen Integrationskindergarten: Der Sohn hat seit der Geburt schwere Motorikstörungen, kann weder gehen noch richtig krabbeln. Geistig steht er der Schwester in nichts nach. Aber die Diagnosen über seine Krankheit sind nicht einheitlich, der erste Arzt prognostizierte ein Leben im Rollstuhl, die Krankengymnastinnen sind viel optimistischer, die Kinderärztin redet von Sauerstoffmangel während der Geburt, das Krankenhaus bestreitet alles. Contur überlegt, ob er einen Anwalt einschalten soll. Aber die sind auch nicht gerade billig. Im Wedding lebt er übrigens noch immer: Am Kottbusser Tor wohnen, das wolle er nicht. Dort zu arbeiten reicht.
Schuhservice für betrunkene Frauen
Flip Flops statt Stöckelschuhe: Die britische Polizei will stark betrunkene Frauen in der Partymeile der südenglischen Küstenstadt Torbay künftig mit flachen Strandschuhen ausstatten.
So solle vermieden werden, dass sich die torkelnden Nachtschwärmerinnen in Stöckelschuhen auf dem Heimweg ihre Beine brechen, sagte Kommissar Adrian Leisk. In letzter Zeit hätten die jungen Frauen auch oft ihre Schuhe ausgezogen und sich dann barfuß oder in Strumpfhosen in Glasscherben geschnitten. „Wir halten Ersatzschuhe für Leute bereit, die ihre eigenen Schuhe auf dem Heimweg unbequem, unpassend oder unsauber finden“, sagte der Kommissar. Der Steuerzahlerbund kritisierte das Projekt am Freitag als „Geldverschwendung“. (aus Focus)
Studie: Warum Frauen Stöckelschuhe tragen
Eine Wissenschaftlerin aus Bremen hat erforscht, was Frauen dazu bringt, ihre Füße in neun Zentimeter hohe Folterwerkzeuge zu stecken. Der Stöckelschuh ist Teil des weiblichen Balzverhaltens. Aber das ist nicht der einzige Trick, die Männerwelt zu bezirzen.
Warum ruinieren sich Frauen die Füße mit hochhackigen Schuhen, riskieren im bauchfreien Top Verkühlungen oder schrecken selbst vor Schönheitsoperationen nicht zurück? Für den Mann ihrer Träume, meint die Bremer Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld. „Der Wunsch nach Verschönerung ist Teil des Balzverhaltens und nötig, um einen Partner zu finden.“ Die quasi genetische Programmierung der Frauen sei quer durch die Kulturen nachweisbar, – und sie mache Sinn.
Auch in der Vergangenheit beschäftigte sich die Forscherin mit zwischenmenschlichen Themen wie dem Küssen und der Erotik des Körpergeruchs. Nun widmete sich die für provokante Thesen bekannte 55-Jährige der Kulturgeschichte weiblicher Verführung. Unter dem Titel „Blondinen bevorzugt“ wertete sie unter anderem ethnologische und historische Literatur sowie bildliche Darstellungen aus. Außerdem befragte sie rund 200 Mädchen, Frauen und Männer, um herauszufinden, wie Frauen Männer verführen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass alle Menschen möglichst attraktive Partner für die Vermehrung suchen und sich darum spreizen wie die Pfauen. Männer gewinnen Frauenherzen aber weniger durch Schönheit als dank Kraft oder Position. „Am liebsten nehme ich natürlich Adonis und Versorger in einem“, sagt die Wissenschaftlerin. Männer hingegen fliegen zuerst aufs Äußere, und auf Blondine stehen sie besonders. „Das heißt aber nicht, dass sie Dummchen wollen.“ Um zu gefallen, sind Frauen seit Alters her viele Mittel recht: „Das fängt bei den Füßen an und hört bei der Frisur auf“, sagt Ebberfeld. Zwecks schönerer Brustkonturen trugen Griechinnen Brustbinden unter den faltenreichen Gewändern. Bis heute lassen sich Frauen vom BH in Form zwängen. Nackte Haut wirkt besonders attraktiv Was als schön gilt, hängt von Zeit und Kultur ab. Chinesinnen banden sich Jahrhunderte lang die Füße ab, damit diese Kindermaß behielten. In Afrika zum Beispiel hat das Ziehen und Zurechtfeilen von Zähnen Tradition. 1866 empfahl eine Zentralafrikanerin einer Engländerin, sich zur Verschönerung die vier unteren Vorderzähne ziehen zu lassen und einen Kristall in der Unterlippe zu tragen. Besonders attraktiv wirkt auf Männer ein wenig nackte Haut, wie Frauen offenbar instinktiv wissen. Biologen fotografierten Besucherinnen einer Wiener Diskothek und nahmen Speichelproben. Das Ergebnis: Kurz vor dem Eisprung lassen Frauen tief blicken. Je höher der Östrogenspiegel, desto mehr Haut zeigten die Probandinnen, je weniger Hormon im Blut, desto züchtiger waren sie gekleidet. Großen Reiz übt auch ein strammer Po aus, dessen Herausstrecken im Tierreich eine Aufforderung zur Paarung darstellt. Tattoos auf dem Steißbein sind weder neu noch auf die westliche Welt beschränkt, berichtet Ebberfeld und verweist auf das Foto einer Westafrikanerin von 1927 mit Schmucknarben über dem Allerwertesten. Die richtige Kleidung bringt Frau in die Chefetage Doch auch Kleidung ist in der Wirkung nicht zu unterschätzen. Für eine 1976 veröffentlichte US-Studie wurden Männer und Frauen beim Passieren von Türen beobachtet. Das Ergebnis: Je weiblicher eine Frau gekleidet war, umso häufiger hielt ihr ein Mann die Tür auf. Viele Frauen streben nach einem Ideal und sind auch bereit, dafür zu leiden. „Eine ganze Industrie lauert heute nur darauf, uns Anti-Falten-Cremes zu verkaufen und auf Diät zu setzen“, sagt Ebberfeld. Das funktioniere, weil in den Frauen der Nährboden dafür vorhanden sei und sie um die Wirkung auf Männer wissen.
„Es ist, wie es ist“, resümiert Ebberfeld: „Gegen einen ganz bestimmten Teil unserer Eitelkeit können wir uns nicht wehren, weil sie Teil des Frauseins ist.“ Doch nicht nur im Privaten finden diese Prinzipien Anwendung – auch im Job können sie helfen. Wenn eine ehrgeizige Frau schließlich nur noch eine Chance sehe, durch attraktives Outfit in eine Führungsposition zu kommen, „dann soll sie’s tun“, rät Ebberfeld. Frauen müssten begreifen, „dass wir in den Chefetagen nicht nur mit fairen Mitteln ankommen.“ (Aus: Welt online)
Stöckelschuhe sollen Liebesleben verbessern
Den Männern gefallen sie, Frauen bereiten Stilettos aber vor allem Schmerzen – dachte man bislang. Eine italienische Urologin hat nun festgestellt, dass hochhackige Schuhe den weiblichen Beckenboden trainieren. Der wiederum ist beim Sex nicht ganz unwichtig.
Wer schön sein will, muss leiden. Das sagt sich manche Frau jeden Morgen, wenn sie ihre Absatzschuhe aus dem Schrank holt und hineinschlüpft. Den ganzen Tag auf Pfennig-großen Absätzen balancieren – aber was tut man nicht alles, um gut auszusehen, sich selbst oder Männern zu gefallen. Für Orthopäden sind Stilettos ein Graus: Die Schuhe mögen zwar sexy aussehen, belasten Knie- und Hüftgelenke aber stärker als flache Treter. Mögliche Folge: Arthritis.
Eine italienische Urologin bricht nun eine Lanze für jene Schuhe, deren Absätze beim Laufen besser nicht brechen sollten: „Als Beschützerin aller Frauen, die hohe Absätze mögen, habe ich versucht, etwas gesundheitlich Positives daran zu finden“, schreibt Maria Angela Cerruto von der Universität Verona im Fachblatt „European Urology“. Und sie habe tatsächlich etwas entdeckt, erklärt sie weiter. Als Urologin interessiert sich Cerruto unter anderem für das Problem der Inkontinenz und die Rolle der Beckenbodenmuskulatur dabei. Bei einer früheren Studie hatte sie bereits festgestellt, dass die Muskulatur auch von der Fußhaltung beeinflusst wird. Nun hat die Forscherin das Phänomen systematisch untersucht – bei Frauen unter 50 mit und ohne Inkontinenz. Das Ergebnis gefiel der bekennenden Stöckelschuh-Trägerin ausgesprochen gut: Eine Fußhaltung, wie sie durch Stilettos erreicht werde, verbessere die Kontraktionskräfte der Beckenbodenmuskeln, schreibt sie und betont, dass bei ihrer Studie keinerlei Interessenkonflikte bestanden hätten. Mit anderen Worten: Es gab weder Geld noch teure Stiefel von Stiletto-Herstellern.
Anlass der Studie über die Vorteile hoher Absätze war übrigens nicht weibliche Intuition sondern eine spekulative These in einem medizinischen Magazin. „Gibt es einen Zusammenhang von hochhackigen Schuhen und Schizophrenie?“, lautete die Überschrift des Textes, über dessen Inhalt Cerruto sich zunächst wunderte und nach einigen Recherchen regelrecht ärgerte. Sie könne die These von angeblich Schizophrenie auslösenden Stöckelschuhen weder bestätigen noch widerlegen. Aber man solle solche „bizarren medizinischen Theorien“ nicht publizieren, schreibt die Urologin, ohne dass sie von anderen Wissenschaftlern zumindest eingeschätzt würden, ansonsten könnten sie missverstanden werden.
Cerrutos These besser trainierter Beckenbodenmuskeln dank hoher Absätze ist auf jeden Fall unmissverständlich. Wer auf hohen Ansätzen stöckelt, tut etwas für das Wohlergehen des Beckenbodens, erklärt die Forscherin. „Wir hoffen, nun beweisen zu können, dass das ganztägige Tragen von High Heels spezielle Übungen für den Beckenboden ersetzen kann“, sagte Cerruto der britischen Zeitung „The Telegraph“. Stöckelschuhe könnten Schmerzen mindern und die Gesundheit insgesamt verbessern. Ein intakter Beckenboden ist jedoch nicht nur zum kontrollierten Wasserlassen vonnöten, Ärzte empfehlen Frauen das Beckenbodentraining auch, um ihr Sexualleben zu verbessern. Vor und nach einer Geburt sollten Frauen täglich fünf Mal Übungen absolvieren, rät der britische National Health Service. Statt sich auf der Matte zu mühen, könnten die Betroffenen nun auch einfach in Stöckelschuhe steigen, legt der „The Telegraph“ nahe – aber so weit geht die italienische Forscherin nicht, die lieber nur von „potentiellen gesundheitlichen Effekten“ spricht. (Aus: Spiegel online)
„Reden wir von Schuhen!“ (aus: „Last Radio Show“ von Robert Altman)
Im ersten Heft – „Fremde Dinge“ betitelt – der „Zeitschrift für Kulturwissenschaften“ schreibt Bettina Gockel über „Van Goghs Schuhe – Zum Streit zwischen Heidegger und Meyer Schapiro“.
1930 hatte Heidegger in einer Amsterdamer Ausstellung einige Gemälde van Goghs gesehen, eines zeigte ein paar abgetragene Schnürschuhe. 1935 kam Heidegger in seinem Vortrag über den „Ursprung des Kunstwerks“ darauf zurück. 1965 korrespondierte Meyer Schapiro deswegen kurz mit dem Philosophen. 1968 veröffentlichte er darüber den Text „The Still Life as a Personal Object. A Note on Heidegger and van Gogh“. 1992 machte Jacques Derrida in seinem Aufsatz „Restitutionen“ auf die politische Dimension von Schapiros Entgegnung auf Heidegger aufmerksam, wie Bettina Gockel schreibt, „namentlich auf den Versuch, die Schuhe gewissermaßen ‚jenem Pathos des Rufs der Erde‘ zu entwinden und sie dem ’nomadischen, emigrierten, städtischen Kollegen, Leidensgenossen und Freund‘ Kurt Goldstein zurückzugeben, der Schapiro auf Heideggers Text aufmerksam gemacht hatte.“
Heidegger hatte van Goghs Gemälde „Schuhe“ von 1886 oder vielleicht auch „Ein Paar Schuhe“ von 1887 als „ein Paar Bauernschuhe und nichts weiter“ identifiziert, um sodann über die Schwere der bäuerlichen Tätigkeit, das Satte des Bodens, den Feldweg, das reifende Korn usw. zu schwadronieren.
Er hätte sich dabei auf den Schwadroneur Knut Hamsun berufen können, in dessen Novelle „Hunger“ (1890) ein Paar getragene Schuhe „als atmender Teil des eigenen Ichs beschrieben werden. Die Schuhe waren damals ein zeitgenössisches Thema“.
Unter bezug auf Georg Klusman will Bettina Gockel jedoch entgegen den Intentionen von Heidegger und Schapiro darauf hinaus, dass van Gogh mit seinen „Schuhen“ in der „Geschichte des gemalten Stillebens ein völlig neues Genre entwarf, nämlich ein Stilleben, das die dargestellten Dinge von oben in den Blick nimmt.“ Und was das bäuerliche der Herkunft der „Schuhe“ betrifft, dazu erzählt sie eine Anekdote aus den Jahren 1886-87: Zu einem Bild, das ein Paar Schuhe zeigt, hatte van Gogh einem Kunststudenten erklärt, er habe das Paar auf dem Flohmarkt gekauft, die Schuhe seien jedoch blank poliert gewesen, so dass er mit ihnen erst einmal durch Regen und Dreck gegangen sei, erst danach habe er sie dann gemalt. Mit seinen Bildern wollte van Gogh „in die Gesellschaft hineinwirken“.
„Aus einer persönlichen Notwendigkeit heraus ist van Gogh damit eine Verdoppelung der Dingbedeutung gelungen, die der jeweiligen Eindimensionalität der Lesarten Heideggers und Schapiros ebenso entgegensteht wie Objektivierungsstrategien des wissenschaftlichen Diskurses“ (in diesem Fall von Derrida?), schreibt Bettina Gockel.
Damit soll es erst einmal der Schuh-Diskurse hier genug sein!