Am kommenden Montag wird der Umweltministerrat der Europäischen Union in Brüssel darüber abstimmen, ob in Österreich und Ungarn trotz Verbots der dortigen Regierungen und gegen den Willen der Bevölkerung der Gentechnikmais „Mon 810“ der Firma Monsanto angebaut werden darf. Die Bundesregierung wird diesem europäischen Anbau-Zwang möglicherweise ihren Segen geben, obwohl Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner dem heimischen Wahlvolk gerade erst verkündete, sie sei selbst für ein Verbot von Mon 810 in Deutschland.
Das Brüsseler Abstimmungsverfahren ist, gelinde gesagt, eigenwillig: Nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit von 255 der je nach Ländergröße verteilten 345 Stimmen können die Regierungen einen entsprechenden Vorschlag der Europäischen Kommission im Rat der Minister zurückweisen. Selbst bei 3 Ja-Stimmen, 16 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen, wäre er angenommen. Gut für Monsanto, schlecht für den Zustand der Demokratie in Europa und auf jeden Fall eine Einladung an die Bürokratie in Brüssel, sich über den Willen der Bürger nicht allzu viel Gedanken zu machen.
Weitere nationale Verbote in Frankreich und Griechenland sollen nach dem gleichen Muster in der kommenden Rats-Sitzung aufgehoben werden. Danach will die EU-Kommission erstmals seit 1998 zwei neue Gentechnik-Sorten (bt 11 von Syngenta und 1507 von Pioneer/DuPont) zum Anbau zulassen. Das System hat Tradition: Für die erste Gentechnik-Zulassung in Europa stimmte 1996 nur ein einziger Mitgliedsstaat (Frankreich), dagegen eine satte Mehrheit. Vor lauter Enthaltungen wurde sie dennoch erteilt.
Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU, hier mit Bauern aus den betroffenen Ländern auf der Biofach) verkündete letzte Woche, auch sie wolle jetzt Mon 810 in Deutschland verbieten. Mon 810 produziert ein Gift gegen Schmetterlings-Larven, darunter auch den Maiszünsler, der bei feuchtwarmem Wetter in Monokulturen erheblichen Schaden anrichten kann. Dieses nach seinem Ursprungsorganismus bacillus Thuringiensis kurz Bt genannte Gift ist allerdings auch für Nützlinge, Boden- und Wasserlebewesen und andere sogenannte „Nichtziel-Organismen“ schädlich und reichert sich im Boden an. Zudem hat sich herausgestellt, dass das Gift von den Pflanzen in sehr unterschiedlichen Dosen produziert wird und seine gentechnische Variante auch nicht auf die gleiche Art wirkt wie das Original. Die 1998 erteilte Zulassung für Mon 810 ist seit dem vergangenen Jahr abgelaufen. Nur weil die zuständige Europäische Lebensmittelbehörde EFSA und die Kommission den Verlängerungs-Antrag von Monsanto nicht fristgemäß bearbeitet haben, kann der Gentechnik-Mais auch in diesem Jahr angebaut werden.
Wird nun die Bundesrepublik mit ihren 29 Stimmen gegen die zwangsweise Aufhebung der nationalen Verbote von Mon 810 in Frankreich, Ungarn, Österreich und Griechenland stimmen? Das wird dem Vernehmen nach wohl erst am kommenden Montag vom Kanzleramt per SMS entschieden. Die Chancen stehen nicht gut. Denn angeblich wollen zwar Herr Gabriel und die federführende Ministerin Aigner gegen die Kommission stimmen. Doch die ebenfalls an der Entscheidung beteiligten Verwaltungen von Forschungsministerin Schavan (CDU), des neuen Wirtschaftsministers zu Guttemberg (CSU) und der Gesundheitsministerin Schmidt (SPD) sollen dagegen Bedenken angemeldet haben. In einem solchen Falle enthält sich die Bundesrepublik dann traditionell der Stimme, stimmt also de facto für den Kommissionvorschlag.
Besonders pikant an dieser Posse ist, dass die EU-Kommission bereits wiederholt versuchte, die nationalen Gentechnikverbote per Ukas aus Brüssel zu kassieren, bisher aber regelmäßig an der Zweidrittel-Mehrheit der Mitgliedsstaaten scheiterte. Deren Begründung: Solange Mon 810 nicht aufgrund einer den heutigen Regeln der Kunst entsprechende Risikobewertung neu zugelassen sei, müssten die Sicherheitsbedenken der Mitgliedsstaaten ernst genommen werden. Zudem sei deren spezifische landwirtschaftliche und ökologische Situation zu berücksichtigen. Die Begründung trifft im Jahre 2009 genauso zu wie vor zwei Jahren. Auch Deutschland hatte in den Jahren 2006 und 2007 mit Nein gestimmt.
Was hat sich seither geändert? An den Fakten offensichtlich nichts. Doch der Druck der Gentechnikindustrie in den Korridoren der EU-Kommission hat zugenommen; ihr ohnehin lächerlich geringer Absatz von Gentechnik-Saatgut in der EU ist zurückgegangen (auch in Deutschland) und eine „task force“ des neoliberalen Kommissionspräsidenten Barroso hatte im Oktober vergangenen Jahres Kabinetts-Vertreter der Regierungschefs auf eine „technologiefreundlichere Zulassungspolitik“ eingeschworen. Dagegen verabschiedeten die Umweltminister noch im vergangenen Dezember einstimmig eine Entschließung, in der unter anderem bessere Risikobewertungen, eine Berücksichtigung der sozio-ökonomischen Folgen des Gentech-Anbaus und mehr Macht für die nationalen Behörden gefordert wurde.
Doch wenn es am Montag zum Schwur kommt, wird nicht diese Erklärung zählen, sondern die SMS der Regierungschefs. Die scheinen darauf zu vertrauen, dass den Medien angesichts von Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft und Finanzwelt, vielleicht auch der wichtigen Minister-Entscheidungen zur weiteren Klimapolitik, das Bisschen europäische Gentechnik-Diktatur nicht weiter auffallen wird. Und die zuständigen Minister werden sich hinter der EU-Kommission und „schwierigen Abstimmungsprozessen innerhalb der Koalition“ verstecken und den Wählern versichern „Wir sind es nicht gewesen“.
Wer europäischen Entscheidungsprozessen derart leichtfertig und unehrlich ihren Lauf lässt, muss sich nicht wundern, wenn ihm die Wähler nicht nur bei der Europawahl im Juni in Scharen davonlaufen. Er muss sich auch fragen lassen wer eigentlich wirklich in Brüssel regiert. Monsanto etwa?
P.S.
Auch das von Frau Aigner angekündigte Verbot von Mon810 hat übrigens schon Tradition in Deutschland: Im April 2007 erließ ihr Vorgänger, Horst Seehofer, wegen mangelnder Beobachtung der Umweltfolgen ebenfalls ein Verbot für Mon810, das allerdings für die bereits getätigte Aussaat in diesem Jahr nicht mehr galt. Pünktlich zur Bestellung des neuen Saatgutes im Dezember hob er das Verbot wieder auf. Das wäre in diesem Jahr dann kurz nach der Bundestagswahl.
Alles über Mon 810 (deutsch)
Alles über die EU-Abstimmung (englisch)
Der EU-Abstimmungs-Kalkulator (excel)