Der "Hemicyle" des Europäischen Parlaments Verbieten oder nicht verbieten und wenn ja wie und warum verbieten? Im Europäischen Parlament wird nächste Woche über die Zukunft eines Gesetzes entschieden, das dem Konflikt um die Agro-Gentechnik dauerhaft eine neue Bewegungsform in der EU geben könnte. Dann würden über den Anbau von Gentechnikpflanzen nach gemeinsamer Prüfung letztlich doch die einzelnen Mitgliedsstaaten entscheiden. Offiziell wollen dieses Gesetz alle Seiten. Doch manche hätten es am liebst so, dass es keine Wirkung entfaltet. Fast 60.000 Menschen haben deshalb innerhalb von nur drei Tagen den deutschen Europa-Abgeordneten von CDU und FDP ins Gewissen geredet. Sie können sich daran bis Montag auch noch beteiligen.
Am kommenden Dienstag könnte das Europäische Parlament ein Bisschen Gentechnik-Geschichte schreiben, wenn es den Bericht seiner liberalen Abgeordneten Corinne Lepage zu einem Gesetzentwurf der europäischen Kommission annimmt. Es geht um die Frage ob und vor allem wie der Anbau von grundsätzlich in der EU zugelassenen Gentechnikpflanzen von nationalen Regierungen dennoch verboten werden kann. Alle Details finden Sie hier.
Darüber, dass solche Verbote möglich werden sollen, sind sich offiziell in Brüssel fast alle einig. Bereits vor Jahren hatten die österreichische und holländische Regierung diesen Vorschlag zur Güte gemacht: Zwar sollen Risiken und Nebenwirkungen grundsätzlich für die ganze EU geprüft werden. Doch wenn ein GVO zugelassen ist, können einzelne Staaten dessen Anbau (nicht seinen Verkauf als Lebens- oder Futtermittel) dennoch verbieten. So kann dann jeder nach seiner Façon seelig werden.
Die EU-Kommission, die es leid ist, den Gentechnik-Buhmann zu spielen, griff den Vorschlag auf und legte eine entsprechende Änderung der Gentechnik-Richtlinie vor. Kaum hatte sie dies getan war das Geschrei groß. Weder Gegnern noch Freunden der Gentechnik schmeckte der Braten.
Letztere fürchten zu recht, dass nationale Regierungen ihre Konstrukte regelmäßig verbieten würden, weil ihre Wähler sie notorisch ablehnen. Nur eine „wissenschaftsbasierte“ Zulassung kann ihnen helfen, die Gentechnik doch noch in Europa einzuführen. Demokratie gilt in diesen Kreisen mittlerweile gewissermaßen als wissenschaftsfeindlich.
José Bové hielt das Gesetz lange für ein Komplott Auch die Gegner lehnten den Vorschlag ab. Dafür gab es gute Gründe. Denn die Kommission will als Begründung für nationale Verbote nur gelten lassen was sie nicht zu prüfen hat. Umwelt- und Gesundheitsrisiken, selbst das auskömmliche Nebeneinander von gentechnischer und gentechnikfreier Landwirtschaft aber wird schließlich in dem EU-Zulassungsverfahren geprüft. Es gab dafür auch weniger gute Begründungen: Wenn die Staaten einmal zugelassene Produkte bei sich wieder verbieten könnten, so die Befürchtung, dann würden sie sich nicht mehr so vehement gegen ihre europäische Zulassung wehren wie bisher.
Nach der Logik der Zulassung von Produkten auf dem gemeinsamen Binnenmarkt aber darf was einmal für sicher erklärt wurde von einzelnen Staaten nur dann verboten werden, wennihnen neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die daran Zweifel nahelegen. Nach diesem Verfahren haben sowohl Deutschland als auch viele andere EU-Staaten den Anbau des einzigen relevanten GVO, einer Maissorte namens Mon-810 von Mon-santo verboten. Das Verfahren der EU sieht in diesem Falle vor, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu prüfen und entweder die EU-Zulassung deshalb zurückzuziehen oder aber das nationale Verbot wieder aufzuheben, wenn sich die Zweifel als unbegründet erweisen. Nachdem die Kommission die Zweifel der Mitgliedsstaaten regelmäßig für unbegründet erklärt hatte, wurde sie aber im Ministerrat ebenso regelmäßig mit einer soliden 2/3 Mehrheit niedergestimmt: Die nationalen Verbote blieben bestehen, zogen aber kein EU-Verbot nach sich. Denn die Regierungen stimmten aus Gründen der politischen Solidarität (man wollte dem Nachbarn nichts aufzwingen) nicht aus wissenschaftlicher Einsicht für die Aufrechterhaltung der nationalen Verbote.
Einer andern Logik folgt die Umweltgesetzgebung der EU: Mitgliedsstaaten müssen hier Mindeststandards einhalten, können aber national darüber hinausgehen, etwa bei der Gewässergüte, dem Schutz der Artenvielfalt oder beim Klimaschutz.
Hier setzt die französische Juristin Lepage an: Die Freisetzung eines GVO in die Umwelt sei grundsätzlich ein Umweltproblem und deshalb müsse seine Regelung auch nach dem dafür einschlägigen Artikel der EU-Verfassung behandelt werden. Der würde es Mitgliedsstaaten dann erlauben, etwa bei der Vorsorge und beim Schutz der spezifischen heimischen Fauna und Flora über die EU-Mindeststandards hinauszugehen.
Darüber hinaus fordert sie, dass Regierungen eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse machen dürfen: Wenn der Anbau von Gentechnik durch eine Minderheit der Mehrheit dergentechnikfreien Landwirte und Lebensmittelhersteller Kosten und Probleme verursacht, die in keinem Verhältnis zum angenommenen Nutzen der Gentechnikfreaks stehen, ist dies ebenfalls ein guter Grund, den Anbau zu verbieten.
Die FDP-Abgeordnete Koch-Mehrin hält sich notorisch an die wissenschaftlichen Fakten Schließlich fordert sie, dass die EU endlich die Liste der Kritikpunkte am gegenwärtigen Zulassungsverfahren abarbeitet, die von allen Regierungen schon 2008 moniert wurden. Dazu gehört vor allem eine Reform der Risikobewertung, die durch einen Ausschuss der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA erledigt wird, dem niemand über den Weg traut. Er ist nicht nur mehrheitlich mit ausgewiesenen Gentechnik-Fans besetzt, die in ihrem bürgerlichen Beruf davon leben, an Gentechnik zu forschen, sondern prüft ausschließlich am grünen Tisch was ihm von der Industrie an Untersuchungen und Tests vorgelegt wird. Für eigene Prüfungen fehlt das Geld. Die Studien der Industrie sind zu allem Elend auch noch „confidential business information“, also nicht der Öffentlichkeit zugänglich. Dass in diesem Klima wissenschaftlicher Vetternwirtschaft bisher nur positive Bescheide herauskamen wundert niemanden.
Ein soeben von dem Anti-Gentech-Thinktank „testbiotech“ veröffentlichtes Beispiel für die Praxis der Zulassung des sechsfach manipulierten Mais-Kosntruktes „Smartstacks“ der Firma Monsanto, läßt einem die Haare zu Berge stehen. Die „testbiotech“ zugespielten Geheimstudien zur Sicherheit des Konstruktes spotten buchstäblich jeder Beschreibung.
Es ist offensichtlich, dass nationale Verbote diesen Mangel an wissenschaftlicher Seriosität und Transparenz nicht ausgleichen können. Ebenso offensichtlich ist auch, dass gemeinsame wissenschaftliche Standards für die Bewertung von Hochrisiko-Technologien auf europäischer Ebene von Nöten sind.
Faxen beim Abstimmen Der Lepage-Bericht droht jetzt allerdings im Plenum des Parlamentes nach massiver Intervention der Gentechnik-Lobby, aber auch mit, sagen wir, aktiver Billigung interessierter Regierungen, wie etwa der deutschen, zu scheitern. Weder eine konkrete Liste der möglichen Verbotsgründe noch die Änderung der Rechtsgrundlage will die christdemokratische PPE-Fraktion im Plenum mittragen, notfalls den Bericht sogar in seiner Gänze ablehnen.
Den Gentechnikbefürwortern, die mehrheitlich nicht die demokratische Grösse der holländischen Regierung zu besitzen scheinen, wäre es am liebsten, der ursprüngliche Kommissionsvorschlag würde beibehalten und könnte dann im Ministerrat entweder mit guten juristischen Argumenten abgelehnt werden; oder aber ein Gesetz würde verabschiedet, das Anbauverbote zwar theoretisch, etwa aus „ethischen“ Gründen erlaubt, die Regierungen aber sehenden Auges ins Messer ihrer juristischen Unhaltbarkeit laufen läßt. Spätenstens von der Welthandelsorganisation WTO würden sie dann nach allen Regeln ihrer Kunst doch noch zur Duldung des Anbaus gezwungen. Pech gehabt.
Der CDU-Abgeordnete Peter Liese, eher nachdenklicher Umwelt-Spielmacher seiner Fraktion, möchte den Gentech-Ball flach halten Wovor der Bundesregierung und anderen Länderchefs am allermeisten graust ist allerdings die Vorstellung, sie müßten den Anbau von GVOs politisch verantworten und könnten dies nicht mehr auf „die Gesetzeslage der EU“ und „Brüssel“ schieben. Dann nämlich müßten sie sich entscheiden zwischen Wählermehrheit und Industrieansprüchen.
Dass die Wähler schon jetzt von den EU-Abgeordneten verlangen, Farbe zu bekennen, ist neu. 60.000 Mails in einer Woche an die CDU- und FDP-Abgeordneten des europäischen Parlamentes zeugen von einem neuen „europäischen Geist“ der Zivilgesellschaft, die wie die meisten das Treiben im Europaparlament eher am Rande und nicht wichtigen Ort demokratischer Willensbildung und Entscheidungsfindung wahrgenommen hat. Darüber sollten sich die Abgeordneten auf jeden Fall freuen. Vielleicht lassen sie sich ja sogar noch zu politischer Vernunft überreden. Unmöglich ist dies im Europaparlament nicht. Denn der Fraktionszwang hier, anders als in nationalen Regierungskoalitionen, nicht das in Stein gemeisselte Ende des demokratischen Disputes.
Corinne Lepage erklärt das Problem im Haus-TV (OmU, klick & schau)