Am internationalen Tag der Menschenrechte besucht Dolly Ibefo Berlin, der Leiter der kongolesischen Menschenrechtsorganisation VSV (Voix des Sans-Voix – Stimme der Stimmlosen) aus Kinshasa. Der brutale Mord an Ibefos Vorgänger Floribert Chebeya Anfang Juni hatte die Weltöffentlichkeit aufgeschreckt. Chebeya war von einem Termin mit Kongos Polizeichef John Numbi am Abend des 1. Juni nicht mehr zurückgekehrt; seine Leiche wurde am nächsten Tag von der Polizei in seinem Auto gefunden. Nachdem die Polizei den Toten zunächst versteckte und erst nach mehreren Tagen widerwillig die von Folterspuren gekennzeichnete Leiche zur Teilbesichtigung freigab, wurde klar, dass Chebeya ermordet worden war. Einer der schärfsten und dauerhaftesten Kritiker von Rechtlosigkeit in Zaire und später in der Demokratischen Republik Kongo war zum Schweigen gebracht worden. Die Trauer um Chebeya überschattete sogar die Feierlichkeiten zum 50. Unabhängigkeitsjahrestag des Kongo am 30. Juni.
Ibefo berichtet nun vom laufenden Prozess vor dem Militärgericht von Kinshasa gegen die als mutmaßliche Täter verhafteten Polizisten, an erster Stelle Oberst Daniel Mukalay, Chef des Polizeigeheimdienstes und rechte Hand von Polizeichef Numbi. Numbi, ein engster Vertrauter des Staatschefs Joseph Kabila, war zunächst ebenfalls wegen des Mordes an Chebeya festgenommen worden, eine seltene Konzession des kongolesischen Staates im Kampf gegen Straflosigkeit. Aber nun ist Numbi auf freiem Fuß und ist sogar Zeuge der Anklage gegen Mukalay.
Wegen dieser und anderer Merkwürdigkeiten des Chebeya-Mordprozesses verlangt VSV als Nebenkläger ebenso wie Chebeyas Witwe und die Familie des ebenfalls ermordeten Fahrers Fidèle Bazana, das Militärgericht von Kinshasa möge sich für unzuständig erklären und den Fall an Kongos Obersters Militärgericht hochgeben. Auch Mukalays Verteidiger sind nicht zufrieden damit, dass der einstige Chef des Angeklagten als Zeuge der Anklage auftritt. Die Verhandlungen finden jede Woche freitags statt; heute, am dritten Prozesstag, wurde eine Entscheidung über die Anträge der beiden Seiten auf Donnerstag 16. Dezember festgelegt.
Für Ibefo geht es aber auch um die politische Verantwortung für die Ermordung eines der prominentesten Menschenrechtsverteidiger des Kongo. Kann es sein, dass die rechte Hand des Polizeichefs ohne Wissen des Polizeichefs agiert hat, fragt er. Und wenn der Polizeichef Numbi den Mord in Auftrag gegeben hat, wovon in Kinshasa viele ausgehen, „kann er handeln, ohne den Staatschef zu konsultieren?“ Entweder Numbi hat also Kabila gefragt, und dann wäre Kabila mitschuldig, oder er hat Kabila nicht gefragt, und dann müsste er die längste Zeit Polizeichef gewesen sein. Aber kann Präsident Kabila seinen mächtigen Sicherheitsapparat zusammenhalten, wenn eine der zentralen Figuren fehlt?
Hier liegt die politische Brisanz des Chebeya-Verfahrens. Es dürfte sich noch lange hinziehen, bis ins Wahljahr 2011 hinein. Und das könnte für Kabila noch ein Problem werden. Schließlich gibt es Vermutungen, dass Chebeya deshalb umgebracht wurde, weil er Beweismaterial gegen Kongos Staatschef sammelte, um eine Anklage gegen Kabila vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu erwirken.
Eine Randnotiz: In den Gerichtsakten findet sich auch der Autopsiebericht des ermordeten Fahrers Bazana. Offiziell wurde dessen Leiche nie gefunden. Aber nun weiß man, dass Bazana mit Bajonetten getötet wurde.
Und hat Ibefo keine Angst, dass ihm Chebeyas Schicksal drohen könnte? „Wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen“ sagt der neue VSV-Chef. Man ist jetzt vorsichtiger, Einladungen zu abendlichen Treffen anzunehmen so wie die, die am 1. Juni Polizeichef Numbi Chebeya zukommen ließ. Sollen sie doch zu uns ins Büro kommen, wenn sie reden wollen, sagt Ibefo. Dann lacht er und fügt hinzu: Manche täten das sogar.