vonBlogwart 29.04.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Normalerweise erfahren Sie als Leser nichts davon, wenn eine Recherche scheitert. Wir Journalisten brüsten uns nur gerne mit den erfolgreichen Recherchen, schreiben die Recherche-Ergebnisse ganz groß auf. Niederlagen verschweigen wir lieber. Doch heute hat jemand anders einen Bericht über eine meiner gescheiterten Recherchen veröffentlicht – und zwar der Berliner Datenschutzbeauftragte.

Der ist nämlich nicht nur für den Datenschutz zuständig, sondern auch für die Informationsfreiheit. Informationsfreiheit ist eine recht neue Idee in Deutschland, die nach und nach von immer mehr Parlamenten beschlossen wird. Auch in Berlin gibt es ein „Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin“ (kurz: Informationsfreiheitsgesetz). Das Gesetz besagt in Paragraf 3: Alle Akten von allen Behörden sind für alle Menschen frei zugänglich. Das ist das Grundprinzip: Wenn der Staat im Auftrag der Bürger und mit dem Geld der Bürger tätig wird, dann sollen die auch erfahren können, was da genau passiert. In den Paragrafen 5 bis 11 folgen dann die Ausnahmen: Personenbezogene Daten wie etwa Steuererklärungen sind zum Beispiel geschützt, außerdem Staatsgeheimnisse, die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft und Betriebsgeheimnisse von Unternehmen. Insgesamt ist ziemlich viel geschützt, aber das Gesetz ist immerhin ein echter Paradigmenwechsel: Bisher galt grundsätzlich das Amtsgeheimnis – und wenn ein Bürger eine Information haben wollte, musste er sich dafür rechtfertigen. Jetzt gilt Informationsfreiheit – und die Behörde muss begründen, warum eine bestimmte Information doch besser geheim bleiben muss.

Mich interessierten Berichte über die Qualität der Berliner Schulen. Die erhalten gerade nach und nach alle Besuch von der Schulinspektion. Das sind drei bis vier Personen: Ein Schulrat oder Seminarleiter, zwei Schulleiter oder Lehrer und ein Elternteil oder Wirtschaftsvertreter. Die begutachten die Schule dann mehrere Tage lang: Sie verteilen Fragebögen an Lehrer, Schüler und Eltern, führen Interviews mit Eltern, Lehrern und der Schulleitung und setzen sich in den Unterricht. Heraus kommt ein rund 30 Seiten langer Bericht. Die Schulen können, wenn sie wollen, diesen Bericht veröffentlichen – hier als ein Beispiel die Fichtenberg-Oberschule. Der Bericht beschreibt die Situation der Schule, ihre Stärken und Schwächen, und gibt Empfehlungen. Das interessierte mich.

Unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz (PDF) beantragte ich im vergangenen Jahr bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Einblick in alle bisher erstellten Schulinspektionsberichte. Die Senatsverwaltung lehnte den Antrag ab. Sie berief sich dabei auf die im Gesetz Ausnahmen der Informationsfreiheit. Erstens sei der laufende Prozesses der Willensbildung innerhalb der Senatsverwaltung betroffen, weil die Schulinspektionsberichte die Grundlage für zukünftige Entscheidungen über Veränderungen des Schulsystems seien. Außerdem seien personenbezogene Daten von Lehrern zu schützen

Diese Argumente waren meiner Ansicht nach nicht stichhaltig. Schließlich gab es zu den Schulinspektionsberichten keinen laufenden Prozess der Willensbildung mehr, die Berichte seien vielmehr fertiggestellt. Wenn man den Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses so weit interpretieren würde wie die Senatsverwaltung, würde das das Informationsfreiheitsrecht komplett aushöhlen – schließlich kann jedes Dokument auch nochmal als Grundlage für zukünftige Entscheidungen herangezogen werden. Und falls in den Berichten personenbezogene Daten über Lehrer enthalten seien, so könnten diese Daten geschwärzt werden.

Ich wandte mich also an den Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit – den kann jeder Bürger einschalten, wenn er sein Recht auf Datenschutz oder auf Informationsfreiheit verletzt sieht. Auch der Beauftragte war allerdings der Ansicht, dass ich die Berichte nicht bekommen kann – wenn auch aus anderen Gründen als die, die die Senatsverwaltung genannt hatte. Auch bei einem anderen Antrag (ich wollte auch wissen, wie gut bei jeder Schule die Schüler im Durchschnitt beim zentralen Mittleren Schulabschluss abgeschnitten haben) sah der Beauftragte keine Aussicht auf Erfolg.

In seinem Jahresbericht schildert der Beauftragte immer auch einige Einzelfälle. Und in dem heute veröffentlichten Bericht über das Jahr 2008 steht nun etwas über meine beiden Anträge – so kommt es, dass Sie auch einmal etwas über eine gescheiterte Recherche erfahren. Zum Glück gibt es aber auch Fälle, in denen Anträge über Behörden-Informationen erfolgreich sind…

Auszug aus dem Jahresbericht 2008 des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit:

Informationszugang bei der Bildungsverwaltung

Ein Journalist beantragte bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung die Übersendung einer elektronischen Kopie der Schulinspektionsberichte, die das Qualitäts- und Unterrichtsprofil der jeweiligen Schule darstellen. Die Senatsverwaltung lehnte den Antrag unter Hinweis auf den laufenden Prozess der Willensbildung und auf den Schutz personenbezogener Daten der Lehrerinnen und Lehrer ab. Die Untersuchung von Stärken und Schwächen einer Schule, der Schulorganisation, der Umsetzung des staatlichen Unterrichts- und Erziehungsauftrags sowie des pädagogischen Verhaltens sollen unbefangen erfasst und bewertet werden. Eine solche Schulevaluation wäre jedoch nur dann zielführend, wenn die den Lehrkräften zugesagte Vertraulichkeit der Datenverarbeitung gewahrt bleibt. Die Berichte über schlecht bewertete Schulen enthielten mindestens personenbezogene Daten über die Schulleitung bzw. ließen Rückschlüsse zu. Der Petent hat sich Hilfe suchend an uns gewandt.

Wir haben die Auffassung der Senatsverwaltung im Ergebnis geteilt. Danach bestand kein Anspruch auf Einsichtnahme in die einzelnen Schulinspektionsberichte nach dem IFG. Dies folgt aus § 9 Abs. 5 Schulgesetz für das Land Berlin (SchulG). Danach veröffentlicht die Schulaufsichtsbehörde „regelmäßig, spätestens alle fünf Jahre, einen Bildungsbericht, in dem, differenziert nach Bezirken, Schularten und Bildungsgängen, über den Entwicklungsstand und die Qualität der Schulen berichtet wird; die Evaluationsergebnisse sind darin in angemessener Weise darzustellen.“

Diese Regelung, die erst in 2004 im Zuge einer umfassenden Schulreform in das SchulG eingefügt worden ist, geht als jüngere und speziellere Bestimmung dem allgemeinen Informationszugangsrecht nach dem IFG von 1999 vor. Denn der Gesetzgeber hat gerade für den Schulsektor eine eigene den Informationszugang regelnde Bestimmung schaffen wollen. Sie ist insofern „informationszugangsfreundlich“, als der Staat von sich aus (pro-aktiv), d. h. ohne dass es eines Antrages bedarf, für Transparenz im Hinblick auf die Schulqualität in Berlin sorgen muss. Andererseits hat der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, dass der Staat auch die einzelnen Schulinspektionsberichte offen legen muss, auch weil ein sog. Schulranking vermieden werden sollte. Dieser Wille des Gesetzgebers kann nicht durch einen allgemeinen Informationszugangsanspruch nach IFG „unterlaufen“ werden. Ein über § 9 Abs. 5 SchulG hinausgehender Informationszugangsanspruch, der die Offenlegung der einzelnen Schulinspektionsberichte beinhaltet, ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht begründet.

Außerdem wurde bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Akteneinsicht in die Ergebnisse zum mittleren Schulabschluss (MSA) nach der 10. Klasse beantragt. Dabei ging es um Informationen, wie gut oder schlecht die Schülerinnen und Schüler an den einzelnen Schulen im Durchschnitt diesen Schulabschluss geschafft haben. Der Antrag wurde unter Hinweis auf den laufenden Prozess der Willensbildung sowie auf den Schutz personenbezogener Daten der Lehrkräfte abgelehnt, weil sich aus den Ergebnissen in den einzelnen Prüfungsfächern leicht Rückschlüsse auf die Lehrkräfte und deren Unterrichtsqualität ziehen lassen. Der Petent hat Widerspruch gegen die Ablehnung eingelegt und uns um Unterstützung gebeten.

Für die MSA-Prüfungen gilt nach § 9 Abs. 6 SchulG die Vergleichsauswertungsverordnung (VergleichsVO). Darin ist das Verfahren von Auswertungen bei Vergleichs- und zentralen Prüfungsarbeiten einschließlich der Verarbeitung von personenbezogenen Daten geregelt. Nach § 3 Abs. 10 VergleichsVO stellt die Schule „die zusammengefassten Ergebnisse der Lerngruppen und der Schule allen schulischen Gremien zur Verfügung. Nur die Schule darf diese Ergebnisse veröffentlichen, sofern es die Schulkonferenz mit einer Mehrheit von Zweidritteln der stimmberechtigten Mitglieder beschließt.“ Aus der gesetzgeberischen Historie zum SchulG ergibt sich, dass der Berliner Gesetzgeber ein sog. Schulranking vermeiden wollte. Dieser Wille würde unterlaufen, wenn Dritte Informationen nach dem IFG erhalten, die nur unter den Voraussetzungen der (insofern jüngeren) schulrechtlichen Bestimmungen offen gelegt werden dürfen. Wir haben der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung gleichwohl empfohlen, dem Widerspruch zumindest teilweise dadurch abzuhelfen, dass der Antrag des Petenten an die Schulen weitergeleitet wird mit der Bitte um Herbeiführung einer Entscheidung nach § 3 Abs. 10 VergleichsVO. Darüber hinaus haben wir empfohlen, die Antworten „gebündelt“ dem Antragsteller zu übermitteln.

Die schulrechtlichen Bestimmungen zur Qualitätssicherung und Evaluation sowie zur Veröffentlichung der Berichte verdrängen das IFG, das deshalb nicht anwendbar ist.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/gescheiterte-recherche/

aktuell auf taz.de

kommentare