vonWolfgang Koch 21.09.2009

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Es war einmal eine junge Familie mit Kleinkind, die zog eines Tages mit Sack & Pack von einem einstelligen Wiener Gemeindebezirk in einem zweistelligen Wiener Gemeindebezirk. Es sollte kein sozialer Abstieg werden: die neue Wohnung war hell und geräumig, keine Spur teurer als das alte Domizil, und sie lag vom historischen Zentrum der City auch nur ein paar U-Bahnstationen weiter entfernt.

Es dauerte keine sechs Wochen, da lag ein inspiriertes Begrüssungsschreiben des neuen Bezirksvorstehers im Postfach. Dieser Bezirkskaiser, wie man in Wien sagt, hatte sich in seinem Rundschreiben an die Zuwanderer sichtlich Mühe gegeben. Das Schreiben war lang und ausführlich; es strich die Vorteile des neuen Wohnbezirks hervor und sparte auch nicht mit Lob für die Verwaltungsarbeit des zeichnenden Politikers.

Das freute den Familienvater zunächst, da die beiden Herren derselben Landtagespartei, der Wiener SPÖ, als Mitglieder angehörten, also gewissermassen am politischen Seil in dieselben Richtung zogen. Was den Adressaten allerdings weniger freute, das waren Unwahrheiten und Widersprüche im Schreiben des Bezirkskaisers. Kurz entschlossen teilte der Familienvater dem Politiker seine Bedenken in einem E-Mail mit. Schliesslich hatte der Politiker am Ende seines Wisches ja deutlich dazu aufgefordert, sich an ihn zu wenden.

Der Bezirkskaiser wiederum hatte mit dreierlei Dingen nicht gerechnet: 1.) dass jemand seine Willkommenszeilen so genau lesen und auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüfen würde. 2.) Dass ihm eine Familie von Zuzüglern ausgesprochen wortkundig und quasi frisch von der Leber weg antworten würde. 3.) Dass sein Begrüssungsschreiben auf einen Gesinnungsgenossen gestossen würde, der eine unverblümt offene Sprache anschlug.

Der Familienvater schrieb:

Sehr geehrter Herr Bezirksvorsteher,

vielen Dank für Ihr freundliches Begrüssungsschreiben in unserem neuen Wohnbezirk. Im Grossen und Ganzen stimmen wir mit Ihrer Beurteilung überein, in einigen Punkten aber möchten wir Ihnen nach unserer sechswöchiger Wohnerfahrung schon vehement widersprechen:

a) Den geradezu sprichwörtlichen Rassismus einiger Mitbürger in unserem Bezirk können wir nächtens von unserer Wohnung aus mit eigenen Augen und Ohren verfolgen, wenn Skinheads Treibjagden auf schwarze Passanten veranstalten. Das haben Sie mit dem »begeisternden menschlichem Masstab« Ihrer Bezirkspolitik sicher nicht gemeint.

b) Wir haben bereits vor einem Vierteljahr um einen Kindergartenplatz für unsere 27 Monate alte Tochter in der neuen Wohnumgebung angesucht. Gerade teilt uns die MA 10 mit, dass sich im öffentlichen Kindergarten in unserem Haus keinen Platz für das Kind findet. Als grosszügige weitere Hilfestellung bietet uns der Magistrat eine Liste von hoffungslos überfüllten Einrichtungen in der Nähe an. Das haben Sie mit »sehr guter sozialer Infrastruktur« des Bezirks sicher nicht gemeint.

c) Rund um den Spielplatz an unserer Ecke existiert weder ein Verkehrssicherheits- noch ein Verkehrsberuhigungskonzept. Obwohl hier einer der wichtigsten Radwege der Stadt vorbeiführt, gibt es weder Zebrastreifen an den Zugängen zum Spielplatz, noch wird einer der umliegenden Strassenzüge als Einbahn geführt, was in anderen Bezirken sicher längst der Fall wäre. Das haben Sie, Herr Bezirksvorsteher, mit dem »attraktiven Angebot an Spielmöglichkeiten« wohl nicht gemeint.

d) Wir können uns täglich davon überzeugen, dass die Parks in unserer Wohnumgebung stark vermüllt sind. Wir sind aus einem einstelligen Gemeindebezirk hierher gezogen. Dort steht an jeder Ecke ein Strassenkehrer und schaut den halben Tag lang Löcher in die Luft. Hier, in unserem neuen Wohnbezirk, kommt alle heiligen Zeiten mal ein schlecht motivierter Putztrupp vorbei. Das haben sie mit den »Qualitäten und Vorzügen des Bezirks« sicher auch nicht gemeint.

e) Auf dem einzigen Marktplatz des Bezirks existiert kein einziger Bioladen für Produkte mit geprüfter Lebensmittelqualität. Das haben sie mit dem »ausgezeichneten Einzelhandelsangebot« wohl nicht gemeint.

***

Soweit das Schreiben des Familienvaters, der am Ende seiner solidarischen Kritik noch hinzufügte, er sei sei 2002 Mitglied der SPÖ und gerne bereit sich für seinen neuen Wohnbezirk zu engagieren, wenn ihm die gestellte Aufgabe sinnvoll erscheine.

Preisfrage an den Wienkenner: Hat dieser brave Familienvater, der das Gesprächsangebot der SPÖ für bare Münze nahm, je wieder etwas von seinem Bezirksvorsteher gehört?

© Wolfgang Koch 2009

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