vonMaja Wiegemann 23.06.2025

Giftspritze

Dieser Blog serviert gut verdauliche Texte aus Ökologie, Forschung und Technik - informativ & kritisch.

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Wer die (Nicht-)Existenz zweier Buchstaben in gewissen Zeichenketten ignoriert, lebt hinterm Mond. Ein Beispiel ist die Meteorologie, ein anderes die Mikroorganismen. Was Experten leicht über die Zunge geht (und im Berlinerischen – ohne mit der Wimper zu zucken – verschluckt wird), kann in gewissen Kontexten zu ungeahnten Missverständnissen führen – vor allem, wenn sich Physiker mit Ökologen unterhalten. Denn während die Ökologen immer nur den Klimawandel im Hinterkopf haben, geht es bei den Physikern um Fundamentaleres. Mindestens über die erstgenannte Zeichenkette bin ich neulich gestolpert, genauer: über das Gelände der PTB in Braunschweig. An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt gibt man sich still dem Messen hin. – Achtung: der Metrologie. Was früher – wenig visionär – als Messwesen bezeichnet wurde, rangiert neuerdings bis in den Quantenbereich. Den Quanten nahe fühlt man sich schon bei einem Blick auf den Geländeplan, auf die Größe einer Handfläche geschrumpft, mit zahlreichen Bezeichnungen in Buchstabengröße 1. Dabei ist die PTB so weitläufig, dass sich dort sogar Rehe verirren.

Trotz der Camouflage im Grünen widmet sich die Institution hochpräzisen Angelegenheiten, hauptsächlich physikalischer Natur. Dabei geht es nicht einfach ums Messen, wie es in den restlichen Wissenschaften ganz selbstverständlich mehr oder weniger korrekt angewendet wird. Es geht auch nicht nur darum, wie schnell ein Physikerbart wächst (eine Bartsekunde entspricht etwa 5 Nanometern). Es geht um wirklich exaktes Messen – standardisiert, geeicht, genormt.

Doch die Metrologie, wie sie modern bezeichnet werden will (beim Patentamt wäre das Highjacking aus der älteren Meteorologie nicht durchgegangen), ist weit mehr als nur das superexakte Messen von Längen oder Gewichten – sie ist Grundlage der Verständigung – nicht nur unter Wissenschaftlern, sondern zum Beispiel auch unter Händlern und damit Bestandteil internationaler Wirtschaftspolitik. Die Kommunikation ist selbst hier nicht immer einfach. So hält sich neben dem metrischen System das imperiale erstaunlich hartnäckig. Hinzu kommt, dass die Texaner noch vernuschelter sind als die Berliner. Mitunter steht dadurch der technologische Fortschritt der Menschheit auf der Feuerprobe: Noch 1999 brachte die Verwechslung des Meters mit dem Yard eine NASA-Mission zu Fall. Die Sonde drang zu tief in die Mars-Atmosphäre ein und verglühte 125 Millionen US$.

Von solchen Grobheiten distanziert sich die Quantenmetrologie, eine brandheiße wissenschaftliche und technologische Impulsgeberin. Im Verbund mit Quantencomputern lässt die futuristische Wissenschaft Messkonzepte auf einem nie dagewesenen Level erwarten. Theoretiker freuen sich zwar darauf, Naturkonstanten noch exakter zu bestimmen. Aber wir werden tatsächlich auch einen rasanten Fortschritt in Allerwelts-Anwendungen sehen. Mit in dem Paket sind neuartige Sensoren – na klar, quantenbasiert. Die inflationäre Datenerzeugung ist also vorprogrammiert. Und Quanten-KI wird sie analysieren. Die Quantentechnologie eröffnet ganz entzückende Geschäftsmodelle, mit der Medizin als hervorragend finanziertem Wirtschaftszweig mal wieder vorneweg. Es könnte auch was für die angewandte Wissenschaft herausspringen, für die Meteorologie zum Beispiel:

Wenn sich Quantensensoren den atmosphärischen Parametern – der Temperatur, dem Druck oder der chemischen Zusammensetzung – zuwenden, sind Klimamodelle mit Daten vom Feinsten fütterbar. Letztendlich verbesserte das die Vorhersage. Wünschen wir uns ja alle. – Tolle Aussichten! Wenn sich der Klimakollaps damit auch verhindern ließe …

Damit wären wir bei der Umweltanalytik. Diese wird in (zukünftigen) Projekten der PTB auch adressiert, da chaotische Zustände allgegenwärtig sind, nicht nur in der Luft, sondern auch zu Wasser, müss(t)en enorme Datenmengen gehändelt werden, damit die Wissenschaft Sinn ergibt. Mit den herkömmlichen Methoden (und Budgets) der Ökologie wird längst nicht genug gemessen, schon gar nicht exakt. Mikroorganismen und andere Lebewesen machen unbehelligt, was sie wollen.

Ich spare mir an dieser Stelle, näher darauf einzugehen, dass ich bei meinem neuen und nicht ganz billigen, mobilen Spektralphotometer einen Fehler von fast 1 ° Celsius (exakt ausgedrückt: fast 1 Kelvin) hinnehmen muss, während die Quanten an der Heisenberg-Grenze manövrieren (wer genauer wissen will, wo die Exaktheit endet, schaut nach der Unschärfe).

Damit Theorie und Praxis zukünftig besser zueinander finden, wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Quantenforschung und mit der Industrie aktuell und nicht gerade zurückhaltend gefördert. Es fließen etliche Millionen in diverse Quantum Valleys der Republik, darunter in das Braunschweiger.

Währenddessen ist am Freitag (20. Juni 2025) ein Hauch von Quantenzukunft – ein erster Quantenchip aus der Uni Wien – ins All gestartet. Auf dem Trip soll er seine Robustheit unter Beweis stellen. Die Rakete startete vorsorglich nicht in Houston (Texas), sondern in L. A. (Kalifornien). Möge dies die internationale und interdisziplinäre Verständigung beflügeln!

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