Herrgott, ich bin nicht religiös. Nicht, dass ich wüsste. Allenfalls würde ich Naturgötter anbeten, wenn es die gäbe. An die Natur kann man noch glauben. Ist eine gerechte Sache. Das miese Pfingstwetter verteilte sich einigermaßen gleichmäßig, zumindest über der Nordhälfte des Westens.
– Zeit zum Insichgehen, gehört sich ja so an einem heiligen Feiertag. Die Radiobeschallung zum Thema Luftschutzkeller nervt zwar. Doch beim mürrischen Blick gen Himmel dünkt es mich… Hatte ich in der letzten Nacht zu lange in die Flimmerkiste geschaut? Immerhin bis ich keine Sterne mehr sah. Es lief David gegen Goliath.
Da ich kaum biblisch gebildet bin, genau genommen gar nicht, konnte ich die Staffel gierig durchsuchten: Anfangs war kein König im heiligen Land! Und wie war das mit den Göttern? Nur noch einer hatte das Sagen. Aber offenbar reichte es nicht, an diesen Gott zu glauben. Um das Recht Gottes durchzusetzen, verlangte eine kritische Anzahl von Leuten eine irdische Instanz. Das war vorläufig nur mit einem König machbar. Dummerweise setzte mit der Konzentration menschlicher Macht moralische Verwesung ein. Aber interessanterweise saß der König noch fest im Sattel, solange er mit Gott kooperierte. Naja, es kam, wie es kommen musste. Die Egomanie nahm eine Form von Wahnsinn an und führte in die Abwärtsspirale des ersten Protagonisten unserer Kulturgeschichte. – Hah, dabei waren die Verwerfungen harmlos im Vergleich zu den heutigen Verhältnissen!
Genug Spielfilm. Ich bin schließlich eine verstandesorientierte Naturwissenschaftlerin, völlig unheilig. Also, was hat mich berührt? Das Gleichnis mit dem Gemeinwohl, so erschien es mir: Gott ist Gemeinwohl! Nur ein anderes Wort. Der gleiche Sinn. Etwas schicker in Form einer Gottheit, etwas mehr Glanz und Glory. Die Leute brauchen eben was fürs Gemüt. Und nehmen wir mal an, die Menschheit würde dem Gemeinwohl-Gott dienen, zuallererst, vor jedem König, vor jeder anderen Herrlichkeit, vor allem vor der eigenen: Wäre das nicht mit allen monotheistischen Buchreligionen vereinbar, mit den Christen und Juden genauso wie mit den Muslimen? Alle orientieren sich schließlich an Grundsätzen von Gerechtigkeit. Wussten Sie, dass im Islam die Almosengabe sogar eine der fünf Hauptpflichten ist? Historisch betrug sie – je nach Einkommensart zwischen 2,5 und 10 Prozent. Eventuell kann man das mit dem Kirchenzehnt im Christentum gleichsetzen. Wir wollen jetzt nicht darauf rumreiten, dass der Zehnt hüben wie drüben gar nicht vor allem den Armen zufloss, sondern sich beträchtlich in missionarischen und kriegerischen Geplänkeln verflüchtigte. Da liegen wir mit einer Rüstungsabgabe von 5 % des Bruttoinlandsprodukts noch im harmlosen Bereich!
Der viertgrößten Weltreligionsgemeinschaft wäre die Übereinstimmung mit den drei größeren Haubrüdern schnurz. Die Hindus feiern und beten (meistens) so selbstverständlich neben- und miteinander, dass den Kolonialisten (erst Muslime, später Christen) die bunte Mischung aus Polytheisten, Dualisten und Monotheisten gar nicht auffiel. Und die ethisch orientierten Atheisten – ja, die gibt es!, etliche Naturwissenschaftler zum Beispiel – brauchen zwar nicht den ganzen Budenzauber, aber sie wären mit dem obersten Gebot des Gemeinwohls wohl einverstanden. Man müsste die Angelegenheit ja nicht unbedingt in die spirituelle Ecke verbannen.
Streiten wir uns also nur darum, wie wir das Kind (oder den Gott) beim Namen nennen? Oder geht es bei der Wortklauberei um die moralische Oberhoheit als bloße Kriegstaktik? Solche Geplänkel können wir uns nicht mehr leisten – weder global noch vor der Haustür. Der Kommunismus hat das Kind schließlich nicht gezeugt. Die Abgrenzung des Westens ist wirtschaftspolitischer Natur. Dabei hatte das Gemeinwohl schon immer Priorität, zumindest theoretisch, und deutlich bevor es heimlich in den Verfassungen einiger Bundesländer landete. Dabei gehen die gottesfürchtigen Bayern mit dem Artikel 151 am weitesten in good old Germany, Marktwirtschaft hin oder her. Den Buddhisten gelänge es sicherlich, einen Mittelweg zu finden. In Bayern muss man noch etwas üben. In der restlichen verrückten Welt sowieso. Der Teufel steckt halt im Detail.