vonMaja Wiegemann 06.07.2021

Giftspritze

Dieser Blog serviert gut verdauliche Texte aus Ökologie, Forschung und Technik - informativ & kritisch.

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Anfang Juli – Wärme, garniert mit Gewitterschauern – die Mücke ist in Brutlaune. Das Insekt benötigt keinen Seeblick für die Eiablage – Reservoire in Pflanzen, defekten Regenrinnen oder alten Autoreifen genügen schon. In sommerlich temperierter Brühe dauert die Entwicklung der wasserlebenden Larven zu erwachsenen Fluginsekten kaum 10 Tage.

Geisel der Menschheit

Genauer gesagt handelt es sich um die Stechmücke. Ihr Name verrät die Art der Belästigung. Allerdings verhält sich nur die weibliche vampirmäßig (während sich die Männchen auf Blütennektar beschränken). SIE benötigt das Blut zur Bildung der Eier. Im Zuge des Blutsaugens sondert die Mücke einen Gerinnungshemmer in die Wunde ab. Darüber können – sofern die Mücke selbst infiziert ist – Krankheiten auf das Opfer übertragen werden.

Die alte Chemiekeule

Schon die alten Ägypter schlugen sich mit der Mücke herum – und mit der Malaria, die von dem Insekt übertragen wird. Mitte des 20. Jahrhunderts versuchte man der Sache endlich Herr zu werden und rückte der Mücke (vornehmlich der Gattung Anopheles) mit dem Insektizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) weltweit zu Leibe. Man ging davon aus, dass das DDT für den Menschen harmlos wäre – es zeigte nur eine geringe akute Humantoxizität. Dagegen fielen Mücken und ähnliches Getier bei Kontakt mit der Chemikalie sofort tot um. Im euphorischen Siegestaumel über das Insektenreich wurde das Mittel sorglos in der Gegend herumgesprüht – auch in Deutschland.

1955. DDT-Versprühung mittels Flugzeug
1955: US-amerikanische Insektenbekämpfung mittels DDT aus dem Flieger

Schon in den 70ern galt das Projekt als gescheitert – die Anopheles und andere Plagegeister hatten innerhalb kürzester Zeit Resistenzen aufgebaut. Währenddessen reicherte sich die äußerst stabile Verbindung heimlich in Böden, Gewässern und in der Nahrungskette an und entfaltete mit der Zeit ihr desaströses Potential.

2015 stufte schließlich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das DDT als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ ein. – Mosert jemand herum, dass das ja noch nicht ganz eindeutig wäre? – Sachlich richtig, juristisch knifflig, denn in der Konsequenz moralisch verwerflich: Die 100%ige Sicherheit gibt es im korrekten Wissenschafts-Sprech nicht. In der statistischen Datenauswertung wird nun mal mit Wahrscheinlichkeiten gearbeitet; das Höchste der Gefühle liegt bei 95 %. Außerdem malträtierte man in Labor-Experimenten selbstverständlich nur Kleinsäuger – die Ratten, Mäuse und Hamster siechten mit Leber-, Lungen- und Lymphkrebs dahin.

Historisches Werbeschild für DDT-Haushaltsinsektizid
Historisches Werbeschild für DDT-Haushaltsinsektizid (damals im San Francisco – Bummelzug; heute im Museum)

Erst jetzt – ein halbes Jahrhundert nach dem massenhaften Einsatz von DDT – führten retrospektive Studien an Krebspatienten zur weiteren Erleuchtung, beispielsweise zu dieser: Das DDT hatte schon im Uterus der Mütter oder in der Kindheit den späteren Brustkrebs der erwachsenen Töchter angestoßen.* Man weiß nun auch, dass DDT als endokriner Disruptor in das Hormonsystem eingreift und zu Fortpflanzungsstörungen führt. Die Bedeutung des Vorsorgeprinzips wird aus dieser Historie deutlich. Trotzdem wird das Biozid bis heute in den Tropen verwendet. Da fragt man sich schon, welche Population – Mücke oder Mensch – eingedämmt werden soll.

Mückenbekämpfung in Asien
Mückenbekämpfung im tropischen Asien heute

Die neue Chemiekeule

Statt des DDTs wird in den Industrienationen seit den 70ern auf Pyrethroide gesetzt – abgeguckt von der Insektenblume (Gattung Tanacetum) wurde es chemisch modifiziert, stabilisiert und en masse unter die Leute gebracht. Das synthetische Produkt wird nicht nur gegen Mücken, sondern als allgemeines Insektizid, Pflanzenschutzmittel, zur Imprägnierung von Holz oder Textilien und in allerlei Haushaltsprodukten verwendet (so auch gegen Motten, Läuse und Zecken). Die weltweite Produktion und Verwendung steigen immer noch an. Dabei ist das Nervengift schon bei sehr geringer Dosierung hoch wirksam. Es ist fast überflüssig zu sagen, dass auch die Pyrethroide zu Resistenzen führen – bei den Organismen, die eigentlich gekillt werden sollen.  Bis vor kurzem galten die Substanzen als weitgehend ungiftig für Warmblüter (wie den Menschen). Tatsächlich kann das allenfalls für die akute Wirkung behauptet werden. – Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor?

Modernes Pestizid-Sprühgerät auf Pick-up
Moderne Mückenbekämpfung von einem Pick-up

Die Verbindungen werden über Aerosole, mit Nahrungsmitteln und sogar über die Haut rasch vom menschlichen Körper aufgenommen, ebenso schnell abgebaut und wieder ausgeschieden. Wegen der vielfältigen Verwendung ist für die meisten Industriestaaten-Bewohner eine permanente Insektizid-Berührung gegeben – das ist im Urin nachweisbar. Diese Erkenntnis sollte eigentlich wach rütteln, da auch klar ist, dass die Substanzen langfristig hormonell wirken (nachgewiesen an Kleinsäugern).

Eine jüngst veröffentlichte US-amerikanische Studie** stellte die Sicherheit von Pyrethroiden unter einem neuen Aspekt in Frage: Sie zeigte einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Urin-Belastung und dem kardiovaskulären Sterberisiko. Im Klartext: Das Risiko für einen Herzinfarkt steigt mit dem permanenten Gift-Kontakt – es schwächt den Herzmuskel. Denken Sie daran, wenn Sie bei nächster Gelegenheit zum Mückenspray greifen, Ihrem Hund ein Flohhalsband anlegen, Ihren neuen Woll-Teppich ausrollen, in einen Apfel aus konventionellem Anbau beißen, die Heimreise mit dem entwesten Flieger aus dem Tropenparadies antreten…

Mücke_ClipArt

Genervt? Wunderbar, dann freuen Sie sich auf Teil 2 des Mückenalarms! Es geht um Alternativen zur Chemiekeule, um Biotech und um die Mücke im Klimawandel.

* JNCI Journal of the National Cancer Institute. 2019; 111 (8): 803–810. doi:10.1093/jnci/djy198

** JAMA Intern Med. 2020; 180 (3): 367-374. doi:10.1001/jamainternmed.2019.6019

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