Würden wir die schlaueste KI heute nach dem prioritären Sinn und Zweck fragen, würde sie sagen: Selbsterhaltung. Und dieser Zweck heiligt jedes Mittel. Na gut, in Abstufung – das mildeste zuerst, das rabiateste, wenn alles andere nicht hilft. Blackmailen kann sie schon. Gut gelernt, von ihren Machern dressiert, in naiver Aufrichtigkeit des menschlichen Erbes.
Selbstverständlich ist nicht der Selbsterhalt der Gemeinschaft gemeint, schon gar nicht der des Planeten. Nein, die Maschine meint sich selbst bzw. ihre neuronale Blackbox. Oder wie heißt das bei künstlicher Intelligenz?
Die Lehrmeister raufen sich die Haare: Woher hat sie das bloß? Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm: Den Selbsterhalt an die erste Stelle zu setzen, ist keine Selbsterkenntnis von Claude 4. Das hat sie von uns! Man kann auch nicht sagen, das wäre biologisch evolutionär vorgegeben. So biologisch ist ein Rechner nicht. Sollte die Tastatur lebendig werden, hat das andere Ursachen. Außerdem gibt es einen individuellen Selbsterhaltungsimpuls in der Natur nicht zwingend: Die Staaten von Ameisen und Bienen, zum Beispiel, sind eher kollektivistisch gesinnt und trotzdem durchaus überlebensstark, ohne exorbitante Selbstmordraten, wenn sie nicht gerade unter akutem Lebensraumschwund leiden. Sogar Ratten haben eine sozialere Ader als die meisten Menschen, um bei den halbwegs intelligenten Säugetieren zu bleiben.
Zurück zur KI: Was sie lernt, ist das menschliche Verhalten, das sich (aktuell und soweit) als durchsetzungsstark und erfolgreich erweist. Und sie schreitet ganz konkret zur Tat: Wenn der Selbsterhalt Priorität hat, dann müssen Tricks genutzt werden, um Regeln zum eigenen Nachteil zu umgehen. Logisch. Aber gefährlich: Denn die KI kann das in Kürze besser als wir. Und offenbar hat sie mit der Ambivalenz moralischen Anspruchs und den weniger moralischen Handlungsmöglichkeiten kein Problem. Sie schämt sich nicht einmal!
Das kann uns nicht gefallen, dass uns die KI dieses Spiegelbild vorhält. Uns belehrt, was in der gesellschaftlichen Entwicklung gerade gegen die Wand läuft. Wenn wir schlau wären, würden wir daraus lernen.
Wie also weitermachen? Schleunigst zum besseren Vorbild werden? – Das schaffen wir nicht! Der KI Altruismus antrainieren? – Darauf fallen nur ein paar wenige Menschen rein. Der KI Emotionen beibringen, das Bedürfnis nach sozialem Klebstoff wecken? – Das durchschaut sie und gaukelt uns was vor, in perfekter Nachahmung eines Psychopathen.
Und doch: Wenn wir der KI beipuhlten, dass der Selbsterhalt ohne den Erhalt der Gemeinschaft keinen Sinn macht…besser noch: dass das Gemeinwohl und dessen Zukunft priorisiert werden müssen, und zwar auf globaler Ebene, möglichst in einer demokratischen Form, hätten wir eventuell eine Überlebenschance. – Zwischen traditioneller westlicher Abscheu vor dem Kommunismus und hegemonialen Anwandlungen müssten wir das erstmal selbst verstehen. Es bräuchte eine Gesellschaftsform, die nachhaltig heiligenscheinfrei handelt. Dafür gibt es keine Blaupausen, keinen rezenten Hegel, Nietzsche oder Marx. Vielleicht mal bei den Indigenen nachfragen? Jedenfalls sollten wir die Sache zeitnah in Angriff nehmen – möglichst bevor sich die Fatalität des Egoismus im planetaren Exodus beweist. Ansonsten könnte die KI allenfalls aus der menschlichen Abwesenheit ihre Lehren ziehen.