vonDetlef Berentzen 12.11.2010

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Er schreibt am Fenster. Draußen Gingko, Froschkönig, der Butt vom Grass im frischen Laub. Und lebt zwischen den Zeilen. Immer und noch. In den letzten Jahren stürzte er des Öfteren aus seinen Texten heraus ins Bodenlose, doch war da immer etwas, das ihn auffing. Liebe meistens. Liebe, die er immer noch versucht zu buchstabieren, um ihr „Alphabet“ zu lernen,…notiert er. In seinem neuen Buch behauptet Peter Härtling gar, er sei „Leicht geworden, für Gedankenflüge“ – 77 Tagebucheintragungen veröffentlicht zum 77. Geburtstag (13. November 2010). Dem Stuttgarter Radius-Verlag fällt immer etwas ein. Ist der doch lange schon Heimat für „Fundevögel“ und „Notenschriften“, für Erinnerungsstationen, für Miniaturen, in denen Härtling sich selbst nachspürt, aber auch manche Winterreise in deutsche Lande unternimmt.

Liest man die 77 Zettel (die keine sind), dann kommt der alte Härtling unverblümt daher, bekennt sich zu „Müdigkeit und Atemnot“, den „Mängeln des Alters“, zu dem kleinen Neid auf die Jungen, lobt die „Schutzgeister“, die ihn umgeben und misst schreibend immer wieder mal seinen Blutzucker, aber nicht allzuoft. Denn er ist nach seinen Reisen in die Schatten tatsächlich wieder „leicht“ geworden, selbstironisch, munter, verdichtet oft genug seine Erfahrungen mit den aktuellen Kälteströmen dieser Welt. Härtling empfindet sehr genau, was an Wärme, Nähe und Identität verloren geht, schreibt tageweise Skizzen gegen Verrohung und Kapitalismus, allemal kritisch pointiert, en passant und immer noch wunderbar betroffen, schwer bewegt, ein „Gutmensch“, auf den sie gerne und immer wieder einprügelten, weil er bei sich blieb und bei seinen Freunden: Hölderlin, Schumann, Hoffmann, Schubert, all den Randständigen, Suchenden – Besondere eben, wie Fanny Hensel, deren Leben er zur Zeit intoniert.

Auf seinen Zetteln greift Härtling aber auch an: Den arroganten, selbstgefälligen Kulturbetrieb zum Beispiel, Kritiker also, die ihn einst mit dumpfer Häme auf’s Korn nahmen oder Literaturcracks, die eloquent und öffentlich den Umbruch „von der Weltliteratur zur Global Literature“ verkünden. Und das auch noch ernst meinen: „Na prima! Der Anspruch auf Umbruch kotzt mich an“. Auf anderen Zetteln dann wieder Begeisterung – für Autoren, Komponisten, Maler. Ein farbiges Mosaik also, an 77 Tagen gefügt. Eine spontane und wohltuend unzensierte Begegnung mit dem Innen und Außen Peter Härtlings. Eine Zettelwirtschaft, die Nähe schafft. Und gut so.  Gratulor!

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